Vier Milliarden Dollar - oder Hungertod

Von Elmar Schatz
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Foto: Michael Kappeler/dpa Foto: red

In Afrika verhungern Millionen Menschen - und kaum jemand redet darüber. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) lenkt den Blick auf diese Katastrophe.

 
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Herr Minister, in Afrika droht 20 Millionen Menschen der Hungertod, berührt uns das überhaupt?

Bundesminister Gerd Müller: Es muss sofort gehandelt werden und ich bin erschüttert, dass die Welt erst Bilder von verhungernden Kindern braucht, um aktiv zu werden. Es ist dringend notwendig, wie UN-Generalsekretär António Guterres sagt, in einer Größenordnung von etwa vier Milliarden zu reagieren. Damit wären die Probleme zu beherrschen und zu lösen.

Vier Milliarden Dollar Hilfe?

Müller: Ja, die werden gebraucht, aber nicht einmal zehn Prozent davon stehen den UN-Organisationen zu Verfügung. Deutschland engagiert sich, wir haben Zusagen gemacht. Aber das ist ein Thema, das die Welt berühren muss. Um ein Vielfaches der vier Milliarden steigen die Militärhaushalte von China, Russland und USA in diesem Jahr. Es ist unglaublich, dass wir nicht sofort und schnell reagieren.

Was tut Deutschland, über die bisherige Hilfe hinaus, um die Verhungernden zu retten?

Müller: Wir sind in Äthiopien, Kenia, Somalia, den Ländern, in denen die Hungerkrise herrscht, seit langem vorbeugend tätig. Wir unterstützen die Menschen, sich auf Dürren einzustellen – mit widerstandsfähigem Saatgut, besserer Bewässerungstechnik, Lagerung und Vorratshaltung, Schutz ihrer Böden und Tiere. Dafür setzen wir allein in diesem Jahr 100 Millionen Euro ein. In Äthiopien haben wir im vergangenen Jahr die Hilfe massiv ausgeweitet; denn das Klimaphänomen El Niño war ja vorhersehbar. Hätten das andere Europäer und die Weltgemeinschaft auch gemacht, dann wäre diese Hungersnot beherrschbar. Jetzt geht es darum, dass wir die anderen mitnehmen und schnellstmöglich den Hilfsorganisationen die Möglichkeiten geben, die Not wirksam zu lindern.

Ist schon Soforthilfe beschlossen; wie schnell kommt sie an?

Müller: Die Hilfsorganisationen der UN sind voll einsatzfähig. Sie sind vor Ort; sie brauchen nur die Mittel und Möglichkeiten. Innerhalb von Tagen wird dort reagiert.

Helfer sollen hohe Visagebühren bezahlen, um überhaupt einreisen und helfen zu dürfen, ist das nicht ein Skandal?

Müller: Das ist inakzeptabel, es betrifft den Südsudan, wo wir Bürgerkrieg haben und bis zu einer Million Flüchtlinge im Binnenland. Das können wir dem Präsidenten Kiir nicht durchgehen lassen. Hier sind die UN mit dem Generalsekretär aufgefordert, zu vermitteln.

Die Entwicklungshilfe soll verhindern, dass es überhaupt zu militärischen Interventionen kommt, was vermag Entwicklungshilfe überhaupt in Afrika?

Müller: Solche Krisen, Kriege, Hungersnöte, Naturkatastrophen, die gibt es jedes Jahr, es ist leider so. Deshalb müssen wir das Weltkrisensystem neu aufstellen. Um vorausschauend tätig zu werden, brauchen die UN einen festen Fonds, der mit zehn Milliarden Dollar gefüllt ist. Es kann nicht sein, dass die Hilfsorganisationen jedes Mal beim Ausbruch einer Hungersnot wie jetzt mit dem Klingelbeutel herumlaufen müssen, um Hilfe einzufordern. Das ist nicht zukunftsfähig. Wir müssen vorausschauend tätig sein und einen Weltkrisenfonds bei den Vereinten Nationen einrichten, der den UN-Hilfsorganisationen die Möglichkeit gibt, vorausschauend tätig zu werden. Das andere ist, dass wir mittel- und langfristig die Entwicklungszusammenarbeit insbesondere mit Afrika auf eine neue Grundlage stellen.

