Der aktuelle Flächenverbrauch in Bayern liegt bei 24 Fußballfeldern pro Tag Täglich 17 Hektar weniger Land

Von 
und Tilman Toepfer
Matsch statt sattem Grün: So sah es einst an dieser Baustelle an der A70 bei Harsdorf aus. Auch hier wurden Grünflächen in hohem Maß geopfert. Foto: Archiv Foto: red

Hunger nach Bauland, Gewerbeflächen und Verkehrswegen lässt nicht nachUnentwegt verschwinden wertvoller Wald und unersetzliches Ackerland unter Beton und Asphalt. Der aktuelle Flächenverbrauch in Bayern liegt bei 17 Hektar pro Tag. Das sind rund 24 Fußballfelder.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Bund Naturschutz (BN) und Bauernverband (BBV) ziehen wahrlich nicht immer an einem Strang, in einem Punkt aber sind sie sich einig: „Unsere landwirtschaftliche Nutzfläche verringert sich täglich, das ist ein untragbarer Zustand“, sagt Gerhard List, Geschäftsführer der Bayreuther Geschäftsstelle des Bayerischen Bauernverbands. Und Tom Konopka, beim Bund Naturschutz zuständig für Mittel- und Oberfranken, betont im Gespräch mit dem Kurier: „Die Bevölkerung in Oberfranken sinkt und wird auch weiter sinken. Daher ist es unverantwortlich, dass immer noch Wohngebiete ausgewiesen werden dürfen, wenn zugleich die Dorfkerne leerfallen.“

Jahr für Jahr gibt es neue Zahlen zum Flächenfraß. Zum Leidwesen nicht nur von organisierten Naturschützern und Bauern unterscheiden sie sich kaum von den vorangegangenen. Das bayerische Umweltministerium hat die neuesten Daten zum Thema veröffentlicht. Antwort Nummer eins: „Der aktuelle Flächenverbrauch beträgt 17 Hektar pro Tag.“ Rund 24 Fußballfelder sind das. Kein Bundesland verbraucht auch nur annähernd so viel Fläche wie Bayern.

Hunger will nicht nachlassen

Der Hunger nach Bauland, Gewerbeflächen und Verkehrswegen will einfach nicht nachlassen. Doch nicht nur, dass der Flächenfraß nicht zu bremsen ist. Die Entwicklung ist insgesamt auch von der Bevölkerungsentwicklung abgekoppelt. Das zeigt ein Vergleich, auf den BN und BBV hinweisen: Während die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Bayern von 1980 bis 2012 um 45 Prozent wuchs, erhöhte sich die Einwohnerzahl in dem Zeitraum nur um 14 Prozent. Wohlgemerkt in ganz Bayern. In Oberfranken ist die Entwicklung gegenläufig. Oder wie es Konopka sagt: „Oberfranken hat, obwohl die Bevölkerung sinkt, einen hohen Flächenverbrauch pro Kopf.“ Allerdings sind in diese Berechnung auch Naturschutzgebiete und Erholungsflächen mit eingeflossen. Wie Petra Gräßel, Leiterin des Sachgebiets Städtebau bei der Regierung von Oberfranken, auf Kurier-Nachfrage mitteilt, stagniert der Flächenverbrauch bei Siedlungs- und Verkehrsflächen in Oberfranken. Im Jahr 2012 waren im hiesigen Regierungsbezirk 83 963 Hektar Fläche überbaut, 950 Hektar mehr als im Jahr 2010.

Nach den Zahlen aus dem Ministerium wurden 2012 in Bayern insgesamt 6231 Hektar Natur von Neubaugebieten und Straßen aufgefressen. Einsam an der Spitze des Verbrauchs steht das wirtschaftlich potente Oberbayern mit 1747 Hektar, Unterfranken und Mittelfranken liegen mit 628 beziehungsweise 624 Hektar nahezu gleichauf, Oberfranken ist in der Flächenverbrauchs-Statistik mit „nur“ 457 Hektar Schlusslicht. „Die Ursachen des Flächenverbrauchs sind vielfältig“, fasst das Ministerium lapidar zusammen und prangert die „interkommunale Konkurrenz um Einwohner und Gewerbe“ an. Das Sachgebiet 24 der Regierung von Unterfranken wird da konkreter und spricht von „Wettrüsten“ und „Kirchturmdenken“. Vielerorts halten Kommunalpolitiker neue Bau- und Gewerbeflächen für eine Art Allheilmittel, um die Infrastruktur auszulasten, junge Familien anzulocken oder die Gemeindekasse zu füllen. Dafür wird nicht selten die Verschuldung erhöht, so die Behörde, und auf Dauer steigen die Kosten für die Infrastruktur. Petra Gräßel von der Regierung von Oberfranken bestätigt, dass durch das Ausweisen immer neuer Wohngebiete der Bevölkerungsrückgang nicht gestoppt werden kann. Viel entscheidender sei die Lebensqualität. Inzwischen hätten auch einige Kommunen angefangen, die Versorgungsstrukturen in ihrem Ort zu verbessern. „Dann kommen auch die Zuzüge.“ Hingegen: „Wenn wichtige Infrastruktureinrichtung nicht da sind, dann nützt auch ein schönes Baugebiet nichts.“

