Tanja Kinkel: Bücher haben Zukunft

Wer mit Büchern zu tun hat, ist gerade in Frankfurt. Oder schaut zumindest gebannt in Richtung Main, zur Buchmesse. Dort kann man derzeit auch Tanja Kinkel treffen. Die Bestseller-Autorin stellt gerade ihren neuen Roman "Der Schlaf der Vernunft" vor. Und sprach mit dem Kurier über die Macht des Wortes und die Zukunft des Buches.

 
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Frau Kinkel, hat das Buch eine Zukunft ?

Tanja Kinkel: Ich glaube, dass es noch eine lange Zukunft hat, ob in elektronischer Form oder als Printausgabe. Es gibt begeisterte Leser in allen Altersschichten, vom Teenager bis zum 80jährigen.

Setzt sich der Trend zum E-Book fort? Verschwindet das gedruckte Buch? 

Kinkel: Schwer zu sagen. Die konkreteste Prophezeiung habe ich von einem Verleger gehört. Der sagte, dass E-Books zumindest einen Teil der Taschenbücher verdrängen werden, wenn sie noch billiger werden. Er meinte gleichzeitig aber auch, dass Hardcover weiter bestehen wird. Das ist gut, es ist einfach ein ästhetisches Vergnügen, ein frisches Buch in die Hand zu nehmen. Ich glaube, die Zeit zumindest der schönen Bücher mit festen Einbänden geht nie  vorüber.

Wie politisch ist die Buchmesse in politisch bewegten Zeiten?

Kinkel: Bei der Eröffnungsfeier war es sehr anrührend, als eine indonesische Sängerin ein Lied von großer Aktualität sang, von einer Legende, die von einem Mann erzählt, den der Herrscher verbrennt. Und noch in den Flammen schafft er ein neues Gedicht. Die Legende erzählt von der Kraft des Wortes, davon, wie es seinen Urheber überlebt. Am selben Abend berichtete der Vorsitzende des Börsenvereins, wie viele Autoren verfolgt werden. Von diesen Autoren hat sich niemand mundtot machen lassen. Auch Salman Rushdie nicht, der gestern ebenfalls gesprochen hat. Diese Wirkung des Worts kann sich auf der anderen Seite auch vor Augen führen, wenn man bedenkt, wie man die Situation der Flüchtlinge in eine  euphemistische Sprache packt: Was ist zum Beispiel eine "Transitzone" anderes als ein Gefangenenlager? Es ist wichtiger denn je, für Menschen einzustehen. Dabei bleibt das Buch ein Medium, mit dem Menschen versuchen, eine große Anzahl anderer Menschen zu erreichen. Ob im Internet oder schriftlich - Hauptsache, es wird gelesen.

Appelle bewirken etwas

Wie kann man verfolgten Schriftstellern wie Salman Rushdie helfen?

Kinkel: Wir vom Pen-Club tun das aktiv, indem wir nicht zulassen, dass man diese Schriftsteller totschweigt. Wir lesen immer wieder aus den Werken von inhaftierten und verfolgten (und raus) Autoren vor. Wir sagen den Menschen, das sind die Texte, die andere ins Gefängnis gebracht haben. Das Wort lässt sich nicht zerstören. Natürlich darf man das nicht nur als Ideal hochhalten, sondern muss auch aktiv etwas dafür tun. Ich habe mich sehr gefreut, dass ein ghanaischer Autor, aus dessen Werken wir vergangenes Jahr vorgelesen haben, nun aus der Haft entlassen worden und nach Deutschland gekommen ist. Er erhält ein Stipendium. Seine Freiheit hat er auch durch eine konzertierte Kampagne wiedergewonnen. Bei Raif Badawi, der in Saudi Arabien im Gefängnis sitzt,  haben die Appelle aus dem Ausland die unmenschliche Strafe des Auspeitschens aufgehalten. Sobald die Aufmerksamkeit nachlässt, steigt jedoch die Gefahr. Wissen Sie übrigens, wo mehr Journalisten und Schriftsteller verfolgt werden als irgendwo sonst in der Welt?

Wenn Sie so fragen, dann kaum bei den üblichen Verdächtigen wie Iran oder China?

Kinkel: In Mexiko. Das ist noch zu wenigen Menschen bewusst. Man muss die Aufmerksamkeit darauf lenken. Da jeder, der sich entfernt für Bücher interessiert, gerade nach Frankfurt schaut, ist die Buchmesse ein ideales Forum dafür. 

Die Buchmesse wirft immer wieder auch Schlaglichter auf Länder, die sonst nicht so beachtet werden. Wie der aktuelle Ehrengast Indonesien.   

Kinkel: Ja, und das ist sehr gut so. Vor 70 Jahren konnten in Indonesien nur fünf Prozent der Menschen lesen, jetzt sind es 95 Prozent. In Louisiana hingegen gibt es 47 Prozent Analphabeten, in einem Bundesstaat eines der reichsten Länder der Welt. Die Buchmesse bietet eine Chance, die Kultur der Länder kennenzulernen, auf die wir normalerweise nicht so achten. Wie beim Gast Indonesien, ein riesiges Land, in dem die Menschen Hunderte von Sprachen sprechen und sich in einer Vielzahl von Schriften mitteilen.  Die Buchmesse ist auch eine Einladung, die Vielfalt der Welt kennenzulernen.

INFO: Tanja Kinkel, geboren 1969 in Bamberg, ist eine der erfolgreichsten Autorinnen deutscher Sprache. Ihre Bücher haben eine Auflage von über sieben Millionen. Demnächst, am 2. November,  erscheint ihr neuer Roman "Der Schlaf der Vernunft", ein Drama von Schuld und Vergebung vor dem Hintergrund des Deutschen Herbstes. Droemer, 448 Seiten, 19,99 Euro.

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