Wer Nächstenliebe predigt, kann nicht wie ein Renaissancefürst leben. Männer wie Bertone oder der geschasste Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, der Millionen für den neuen Bischofssitz in seiner Diözese verpulverte, schaden der Kirche. Denn diese muss an die Grenzen der menschlichen Existenz gehen, sich um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, fordert Franziskus. Vor Ostern ließ er bis zu 50 Euro an mehr als hundert Obdachlose in Rom verteilen, die auf Bahnhöfen übernachten. Man mag einwenden, es handelte sich dabei nur um eine symbolische Unterstützung. Doch diese Gesten untermauern die Worte des Papstes, der mit traumwandlerischer Sicherheit die Prinzipien der Medienwelt beherrscht. Er ist greifbar, formuliert authentisch und mit Witz. Ist Franziskus deshalb oberflächlich, wie ihm vor allem seine Gegner im Vatikan vorwerfen? Macht der Papst mit seinem Vorsatz ernst, etwa auch die Vatikanbank von einem Geldwäsche-Institut zu einer wahrhaft karitativen Organisation umzuwandeln, kann er seine Kritiker Lügen strafen.
Die Botschaft des Papstes, die an den Kern christlicher Ideale rührt, ist auch für Kirchenkritiker akzeptabel, die mit dem moralischen Zeigefinger aus Rom schon lange nichts mehr anfangen können. Franziskus legt den von zahlreichen Affären verdeckten Sinn christlicher Existenz wieder frei, auch wenn er sich in wichtigen Fragen wie Abtreibung oder Homo-Ehe nicht von den Hardlinern im Vatikan unterscheidet. Er hat jedoch erkannt, dass die Kirche mit der Betonung von Verboten nicht weiterkommt. Zuviel Kredit hat sie durch Skandale wie den des Kindesmissbrauchs durch Kleriker und interne Streitigkeiten verspielt. Nur wenn die Kirche ihre Identität als Verteidigerin der Schwächsten wieder stärkt, kann sie erwarten, auch gesellschaftlich wieder ernster genommen zu werden.
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