Köln: Polizist rechnete mit Toten

 Foto: red

Seit wann wusste die Kölner Polizeispitze vom Ausmaß der Übergriffe in der Silvesternacht? Und warum wurden Details erst so spät bekannt? Ein interner Bericht der Bundespolizei gibt Einblick in die dramatische Lage vor dem Hauptbahnhof der Domstadt.

 
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Die Polizei war nach Angaben eines leitenden Beamten frühzeitig über Ausmaß und Dramatik der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht informiert. Während der Ausschreitungen am Hauptbahnhof hätten Frauen Schutz bei der Polizei gesucht, heißt es unter anderem in einem internen Einsatzbericht des Bundespolizisten, der am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Im Gespräch mit einem führenden Landespolizisten habe er sogar befürchtet, dass das „Chaos noch zu erheblichen Verletzungen wenn nicht sogar zu Toten führen würde“, schreibt der Beamte.

In der ersten Pressemitteilung der Polizei am Neujahrsmorgen war die Stimmung in der Innenstadt dagegen als „friedlich“ bezeichnet worden. Erst zwei Tage nach Silvester hatte die Polizei über Übergriffe informiert.

Polizist spricht von "Spießrutenlauf"

Dagegen schreibt der Bundespolizist, ein Leiter der an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft, über die Zeit vor Mitternacht: „Frauen mit Begleitung und ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne „Spießrutenlauf“ durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann“. Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet.

Auffällig sei die „sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen“ gewesen. Da die Polizei „nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration“, schreibt der Bundespolizist in dem Bericht, der zunächst der „Bild“-Zeitung und dem Magazin „Der Spiegel“ vorgelegen hatte.

"Chaotisch und beschämend"

In dem Bericht wird zudem eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter beklagt. Alle eingesetzten Polizisten seien „ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gekommen“. Wegen der zahlreichen Vorfälle hätten sich die Beamten „auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen“ beschränkt. Aber: „Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe.“ Die Situation sei „Chaotisch und beschämend“ gewesen.

Die Kölner Polizei wollte sich zunächst nicht zu dem Bericht des Bundespolizisten äußern. Die Zeitung „Express“ zitierte am Donnerstag einen weiteren Beamten der Kölner Polizei, der im Einsatz war: „Ich habe junge Frauen weinend neben mir gehabt, die keinen Slip mehr trugen, nachdem die Meute sie ausgespuckt hatte“, erinnert sich dieser laut Zeitung. „Das waren Bilder, die mich schockiert haben und die wir erstmal verarbeiten mussten.“ Die Polizisten seien „damit beschäftigt (...), uns selbst zu schützen, da wir massiv angegriffen wurden“.

Kölner Polizei gibt keine Auskunft mehr

Laut Informationen von Focus Online will die Kölner Polizei nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht vorläufig keine Auskünfte mehr zum Ablauf des Einsatzes geben. Zunächst müsse man nun dem NRW-Innenministerium ausführlich Bericht erstatten, erklärte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Am kommenden Montag will sich der Innenausschuss des Landtags mit den Vorfällen befassen. "Aus Respekt vor dem Parlament werden wir bis dahin keine Auskünfte zum Einsatzgeschehen an Silvester erteilen", kündigte der Sprecher an. Dies beziehe sich etwa auf Fragen zu Uhrzeiten, Personalstärke oder dem detaillierten Ablauf der Ereignisse. Auch soll direkt nach Silvester die Herkunft der mutmaßlichen Täter verheimlicht worden sein.

 

Entsetzen auch bei Muslimen

Nicht nur die deutsche Gesellschaft ist entsetzt über die Mob-Attacken auf Frauen in der Silvesternacht. Auch viele Flüchtlinge sind schockiert über diesen toxischen Mix aus sexueller Gewalt und Diebstahl, der sich im Schatten des Kölner Doms entlud. Sie haben außerdem Angst, dass die kriminellen Machenschaften einiger Zuwanderer ihren Start in der neuen Heimat zusätzlich erschweren könnten.

