Ein Syrer und eine Deutsche sprechen über Pünktlichkeit, zarte Hände und darüber, wie Integration funktioniert Syrer und Deutsche sprechen über Werte

Von Sarah Bernhard
Der Syrer Ahmad Chaban und Angelika Steuer können über alles reden. Auch über Unterwäsche und Frauen. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Ahmad Chaban floh vor einenhalb Jahren aus Syrien. Angelika Steuer betreut die Asylbewerber in Warmensteinach. Die beiden kennen sich seit einem Jahr. Und können über alles reden. Ein Gespräch über Unterwäsche, Frauen und darüber, wie Integration funktionieren kann.

 
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Ahmad Chaban (37) floh vor eineinhalb Jahren mit seiner Frau und seinen fünf Kindern aus in Syrien. Sie lebten zunächst in der Flüchtlingsunterkunft in Fichtelberg, seit sie anerkannt sind, haben sie eine Wohnung in Warmensteinach. Zuvor war er als Lastwagenfahrer im gesamten Nahen Osten unterwegs.

Angelika Steuer (61) betreut seit Herbst 2014 die Asylbewerber im ehemaligen Gasthof Puchtler. Die beiden kennen sich seit einem Jahr, Chaban hilft Steuer regelmäßig „beim Dolmetschen, Organisieren, Schimpfen“. Dafür kann sie ihn alles fragen, was sie schon immer über die syrische Kultur wissen wollte.

Herr Chaban, was ist der größte Unterschied zwischen Syrern und Deutschen?

Ahmad Chaban: Die Kultur. Die Arbeit. Und das System. Ungefähr alles.

Angelika Steuer: Er hat mal gesagt, dass wir dauernd auf die Uhr schauen. Ich habe mich beobachtet, das stimmt. Einmal haben wir ihn zu einem Termin nach München mitgenommen, da sagte er: Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben zu einem Freund sagen müssen, dass ich keine Zeit habe.

Chaban: Früher wäre ich einfach drei Stunden später gekommen, bei uns ist das normal. Nur wenn man zu einem Beamten muss, ist man pünktlich.

War die Umstellung schwierig?

Chaban: Am Anfang schon, aber man muss das lernen. Man kann nicht in Deutschland leben oder arbeiten, ohne das System zu kennen.

Steuer: Er hat jetzt sogar einen Terminkalender.

Chaban: Und es ist das erste Mal, dass ich Jeans trage.

Warum?

Chaban: Weil hier alle Männer Jeans tragen. Ich muss nicht wie ein Deutscher werden, aber ich muss mich ein bisschen anpassen.

Steuer: Aber bei uns trägt keiner weiße Socken.

Chaban: Ich trage nur weiße Socken. Und weiße Unterwäsche. Ist vielleicht was in meinem Kopf.

Steuer: Mit Ahmed kann man einfach alles besprechen. Zum Beispiel, wie man in Syrien Mädchen kennenlernt.

Und wie?

Chaban: Bei uns bringen die Frauen den Kaffee. Wenn Zucker drin ist, ist sie interessiert, ohne Zucker nicht, wenn Salz drin ist, heißt das: Sofort weg. Und keiner sonst merkt es.

In Syrien dürfen unverheiratete Männer und Frauen nicht einmal miteinander sprechen. Sie beide reden aber sehr offen.

Steuer: Ich bin eine verheiratete ältere Frau, die dürfen mehr.

Chaban: Bei uns gibt es heute viele Interpretationen des Korans. Aber früher ging das tatsächlich nicht, da sprachen Männer und Frauen nur miteinander, wenn es wirklich wichtig war.

Fühlen Sie sich eher syrisch oder deutsch?

Chaban: Weder noch. Es gibt gute Sachen in Syrien und gute Sachen in Deutschland, und ich suche mir von beidem das Beste heraus.

Was ist gut an Syrien?

Chaban: Die Familie. In Deutschland gibt es leider keine Familie, der Sohn ist in Hamburg oder München, Mama und Papa sind vielleicht getrennt.

Und was ist gut an Deutschland?

Chaban: Das Sozialsystem. Jobcenter, Sozialhilfe, Rente, das ist alles viel besser als in den arabischen Ländern.

Steuer: Aber den Leuten ist nicht klar, welchen Preis wir für diesen Luxus bezahlen. Etwa die Auflösung der Familie, weil man hin muss, wo Arbeit ist.

Chaban: Ich kann ohne meine Familie nicht leben. Vater und Mutter, wenn sie alt sind, ins Heim bringen, das geht nicht. Mein Vater hat mir sein Leben gegeben, ich muss etwas zurückgeben, kochen, putzen, waschen. Kein fremder Mensch kommt zu meinen Eltern.

Steuer: Stehst du auf, wenn dein Vater reinkommt?

Chaban: Ja, und ich höre auf zu sprechen, außer wenn er mich etwas fragt.

Stehen Ihre Söhne auch auf, wenn Sie reinkommen?

