Frühwerke in der Oberfrankenhalle: Über die „Liebesverbot“-Premiere Wagner, ein Maskenball

Von Florian Zinnecker

Es geht ja doch. Mit dem „Liebesverbot“ gelingt dem Ensemble der Oper Leipzig in der Oberfrankenhalle ein kurzweiliger, schlau gestalteter, aufregender  Abend. Das liegt am Stück, aber auch daran, dass Regisseur und Dirigent fast alles anders machen als ihre Kollegen bei „Rienzi“ am Abend zuvor. Und zwar: viel besser.  

 
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Der Vergleich ist, obwohl er auf der Hand liegt, hart an der Grenze der Zulässigkeit: „Rienzi“ ist eine aufrichtig breite Pathos-Oper, das „Liebesverbot“ unernst, heiter, satirisch. „Rienzi“ ist die staatsmännische Geste, das „Liebesverbot“ ein leises Lachen. Man kann da nicht von der einen Oper auf die andere schließen. Dabei verhandeln beide Stücke denselben Konflikt, der eines von Wagners Lebensthemen ist, vielleicht sogar das zentrale: Die Obrigkeit benimmt sich schädlich, das Volk weiß sich zu helfen. Unten versus Oben, die Kleinen gegen die Großen. Aus welchem der beiden Werke leichter ein kurzweiliger Abend werden kann, muss man da gar nicht dazusagen.

Und trotzdem ist schon in in der allerersten Szene, als gerade die Polizei den Karneval auflöst, klar: Die verschiedenen Operntraditionen sind nicht der zentrale Unterschied. „Liebesverbot“-Regisseur Aron Stiehl kann Menschen auf der Bühne bewegen. So, dass sich allein aus der Bewegung eine Geschichte erzählt. Hier und heute ist der Chor nicht der Chor, sondern die Bevölkerung Palermos. (Zur Erläuterung: Am Abend zuvor hätte der Chor die Bevölkerung Roms sein sollen. Er blieb aber das, was er war: ein Chor, der sich bewegen musste. Am Chor lag's nicht, der war derselbe).

Und auch die Solisten der Leipziger Oper sind hier und heute ein Ereignis: Alle Partien sind glänzend besetzt, nicht nur die Hauptpartien mit Christine Libor als Isabella, Tuomas Pursio als Friedrich und David Danholt als Claudio.

Die Bühne von Jürgen Kirner lässt sich durch zwei bewegliche Wände in drei Räume teilen – ohne die zusätzlich spannungsraubenden Umbaupausen wie am Vortag, sondern in Verwandlungen auf offener Szene: links der Festplatz, auf dem der Karneval gefeiert wird (hier ist das Fest, warum auch immer, knapp über der Grasnarbe angelegt), rechts das Kloster, von dem aus die Novizin Isabella das Leben ihres wegen Karnevalfeierns zum Tode verurteilten Bruder Claudio rettet. Dazwischen die Amtsstube, Arbeitsplatz des Liebesverbieters Friedrich, der seinen eigenen Ansprüchen nicht standhält. Damit lässt sich rein szenisch viel anfangen, und das Gute ist: Regisseur Stiehl macht genau das. Es gibt kaum einen Moment, in dem sich nichts tut, und es gibt keinen Moment, in dem das nervt.

Und er macht noch etwas anderes richtig: Er hat den Mut, die Überdrehtheit des Stücks noch ein gutes Stück weiter zu überdrehen, zu ironisieren, zu überspitzen. Die Kostüme (Sven Bindseil) strotzen nur so in ihrer leopardenbefleckten Hässlichkeit, die Ensembleszenen gleiten immer wieder ab in platte Operettencomedy, aber eben: nicht unbeholfen inszeniert, sondern virtuos und in voller Absicht. Bis hin zum Ausruf „Typisch Bayreuth!“, wenn der Chor nicht schnell genug umbaut.

Stiehl nimmt das Stück mit all seinen Ecken, Kanten und Mängeln, und indem er sie noch verstärkt, macht er daraus großes Theater. Natürlich albern, natürlich respektlos. Vielleicht aber gar nicht so sehr. Es geht hier ja nicht in erster Linie um eine Ehrenrettung des jungen Richard Wagner. Hier gilt's der guten Vorstellung, der guten Idee.

Constantin Trinks macht all das nicht. Er musiziert mit dem Gewandhausorchester Leipzig eine runde, ausgewogene und hörbar verschlankte Version von Richard Wagners zweiter Oper – die so gar nicht nach Wagner klingt und stattdessen so sehr nach Rossini. Aber auch Trinks: mit Mut zum Klang, Mut zur Wucht, ohne Angst vor einer Aussage. Warum sollte man so tun, als klänge das „Liebesverbot“ nach Wagner, wenn das in Wahrheit nicht so ist? Und warum – diese Frage muss dann natürlich folgen – tut man andererseits so, als sei „Rienzi“ musikalisch ein Spätwerk und müsse dann bitte auch so klingen? (Dass diese Werke im Festspielhaus nun wirklich nichts verloren haben und auch klanglich nicht funktionierten, zeigt dieser Abend nebenbei auch noch.)

Ein sensationeller Abend also, mit großartigem Ensemble. Und damit ist die Frage von gestern beantwortet – ob die Bedingungen in der Oberfrankenhalle einer mutigeren Deutung im Weg gestanden haben. Die Halle ist, das wäre jetzt bewiesen, nicht das Problem.

Mit dem richtigen Maß an Wagemut macht Oper in dieser Halle sogar richtig Spaß.


Weitere Vorstellungen: 11. Juli, 18 Uhr; 14. Juli, 15 Uhr