Westernexperte Jürgen Graf im Interview Vom Western für Flüchtlingskrise lernen

Von Thorsten Gütling
Jürgen Graf leitet am Graf-Münster-Gymnasium Bayreuth Seminare zur Analyse von Westernfilmen. Foto: red

Seit zwei Jahren leitet Jürgen Graf ein Filmanalyseseminar zum Thema Western am Graf-Münster-Gymnasium Bayreuth. Weil an einem Western die Grundlagen des Filmemachens leicht zu verstehen sind, sagt Graf. Und weil der Western eine wichtige kulturelle Aufgabe erfüllt: "Sogar in der Flüchtlingsdebatte können wir etwas vom Western lernen", sagt Graf.

 
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Herr Graf, was fasziniert Sie am Western?

Jürgen Graf: Der Western bietet ein Zusammenspiel von spannender Handlung, außergewöhnlichen Charakteren, interessanten Motiven, faszinierenden Landschaften und unterhaltsamer Filmmusik. Der Western ist ein Gesamtkunstwerk, besonders geeignet für die große Leinwand.

Manche sprechen sogar davon, dass der Western Ähnlichkeit mit einer Oper hätte. Wie das denn?

Graf: Nehmen Sie den Film "Spiel mir das Lied vom Tod". Da haben die einzelnen Charaktere ihr je eigenes Leitmotiv. Immer wenn sie auftauchen erkennt man das auch an der Musik. Das ist sehr wohl mit Oper vergleichbar, das ist wie Wagner. Dazu kommen Tragik und große Gefühle. Western sprechen Sehnsüchte an, nach Freiheit, Grenzerfahrung, Abenteuer ...

Können wir von einem Western am Ende sogar noch etwas lernen?

Graf: Auf jeden Fall. Zu allererst einmal etwas über das Filmemachen allgemein. Das liegt daran, dass Western mit  deutlich weniger Schnitten und Spezialeffekten auskommen, dass die Handlung eine einfache und immer recht ähnlich ist. Und weil sie viel langsamer erzählt werden als Actionfilme. Ein Western lässt sich also viel einfacher analysieren. Dahinter können wir aber auch etwas darüber lernen, warum die amerikanische Politik ist, wie sie ist. Und nicht zuletzt finden wir im Western die Antwort auf ganz aktuelle Probleme.

Der Reihe nach: Heißt das, die Amerikaner sind alle Cowboys?

Graf: Ich glaube nicht, dass im Western alles historisch richtig dargestellt wird. Aber die Art und Weise, wie die Menschen dargestellt werden, auch in dieser oft überhöhten Form, zeigt, was die Amerikaner durchgemacht haben. Von der Besiedlung eines fremden Kontinents, den Problemen mit den Indianern bis hin Staatsgründung. Das hilft uns, die Mentalität der Amerikaner zu verstehen. Es beleuchtet auch die Gründe für das, was wir heute als amerikanische Arroganz wahrnehmen.

Sie vergleichen die Bedeutung des Western für Amerika mit der Bedeutung der germanischen Sagen für uns Deutsche.

Graf: Genau. Wir sind aus den großen, starken Germanen hervorgegangen. Auch darum fühlen wir uns stark und stolz. Wie auch die Griechen und die Römer ihre Sagen haben. Die Amerikaner haben so etwas nicht. Dieses Land ist zu jung für Sagen. Dort erfüllt der Western diese Funktion.

Und auf welche aktuellen Themen finden wir nun im Western eine Antwort?

Graf: Nehmen sie Ethan, den Hauptdarsteller in dem Film "Der schwarze Falke", gespielt von John Wayne. Er zieht durch den Wilden Westen auf der Suche nach einem Mädchen, das die Indianer entführt haben. Ethan ist geradezu besessen von seinem Hass auf Indianer. So sehr, dass er am Ende, als er das Mädchen gefunden hat, diese beinahe umbringt. Der Film macht deutlich, wie der Hass einen Menschen innerlich zerreißt. Am Ende des Films bleibt Ethan allein und als Wrack zurück. Das sollte jedem Fanatisten heute zeigen, wozu Fanatsimus führt.

Sagen sie bloß, wir können aus Western auch noch etwas über die Flüchtlingskrise lernen.

Graf: Klar. Wir können durch Western etwas für den Umgang mit Fremden lernen. Und dass Einwanderung ein Land groß machen kann. Ohne Einwanderer gäbe es heute keine USA. Und Einwanderer selbst können von den Einsiedlern, die gezeigt werden, lernen. Sie kommen in einem fremden Land an und der Großgrundbesitzer will sie am liebsten wieder vertreiben. Aber sie schließen sich zusammen und versuchen gemeinsam, sich zu integrieren. Der Western zeigt: Einwanderung ist nichts schlimmes.

Info: Das Hollfelder Kino Kintopp zeigt von Donnerstag, 15. Oktober, bis Montag, 19. Oktober, ausschließlich Western-Filme.

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