Viel Atmosphäre, viel Mummenschanz

Von Martin Köhl
Calderon-Fesstpiele zeigen "Simplicius Simplicissimus". Foto: Martin Kaufhold Foto: red

Im Sauseschritt durch eines der chaotischten Kapitel der deutschen Geschichte: Die Calderón-Festspiele in Bamberg zeigen Grimmelshausens "Simplicius Simplicissimus" - und punkten mit Abwechslung, Tempo und der Atrmosphäre.

 
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Unmissverständlicher kann eine Begrüßungsszene kaum ausfallen. Gleich der Auftakt der Inszenierung von Tobias Goldfarbs Kurzversion des „Simplicius Simplicissimus“ bei den Calderón-Festspielen in Bambergs Alter Hofhaltung macht dem Publikum klar, worum es in den kommenden anderthalb Stunden gehen wird und auf den vielhundert Seiten von Grimmelshausens Schelmenroman gegangen ist, nämlich fressen und gefressen werden, töten und getötet werden und so fort, kurzum: Täter und Opfer zugleich sein. Die Vorgeschichte um den pikaresken Titelhelden, diesen Verschnitt aus Parsifal, Don Quijote und Kaspar Hauser, ist schnell in mühevollem Frühneuhochdeutsch-Dialekt abgehandelt, die Zieheltern sind bald verloren. Dann geht’s im Sauseschritt durch einige Episoden der Saga, vom Eremitendasein und die Jahre bei der Garnisonsgesellschaft über die demütigende Zeit bei den Kroaten bis zum Dienst in den kaiserlichen Truppen und die Rolle des Simplicius als „Jäger von Soest“.

Ein bisschen Frieden

Die Überlebensphilosophie eines solch kunterbunten Curriculums kann nur lauten: sich anpassen, sich durchschlagen. Dass dafür, getreu dem Täter-Opfer-Prinzip, auch eine gehörige Portion Sado-Masochismus hilfreich sein kann, wird oft genug drastisch vorgeführt. Simplicius ist ein Getriebener, der zu Diensten sein und den Narren ebenso spielen muss, wie er sich als intersexuelles Lustobjekt für seine dekadente Zeitgenossenschaft verfügbar zu halten hat. Später, wenn ihm eine Phase als Glücksritter vergönnt ist, wird er selber zum Lüstling und erinnert so an die Austauschbarkeit von Täter- und Opferrolle.

Aber halt, das Gute kommt doch auch vor, in der Person der Obristentochter Amalia, die inmitten ihres versoffenen und verrohten Umfelds allen Ernstes „ein bisschen Frieden“ will. Immerhin ist ihr Ratschlag an Simplicius, nie die Wahrheit zu sagen, weniger naiv und zeugt damit von gewisser Lebenstüchtigkeit. Zum Guten zählt natürlich auch der „Herzbruder“ des Simplicius, der hier zu einer Herzschwester namens Johanna mutiert (Ronja Losert) und gewissermaßen als Roter Faden der Inszenierung dient. Regelmäßig taucht sie auf im umständlichen Bühnenverhau der Ausstatterin Beata Kornatowska, berichtet als Mahnerin über den Stand der grausamen Dinge jener Zeit und stellt die Metamorphosen des Protagonisten wiederholt auf die Probe.

Ein depressiver Rastloser

Als Simplicius selber dem Vagantendasein verfällt, muss er sich die moralisierenden Vorhaltungen eines Pseudo-Jupiters anhören. Bertram Maxim Gärtner zeichnet ihn als einen Rastlosen mit depressiven Zügen, der seine Befindlichkeiten oft genug aus sich heraus schreit. Johannas klugen Rat, den Schalk hinter der Narrenrolle nicht zu vergessen, scheint er kaum beherzigen zu wollen. Wenn die Titelfigur nach dem Wiedersehen mit ihrem Ziehvater als Melchior Sternfels und damit adeliger Abstammung geoutet wird, schließt sich der Kreis mit der Rückkehr zum weltabgewandten Eremitendasein.

Die Inszenierung des Berliner Regieteams Goldfarb und Quarg arbeitet mit viel Mummenschanz und Trash und damit mit viel Ablenkung, ist aber schon deshalb sehenswert, weil sie zum Glück das eherne Prinzip befolgt, dass die Würze in der Kürze liege. Das gilt für die in Bamberg uraufgeführte Textversion, nicht aber für die opulente Kostümierung. Der Textilabteilung des Theaters hat man einiges zu schneidern gegeben, etwas zu viel sogar. Der schrillen Phantasieuniformen ist man bald überdrüssig, der damit verbundenen Anspielungen auch – selbst Johnny Depp scheint durchs Gebälk zu geistern. Das sind aber nur marginale Vorbehalte angesichts eines theatralen Freilichterlebnisses, das von seiner einmaligen Atmosphäre lebt.

Wenn am Schluss die Beständigkeit des Glaubens in einer ansonsten so unbeständigen Welt beschworen wird, darf das Publikum auf den fahl beleuchteten Dom schauen – demonstrativer geht es nicht.

INFO: Weitere Termine am 3., 13., 14., 15., 16., 17. und 19. Juli, dazu am 21., 22. und 23. Juli.