Als Schauspieler unbekannt, aber begehrt

Von Udo Fürst
Speckte in den vergangenen Monaten 20 Kilo ab: Nikolai Will, der in Motschenbach geborene und in Kulmbach aufgewachsene „unbekannteste Schauspieler mit den meieten Rollen“. Foto: Simon Taal Foto: red

An Kulmbach und insbesondere an das Waisenhaus der Geschwister-Gummi-Stiftung hat Nikolai Will keine sehr guten Erinnerungen. Zweieinhalb Jahre – von Frühjahr 1987 bis Weihnachten 1989 – war die Einrichtung Heimat des Waisen, der im Alter von sieben Jahren nur noch 16 Kilo wog. Später führte sein Weg über Würzburg nach Köln, wo der heute 36 Jahre alte Will nach eigener Aussage zum „unbekanntesten Schauspieler mit den meisten Rollen“ wurde.

 
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Der Arbeitsnachweis des Schauspielers kann sich sehen lassen: Er war in 33 Theaterstücken und circa 150 Kurzfilmen zu sehen, war bei 100 Fernsehproduktionen,  50 Werbespots,  25 Filmen und fünf Musikvideos dabei und gewann drei Preise als bester Schauspieler in Charakterrollen. Dabei spielte er  auch in bekannten und preisgekrönten Streifen mit wie „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Tod den Hippies, es lebe der Punk“, „Männer wie wir“  oder in Serien wie „Babylon Berlin“ und „Stromberg“.

"Das Brot war verschimmelt"

Der in Motschenbach geborene Nikolai Will hatte eine schwierige Kindheit. Von der Mutter, einer Alkoholikerin, früh verlassen, der Vater gestorben als er sechs war, dann das Waisenhaus. Daran hat er zwiespältige Erinnerungen.

Die positiven: Zwei, drei Erzieherinnen seien „ganz nett gewesen.“ Die negativen: Er fühlte sich vernachlässigt, hatte oft Hunger. „Außerhalb der Essenszeit  gab es nur Brot und das war teilweise verschimmelt. Wir haben dann außen rumgeschnitten.“

Nach mehreren Krankenhausaufenthalten unter anderem wegen einer Lebensmittelvergiftung und aus „psychosomatischen Gründen“ wog der Siebenjährige kaum mehr als seine drei und vier Jahre jüngeren Mitschüler. 16 Kilo brachte er auf die Waage.

Will erinnert sich auch noch an Janosch, seinen einzigen Freund in jener Zeit. „Den würde ich gerne wiedersehen, aber ich weiß leider seinen Nachnamen nicht mehr.“

Erlösung durch die Tante

Höhepunkte im Waisenhausalltag waren die Besuche seiner Tante Dora aus Würzburg. Die Schwester seines Vaters ist verantwortlich für ein Erlebnis des Jungen, „das selbst ein Oscar-Gewinn nicht toppen könnte“: Beim Weihnachtsurlaub 1989 sagte sie ihrem Neffen, dass sie ihn aufnehme und er nicht mehr zurück ins Waisenhaus müsse. „Dieses Glücksgefühl kann ich gar nicht beschreiben“, sagt Will. „Sie bleibt immer meine Tante Dora für mich.“

In Würzburg begann dann 1998 ganz langsam die Schauspielkarriere des mittlerweile von Tante Dora „hochgemästeten“ Sechzehnjährigen. Nach einem Theaterworkshop habe das Publikum am 6. Februar 1998 das erste Mal Eintritt bezahlt, um ihn als Polizist Klein in „Arsen und Spitzenhäubchen“ zu sehen. Ein Jahr später spielte er in einem Kurzfilm einen geistig Behinderten, „eine unglaublich spannende Rolle“. Der Film sei später sogar für den bayerischen und deutschen Kurzfilmpreis für Jungfilmer nominiert worden.

Es folgten etwa 25 Theaterstücke, in denen er immer so etwas wie der Star gewesen sei. „Da wusste ich, dass ich Schauspieler werden will.“

Als Dicker ein Unikat

In Köln, wohin Will als junger Mann gezogen war, beteiligte er sich an einem Casting für eine „total grottige Gerichtssendung“  und bekam eine kleine Rolle. Wichtiger sei aber gewesen, dass er dadurch erste Kontakte zur Filmwelt habe knüpfen können.

Es war der Auftakt zu einer wahren Serie an kleinen Rollen. Nikolai Will bezeichnet sich selbst als sehr wandelbaren Darsteller – in meist komödiantischen Rollen. Das sei wohl auch seiner beachtlichen Leibesfülle geschuldet gewesen. Doch damit ist es vorbei: In den vergangenen Monaten nahm der im vergangenen Jahr bei 1,79 Meter Größe stolze 112 Kilogramm schwere Wahl-Kölner dank Extremsport und Diät 20 Kilo ab – „mit dem damit verbundenen Wechsel von Jeansgröße 40 auf 32“.

Bis Sommer will er nochmal zwölf Kilo abnehmen. Seien neue Figur ist aber für den Schauspieler auch ein Problem: „Als Dicker bist du ein Unikat, bekommst mehr Rollen, weil leider sehr nach dem Äußerlichen besetzt wird. Als  Dünner hast du dagegen mehr Konkurrenz.“

Hoffnung auf mehr Charakterrollen

Als relativ unbekannter Schauspieler ist man immer auch eine Art Lebenskünstler. So habe er zeitweise in Callcentern gejobbt, um sich über Wasser halten zu können. Seit 2013 lebt Will ausschließlich von der Schauspielerei – auch dank vieler Werbejobs, die ihm seinen derzeitigen Freiraum erlauben.

Seit September 2017 hat Will nicht mehr gedreht, es ist seine bisher längste Zeit ohne Engagement. Doch es sei eingeplant gewesen, dass 2018 ein mageres Jahr werden könnte. „Im wahrsten Sinn des Wortes, weil meine äußerliche Veränderung bis Sommer im Vordergrund steht.“ Ab Juni hofft er wieder auf mehr Aufträge – als bis dahin „Dünner“  sogar für mehr Charakterrollen.

Unabhängig davon wird über Nikolai Will seit Dezember 2014 und bis voraussichtlich Mitte 2018 eine Dokumentation gedreht. „Der Letzte im Abspann“ soll sie heißen und sie charakterisiert das Schauspielerleben des gebürtigen Motschenbachers wohl recht treffend.  

Das könnte sich aber schon bald ändern, denn im Frühjahr ist Nikolai Will in „Blockbustaz“ auf ZDF Neo zu sehen: in einer Episodenhauptrolle.

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