Gibt es eine Kooperation zwischen Bundeswehr und Entwicklungshelfern, wenn Soldaten vor Ort sind?

Müller: In den Ländern, in denen die Bundeswehr im Einsatz ist, zum Beispiel in Mali, gibt es ein abgestimmtes Mandat. Die Bundeswehr sorgt für den Aufbau von Sicherheitsstrukturen, wir kümmern uns beispielsweise um die Ausbildung junger Menschen und um Beschäftigungsförderung.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der Kirchen in Afrika - die Missionsarbeit, aber auch Entwicklungshilfe leisten?

Müller: Die Kirchen sind ein herausragender Partner. Gerade in Ländern wie Südsudan oder der Zentralafrikanischen Republik, in denen wir dramatische Verhältnisse haben, gibt es im Prinzip keinen Staat im Inneren des Landes, keine Straßen, keine Gemeinde- oder Verwaltungsstruktur, wie wir das in Europa kennen. Es gibt aber Priester und Kirchengemeinden. Diese werden von uns ganz besonders unterstützt, weil sie die Einzigen sind, die im Landesinneren Zugang zu den Menschen, den Flüchtlingen und den Hungernden haben. An der Stelle ein großes Vergelt’s Gott, was hier die Kirchen in der Welt leisten, in den Krisenregionen. Aber auch ein Aufruf, nicht nur auf staatliche Hilfe zu setzen, sondern auch private Spenden an die Hilfsorganisationen der Kirchen zu geben. Jeder kann sicher sein, jeder Euro dort kommt ganz direkt bei den notleidenden Menschen an.

Sie möchten eine Art Marshallplan für Afrika, woher nehmen Sie die Hoffnung, dass die Mittel den Menschen wirklich zugutekommen und nicht in korrupten Strukturen versickern?

Müller: Wir brauchen eine völlig neue Dimension der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika. Im Mittelpunkt stehen Ausbildung und Bildung für junge Menschen. Außerdem brauchen wir endlich einen fairen Handel mit dem afrikanischen Kontinent. Afrika ist 85 Mal so groß wie Deutschland, hat 54 Länder. Wir dürfen nicht nur auf die Krisen und Kriege blicken. Dort gibt es auch richtige Aufsteiger und Erfolgsländer. Zum Beispiel Botswana oder Ruanda, die hohe wirtschaftliche Wachstumsraten haben, die in Ausbildung der Jugend, in schulische Strukturen, in Gesundheit investieren. Hier werden wir Reformpartnerschaften bilden und mit Ländern verstärkt zusammenarbeiten, die Korruption bekämpfen und eine gute Regierungsführung haben sowie die Menschenrechte einhalten.

Wie beurteilen Sie die Rolle Chinas in Afrika? China investiert ja viel, aber hat wohl immer die Bodenschätze im Blick.

Müller: Wir dürfen keinen neuen Kolonialismus aufbauen, der nur auf Ressourcenausbeutung des afrikanischen Kontinents baut. China ist  ein großer Investor. Die Chinesen haben Investitionsmittel, die uns nicht zur Verfügung stehen. Aber diese Investitionen müssen angepasst und nachhaltig erfolgen. Sie müssen der afrikanischen Bevölkerung auch eine Perspektive bieten, sie dürfen nicht alleine zum Ressourcentransfer genutzt werden. Wir werden mit den Chinesen eine Kooperation starten, damit Investitionen auch zur Ausbildung der jungen Menschen in Afrika beitragen und für Umwelt und Menschen nachhaltig sind.