Versuchter Mord: Familienvater verurteilt

Von Christine Ascherl
Verteidiger Christoph Scharf mit dem Angeklagten. Im Hintergrund der geschädigte Polizist mit seinem Anwalt. Foto: red

Im Sommer vorigen Jahres ist ein Waldershofer komplett ausgerastet. Bis dahin war der Familienvater völlig unbescholten. Bis zum 15. August 2016. Da reißt er einem Polizisten die Waffe aus dem Holster und drückt ab. Das Landgericht Weiden verurteilt den 59-Jährigen wegen versuchten Mordes an einem Polizisten zu drei Jahren Haft. Die Verteidigung kündigt Revision an.  

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Einerseits ein hartes Urteil: Das Gericht unter Vorsitz von Landgerichtspräsident Walter Leupold erhöht auf versuchten Mord, nicht Totschlag. Andererseits sieht das Gesetz eine dreifache Milderung des Strafrahmens vor: Erstens war der Täter unter dem Eindruck einer schweren Depression eingeschränkt steuerungsfähig. Zweitens blieb es beim Versuch. Und drittens zahlt der Angeklagte klaglos Schmerzensgeld. Das Strafmaß sinkt damit von lebenslänglich auf maximal 8,5 Jahre.

Am Boden zerstört

Ebenso diametral fallen die Reaktionen aus: Bei den Angehörigen, die beim Prozess keinen Tag fehlten, fließen Tränen. Der Sohn ist 17 Jahre, die Tochter Anfang 20. Ihr Vater - in Fußfesseln - bittet in seinem letzten Wort um Milde und Mitgefühl: "Ich kann mir die Tat nicht erklären. Sie sehen mich am Boden zerstört." Seit acht Monaten sitzt er in Haft. "Draußen bräuchte mich meine Familie."

59 Jahre seines Lebens hat der gelernte Industriekaufmann nichts angestellt. Er hat nicht einmal einen Punkt in Flensburg. An Mariä Himmelfahrt 2016 entriss er in seinem Einfamilienhaus einem Polizisten die Waffe.

Vier Mal abgedrückt

Er zielte auf dessen Kopf, aus einem Meter Entfernung. Die Waffe war schussbereit. Er drückte vier Mal ab, das räumt nach den Zeugenvernehmungen sogar Verteidiger Christoph Scharf ein: "Da kommen wir nicht mehr drum rum." Der Polizist blieb unverletzt, weil der Angreifer die spezielle Sicherung der Polizeiwaffe nicht löste. "Reiner Zufall", sagt Staatsanwalt Hans-Jürgen Schnappauf und erinnert an eine Episode bei den Ermittlungen: Als ein Polizist der Kripo den Tatablauf demonstrieren wollte, gab er im Garten des Tatorts unfreiwillig einen Schuss ab.

Dem Tod ins Auge geblickt

Und damit gelangt man zur anderen Seite der Geschichte: Nur zwei Plätze weiter sitzt im Schwurgerichtssaal ein weiterer 59-Jähriger: der Polizist. Auch er ist am Boden zerstört. Die Kollegen beschrieben ihn im Prozess als "Hundertprozentigen", der seinen Dienst stets ernst nahm und gewissenhaft ausübte. Jetzt ist er in psychotherapeutischer Behandlung und hat nach Aussage seines Anwalts Andreas Wölfel jede Lebensfreude verloren. "Er hat das Lachen verlernt", bedauert Vorsitzender Richter Walter Leupold und kann das nachvollziehen: "Wenn man dem Tod ins Auge blickt."

Und für das Gericht steht außer Frage: "Der Angeklagte wollte ihn töten." Warum sonst hätte er weiter abdrücken sollen, sogar noch, als ihn der Polizist schon niedergeschlagen hatte. Die Kammer sieht das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt: Der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Polizisten ausgenutzt.

Waffenkundiger Sportschütze

Staatsanwalt Schnappauf fordert 3,5 Jahre wegen versuchten Mordes, Nebenklagevertreter Wölfel ebenfalls 3,5 Jahre wegen versuchten Totschlags. Verteidiger Christoph Scharf plädiert auf Körperverletzung und ein halbes Jahr Haft, also praktisch die sofortige Entlassung. Es habe zu keiner Zeit ein Tötungsvorsatz bestanden: "Warum sollte der Angeklagte auf einen Polizisten schießen? Es gibt doch überhaupt kein Motiv." Als waffenkundiger Sportschütze sei sich der 59-jährige Waldershofer sicher gewesen, dass sich kein Schuss lösen würde.

Einig sind sich alle Juristen in einem Punkt: "Höchst unprofessionell" war laut Richter Leupold, dass der Angeklagte vier Monate vor der Tat vom Bezirkskrankenhaus Wöllershof unbehandelt wieder heimgeschickt wurde. "Er war seelisch krank und ihm wurde nicht geholfen." Nebenklageanwalt Wölfel geht noch weiter: "Wäre diese Depression schon damals entdeckt und ordnungsgemäß behandelt worden, säßen wir womöglich heute alle nicht hier." Verteidiger Scharf kündigte Revision an.

Bilder