Bei den Landgemeinden sind der Regierung ohnehin die Hände gebunden. „Wir sind die Genehmigungsbehörde von Bauleitplänen für die kreisfreien Städte und die Großen Kreisstädte in Oberfranken“, sagt Petra Gräßel. Für die Landkreisgemeinden ist das jeweilige Landratsamt Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde. Die Regierung könne zwar mahnen und Bedenken vortragen, wenn mit Grund und Boden nicht sparsam umgegangen wird oder es gar keine Prognose beziehungsweise Bedarfsermittlung gibt. Doch diese Einwände können von der Gemeinde „weggewogen“ werden, wie es im Behördenjargon heißt. Grund ist die in Bayern hochgeschätzte Kommunale Selbstverwaltung. „Die Kommunale Planungshoheit ist verfassungsrechtlich verankert. Die Gemeinderäte müssen die Verantwortung übernehmen, mit Ressourcen sparsam umzugehen“, betont Petra Gräßel.

„Da tut sich einiges"

Was das viel zitierte Kirchturmdenken betrifft, gebe es inzwischen durchaus auch positive Entwicklungen. Laut Gräßel bilden sich in Oberfranken immer mehr interkommunale Arbeitsgemeinschaften, die gemeinsam Flächen für Einzelhandel oder Gewerbe ausweisen. „Da tut sich einiges“. Etwa bei der Zukunftsallianz Nördliches Fichtelgebirge, der Zukunft Frankenwald oder dem Wirtschaftsband A9 mit 18 Kommunen entlang der Autobahn.

Das andere Problem in puncto Flächenfraß sind die Wohngebiete. Dafür, dass in Oberfranken trotz Bevölkerungsrückgangs immer noch Neubaugebiete ausgewiesen werden, hat Tom Konopka vom Bund Naturschutz kein Verständnis. Zu dem aus seiner Sicht unsinnigen Flächenverbrauch kämen überdies noch unüberschaubare Kosten dazu. Schließlich ist es nicht mit der Ausweisung und Erschließung der Gebiete getan: „Nach 20 Jahren muss ja schon wieder saniert werden. Innerhalb von 50 Jahren summieren sich die Kosten noch mal auf die Höhe der Erschließungskosten. Das heißt, wir bürgen den nachfolgenden Generationen extrem viel auf.“

Und Konopka nennt einige Großprojekte in Oberfranken, die dem Bund Naturschutz ein Dorn im Auge sind: Etwa die Ausweisung von 20 Hektar Gewerbegebieten bei Ebensfeld (Landkreis Lichtenfels). Laut Konopka hat es diebeszüglich eine Bitte seitens des Innen- und des Umweltministeriums gegeben, sich mit der Ausweisung zurückzuhalten. Freilich ohne Erfolg. Die Bitte aus München verhallte im westlichen Oberfranken ungehört. Dort hieß es: Wir müssen schauen, dass wir hier vorankommen. In diesem Fall fand man in München kein Rezept gegen das Kirchturmdenken vor Ort.

Weitere „Großbaustellen“, die dem Bund Naturschutz Magengrimmen bereiten: der geplante vierspurige Ausbau der B173 Richtung Kronach (Konopka: „Ein Kampfthema für die nächsten Jahre.“), ein Flugplatz bei Coburg, dem 50 Hektar zum Opfer fallen sollen („großer Flächenfraß“), oder der vierspurige Ausbau der B303 durchs Fichtelgebirge, der noch nicht vom Tisch ist („Da würde man eine Mautausweichstrecke errichten“). Großes Unverständnis rufen bei Konopka auch die Vorgänge im Gewerbegebiet bei Himmelkron hervor. Wie berichtet, steht dort die Ansiedlung eines großen Möbelmarktes zur Debatte. Dieser hätte neben der Flächenversiegelung laut Konopka einen weiteren negativen Effekt: „Bislang zeigen solche Großmöbelmärkte, dass Arbeitsplätze im Verhältnis drei zu eins abgebaut werden. Drei Arbeitsplätze werden abgebaut und einer geschaffen. Dadurch verlieren wir Arbeitsplätze in der Region.“

Doch beim Bund Naturschutz will man nicht nur schimpfen. Peter Ille, Geschäftsführer der Bayreuther Kreisgruppe, verweist auch auf Positives. So gibt es bei der Stadt Bayreuth seit einigen Jahren ein Flächenkataster, in dem Flächen erfasst werden, die bebaut werden dürfen, aber noch unbebaut sind. „Das ist sehr nützlich, um den Flächenverbrauch in und um Bayreuth gering zu halten.“ Und Ille zieht einen Vergleich zu Bamberg, den in diesem Fall Bayreuth gewinnt: „Bayreuth ist noch recht kompakt geblieben. Wir haben noch einen erkennbaren Stadtrand.“

Autor

Bilder