Chaban: Mein Vater hat nie gesagt: Steht auf. Das machte man einfach. Meine Kinder haben aber nie andere arabische Kinder gesehen, ich musste es erklären. Das geht nicht so einfach.

Steuer: Wenn ihr hier eine Weile gewohnt habt und zurückgeht, würden sie Probleme bekommen.

Chaban: Ein bisschen. Aber sie können gucken, was die Leute machen und es dann nachmachen. Vielleicht dauert es ein Jahr, aber es geht.

Steuer: Hier gibt es ja auch einen unausgesprochenen Kodex: Wir Frauen sind taff und benehmen uns wie Männer. Wir klopfen ihnen auf die Schulter, aber sie dürfen uns nicht anfassen. So etwas müssen wir erklären.

Integration geht also nur mit Reden?

Steuer: Erklären, reden, fragen, sonst werden die Leute unsicher. Wenn sie merken, dass sie anecken, werden die einen Rüpel, die anderen ziehen sich zurück und finden uns komisch.

Herr Chaban, finden Sie uns taffe deutsche Frauen komisch?

Chaban: Das ist schwer. (Er zögert.) Ich, und 80 Prozent der syrischen Leute, meinen, dass eine Frau nett und hübsch sein sollte, zarte Hände haben, leise sprechen. Wenn sie hart arbeitet, ist sie keine richtige Frau.

Und wie bringen wir das jetzt mit unserem Frauenbild zusammen?

Steuer: Die arabischen Frauen müssen auch taffer werden, sonst gehen die hier unter. Die sitzen irgendwann doch nur noch rum und werden depressiv. Nicht jede muss den Führerschein machen, aber es ist immer ein Mix.

Herr Chaban, darf Ihre Frau den Führerschein machen?

Chaban: Freilich. In meiner Religion ist es egal, ob Frauen den Führerschein machen oder nicht. Sie wird hier nach ihrem Deutschkurs auch arbeiten. Weil es normal ist. Wenn ich nicht will, dass Frauen Autofahren und arbeiten, warum komme ich dann nach Deutschland? Da kann ich doch gleich in ein anderes Land gehen.

So klappt es mit der Integration: Drei Projekte aus der Region

Bei den Kindern anfangen

Sagy Cohen (38) betreut die Flüchtlingskinder in Weidenberg und Fichtelberg und vermittelt zwischen Schule und Familien.

Die wichtigste Voraussetzung für Integration: „Geduld. Integration ist ein Prozess, keiner ändert sich sofort und voller Freude. Kinder sind in einer Zwischenposition: In der Schule integrieren sie sich, daheim gelten Traditionen. Eltern müssen lernen, Kinder zu unterstützen.“

Diese Werte vermittle ich: „Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein. Dass man auf sein Herz hört und nicht die Parolen, die von außen kommen, blind nachspricht. Auf beiden Seiten.“

Das bringt mein Projekt: „Beim Mädchenfußball gab es das Problem, dass der Trainer ein Mann ist und die Jungs gleich daneben spielen. Ich habe vermittelt, jetzt genießen die Mädchen es.“

Sich immer wieder begegnen

Sarah Rupprecht (25) koordiniert das Begegnungscafé mit Kleiderkammer in Creußen. Asylbewerber und Creußener können zusammen Kuchen essen, reden oder Spiele spielen.

Die wichtigste Voraussetzung für Integration: „Dass beide Seiten neugierig sind und sich auf die jeweils andere Kultur einlassen. Wir haben jetzt Uno gelernt und den Flüchtlingen schon einige unbekannte Kuchen angeboten. Integration gelingt am besten durch Tun.“

Diese Werte vermitteln wir: „Toleranz und Offenheit. Dass man manche Sachen auch einfach mal so stehen lassen muss.“

Das bringt unser Projekt: „Der überwiegende Teil der Creußener Flüchtlinge kommt und nach einem etwas schleppenden Anlauf auch immer mehr Einheimische.“

Kultur erklären

Ibukun Koussemou (32) hält Vorträge über interkulturelle Kompetenz. Er arbeitet als Asylkoordinator bei der Stadt Bayreuth.

Die wichtigste Voraussetzung für Integration: „Sich zu begegnen und aneinander anzupassen, ohne die eigene Identität zu verleugnen. Fast jeder ist ein Migrant. Wenn ich zum Studieren meinen Geburtsort verlasse, bin ich schon fremd.“

Diese Werte vermittle ich: „Kultursensibilität. Schon innerhalb Deutschlands ist die Kultur sehr vielfältig, schauen Sie sich nur Oberfranken und Oberpfälzer an.“

Das bringt mein Projekt: „Zu meinen Vorträgen kommen Menschen mit Ängsten, die dann merken: Die schlafen wie wir, die essen wie wir, die sind nicht so brutal wie wir denken. Sie und andere bereite ich darauf vor, Migranten eine Chance zu geben.“

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