Einmal geht sie zur Psychologin, aber mit der kommt sie nicht zurecht. Wirth-Baier arbeitet: Das Geschäft, sie gibt VHS-Kurse, geht auf Märkte und Ausstellungen, ist viel unterwegs. Sie therapiert sich selber mit Arbeit, bis heute. „Ich arbeite, damit ich nicht ständig dran denke.“ Und sie malt. Eva-Bilder, wie sie sagt. Im ersten Moment merkt sie es gar nicht. Sie malt Engel, immer wieder und dann sieht sie, dass sie ihre Tochter malt, unbewusst.
Freunde versuchen sie aufzumuntern, wollen sie rausholen, aber das will sie nicht, sie will allein sein. „Ich mach das mit mir selber aus“, sagt sie resolut. Wirth-Baier ist eine starke Frau. Aber sie kann nicht lange wo sein, muss wieder heim, die Wohnung ist ihr Schutz. „Eva-Maria war wie eine Schwester für mich, sie war die Partnerin, mit der ich über alles reden konnte. Wir waren uns so ähnlich. Lebhaft und temperamentvoll.“ Und die Mutter war so stolz auf die Tochter, dass sie beim Theaterspielen in ihre Fußstapfen trat. Die ersten Jahre nach Eva-Marias Tod kann sie aber nicht auf die Bühne. Dann plant die Theatertruppe einen Otto-Reutter-Abend mit spirituell angehauchten Texten, in denen es auch um Leben und Tod geht. Das kann sich Wirth-Baier vorstellen, seit dem ist sie wieder dabei. Beim Spielen kann sie die Trauer ausschalten, von einem Moment zum anderen umschwenken, der Clown sein. Das ist nur eine Rolle. Ein Freund zwingt sie quasi, bei einer Jazzband den Gesangspart zu übernehmen. Sie macht das. Und es hilft ihr etwas, auch wenn sie jedes Mal Lampenfieber hat anfangs.
Neulich sagte jemand zu ihr: „Ich glaube sie haben das Schlimmste überstanden.“ Das stimmt nicht. „Man lernt nur damit umzugehen und zu leben“, sagt Wirth-Baier. Aber manchmal genügt nur eine Kleinigkeit, um sie aus der Fassung zu bringen. Heilen wird es nie, sie kommt sich so betrogen vor um das Dasein ihres Kindes. „Ich vermisse Eva-Maria so sehr“, sagt sie weinend. Am Anfang ist sie täglich zum Grab gegangen, es ist ihr schwergefallen. Heute geht sie, wenn ihr danach ist. Wenn sie Blumen pflanzt, möchte sie am liebsten wieder ausgraben. In ihrer Wohnung stehen Fotos von Eva-Maria, aber keine Kinderbilder. Das kann sie nicht. Wenn andere sagen, man soll dankbar sein für die Erinnerungen, versteht Wirth-Baier das nicht. „Erinnerungen? Pfeifendeckel, sie ist nicht mehr da!“
Sie lebt jetzt so, wie es ist. Doch, inzwischen kann sie auch wieder lachen mal, das geht schon. Aber was Großes kommt da nicht mehr, sagt sie. Am Anfang war es sehr schwer, aber das müsse man ablegen. Und zum richtigen Glücklichsein fehlt einfach was. Mit dem anderen Unfallfahrer – er wurde damals schwer verletzt, hat sie noch Kontakt. Und auch mit Josef. Er und Eva-Maria waren damals erst ein halbes Jahr zusammen, aber es war die große Liebe. Er hatte danach nur kurz mal eine Freundin. „Aber das war halt nicht Eva-Maria“, sagt Wirth-Baier.
„Man muss sich zum Leben zwingen, sonst ist es einfach scheiße“, sagt sie, „man muss es begreifen und sich selbst rausziehen.“ Stolz ist sie, dass sie keine Medikamente braucht, um es auszuhalten. Und sie regt manches nicht mehr so auf. „Das Leben ist nicht planbar“, sagt Wirth-Baier. Ein halbes Jahr vor Eva-Marias Tod war ihre Mutter gestorben. Aber sie war alt, hatte ihr Leben gehabt, die Tochter war noch so jung. „Das ist so unfair“, sagt sie. Und ja, man wird verbittert und härter. Auch auf andere Beerdigungen kann sie nicht mehr gehen. Und sie hat die Hoffnung, dass da nach dem Leben noch etwas ist, außerhalb dieser Welt. „Ich hoffe, dass ich Eva-Maria wiedersehen werde“, sagt sie. Daran klammert sie sich.