Die Täter solle man «hart bestrafen», «ins Gefängnis stecken» oder «sofort abschieben», fordern Mitglieder der Facebook-Gruppe «Syrische Flüchtlinge in Deutschland». «Das war barbarisch» oder «Diese Leute sind völlig zurückgeblieben» liest man in Internet-Foren syrischer Flüchtlinge, in denen sich sonst vor allem Deutsch-Vokabeln und praktische Fragen zu den Abläufen in der deutschen Bürokratie finden. Ein junger Syrer gibt dort Tipps, wie man auf höfliche Art deutsche Frauen kennenlernen kann: «Zieh dich gut an» und «Frag nach dem Weg».

«Ein Vorurteil ist schnell da, aber es wieder zu korrigieren, ist sehr viel schwerer», warnt die in Deutschland lebende palästinensisch-syrische Journalistin Riham al-Kousaa in einem Beitrag für das Magazin «Cicero». Es sei traurig, dass die Täter von Köln offensichtlich nicht begriffen hätten, «dass sie nicht nur den Opfern und sich selbst geschadet haben. Sie schaden den Tausenden, die ihre Heimat wegen genau solcher Verbrecher verlassen haben.»

«Ich will nicht behaupten, dass da nicht auch Syrer oder Iraker dabei waren. Aber man sollte nicht vergessen, dass in der letzten Zeit auch viele Libanesen und Nordafrikaner als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, die sich als Syrer ausgegeben haben», sagt der syrische Flüchtling Hassan al-Aswad, der mit seiner Familie in Hannover lebt.

Über die Türkei nach Deutschland

Was zudem auffällt: die steigende Zahl von Marokkanern, die über die Türkei nach Deutschland kommen. Auffällig, weil es zwar auch in Marokko politische Verfolgung gibt, die Situation in dem nordafrikanischen Land aber keineswegs vergleichbar ist mit der Lage in den Staaten, aus denen zuletzt die meisten Schutzsuchenden kamen: Syrien, Irak, Afghanistan und Iran.

Die marokkanische Nachrichten-Website «Hibapress» berichtete diese Woche, in den Reisebüros der Großstadt Casablanca seien zuletzt die Preise für Flüge in die Türkei aufgrund der großen Nachfrage gestiegen. Aus den ärmeren Vierteln der Stadt hätten sich in den vergangenen Wochen Hunderte junge Marokkaner über die Balkanroute in Richtung Europa aufgemacht, nachdem bekanntgeworden sei, dass Syrer in Europa Aufnahme fänden. Die meisten von ihnen seien zuvor arbeitslos gewesen.

Im Diskussionsforum der Website forderten Leser die Regierung in Rabat auf, sich mehr als bisher um junge gesellschaftliche Außenseiter zu kümmern. Zur «Antanz-Szene» - Trickdiebe, die meist in kleinen Gruppen agieren und sich ihren Opfern tanzend nähern - gehören nach Angaben von Polizisten vor allem junge Marokkaner und Algerier.

Der Berliner Autor Ahmed Mansour («Generation Allah») ist der Meinung, dass die Debatte über die Vorfälle von Köln falsch geführt wird. Er schreibt auf seiner Facebook-Seite, während einige bemüht seien, die Taten mit dem Hinweis auf Exzesse beim Oktoberfest zu relativieren, fänden andere ihren Hass und ihr rechtes Gedankengut durch die Ereignisse bestätigt.

«Keiner redet über die Opfer», empört sich Mansour, der sich beruflich mit der Entradikalisierung islamistischer Jugendlicher beschäftigt. «In manchen arabischen Kulturen führen Erziehungsmethoden, die auf Tabuisierung der Sexualität und Abwertung von Frauen basieren, zu solchen Taten.» Und er schreibt: «Darunter leiden nicht nur blonde westliche Frauen, sondern auch jede Frau, die die krankhaften traditionellen Vorstellungen ablehnt und versucht, frei zu leben.»

dpa/red

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