Palliativ-Chefarzt äußert sich zum heiklen Thema Suizid-Beihilfe nicht Aufgabe des Arztes

Von Elmar Schatz
Lehnt Suizid-Beihilfe ab: der Chefarzt der Palliativ-Station am Klinikum Bayreuth, Dr. Wolfgang Schulze. Foto: red Foto: red

Zur aktuellen Sterbehilfe-Debatte betont der Chefarzt der Palliativstation am Klinikum Bayreuth, Dr. Wolfgang Schulze, er werde nicht bei einem Suizid assistieren. Wird die Bitte um Suizid-Beihilfe häufig vorgetragen?

 
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Herr Dr. Schulze, wie stark beschäftigt das Thema Suizid-Beihilfe die Palliativ-Medizin?

Chefarzt Wolfgang Schulze:  In erheblichem Maße.

Gehört dieses Thema zu Ihrer täglichen Arbeit?

Schulze: Nein, es ist eine politische Diskussion. In der täglichen Arbeit werde ich praktisch nicht damit konfrontiert. Seit zwölf Jahren haben wir die Palliativ-Station am Klinikum Bayreuth. Und die Frage nach Suizid kommt vom Patienten extrem selten, und wenn auch nur am Anfang der palliativmedizinischen Behandlung. Aber ich werde natürlich als Arzt, der mit lebensbedrohlichen Erkrankungen täglich arbeitet, politisch immer wieder gefragt: Wie steht ihr dazu. Vom Patienten her werde ich praktisch nicht damit konfrontiert.

Hilft die Patientenverfügung, in der steht, lebensverlängernde Maßnahmen seien zu unterlassen, oder lässt sie Fragen offen?

Schulze: Sie hilft auf jeden Fall – und sie lässt Fragen offen, beides ist richtig. Denn sie muss immer interpretiert werden. Sie ist zu einem Zeitpunkt geschrieben worden, der nicht mit dem aktuellen Zeitpunkt übereinstimmt. Da können immer neue Gesichtspunkte hinzugekommen sein. Es stellt sich die Frage der Anwendbarkeit. Trifft das, was in der Patientenverfügung als Voraussetzung steht, aktuell zu? Da steht etwa drin: Wenn ich mich im Sterbeprozess befinde. Das muss interpretiert werden: Ist der Sterbezeitpunkt jetzt da? Also, es ist immer interpretationsbedürftig immer, aber die Verfügung ist eine enorme Hilfe.

Könnten Sie deutlich machen, wie schwierig die Interpretation sein kann?

Schulze: Ein Beispiel, ein Patient schreibt in die Patientenverfügung, wenn ich mich im Sterbeprozess befinde oder wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht, möchte ich nicht an Schläuche angeschlossen werden. Das ist eine häufige Formulierung; sie besagt aber gar nichts. Denn wenn die Blase übervoll ist und der Urin nicht abfließen kann, dann ist der Patient mit einem Blasenkatheter beschwerdefrei – das ist auch ein Schlauch. Patienten haben häufig das Bild vor Augen, auf der Intensivstation mit vielen Schläuchen versorgt zu werden. Doch an einen Schlauch angeschlossen zu werden, kann ein einfaches und sehr hilfreiches Mittel sein. Das ist eine missverständliche Formulierung in der Patientenverfügung.

Wo liegt die Grenze zu unterlassener Hilfeleistung?

Schulze: Jede ärztliche Maßnahme benötigt zwei Voraussetzungen. Erstens, es muss indiziert (angezeigt)  – also ärztlich sinnvoll sein – sonst darf ich es nicht machen. Und zweitens:  Der Patient muss zugestimmt haben. Sonst darf ich es nicht machen. Egal welche Maßnahme! Wenn ein Patient klar bei Bewusstsein ist und eine lebenserhaltende Maßnahme ablehnt, dann darf ich sie nicht durchführen. Das kann zum Beispiel auch eine Dialyse sein. Wenn jemand eine künstliche Niere benötigt - und sagt irgendwann: Ich möchte keine weitere Dialyse haben, dann muss der Arzt in eingehenden Gesprächen die Konsequenzen erläutern, auch dass die Unterlassung rasch zum Tode führt. Dann kann der Patient sagen: Ich möchte sie trotzdem nicht haben. Dann darf er die Dialyse nicht bekommen. Der Patient hat das Recht, die ärztliche Maßnahme zu verweigern.

Dann kann der Arzt juristisch nicht belangt werden?

Schulze: Es gibt eine Ausnahme: Wenn der Patient diese Willensbekundung in einem Zustand äußert, bei dem er selber die Situation nicht richtig einschätzen kann. Typisches Beispiel ist eine schwere Depression. Der Patient, der sich in einer schweren Depression befindet, ist erstens leidend, braucht Hilfe, und zweitens gehört bei der Depression der Todeswunsch häufig dazu. Wenn man das nicht erkennt, macht man einen Riesenfehler. Wenn man einem Patienten, der eine Depression hat, wichtige, lebenserhaltende Maßnahmen verweigern würde, wäre das schrecklich. Man muss versuchen, jedem Menschen mit Depression dazu zu verhelfen, dass er medizinische Maßnahmen durchführen lässt. Dass er Medikamente gegen die Depression bekommt und nicht leidet.

Wie verhält sich der Arzt, wenn Angehörige eines Todkranken drängen, keine weiteren lebenserhaltenden Schritte zu unternehmen?

Schulze: Wenn der Patient eine Patientenverfügung hat, bei der immer eine Vorsorgevollmacht dabei sein sollte, mit der die Angehörigen autorisiert worden sind, für den Patienten zu sprechen, seine Interessen zu vertreten, habe ich keine Probleme damit. Wenn da drin steht: Fragt meine Frau oder fragt meinen Mann, wenn ihr wissen wollt, was ihr mit mir tun sollt, dann gilt das, was mir der Angehörige sagt, wie das Wort des Patienten. Wenn keine Vorsorgevollmacht existiert, muss ich versuchen, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ergründen. Dabei helfen Informationen von Angehörigen, aber der Arzt darf sich nicht darauf verlassen. Denn es können durchaus manchmal wirtschaftliche Interessen dahinter stecken, wenn die Angehörigen sagen, er soll nicht mehr leiden, er wird bald sterben – und in Wirklichkeit geht es darum, dass sie das Haus erben wollen. Der Arzt ist in der Verantwortung, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erkunden. Dazu ist es sinnvoll, dass er auch andere befragt, Freunde des Patienten zum Beispiel, den Hausarzt und andere.

Ein schwieriges Terrain für den Arzt.

Schulze: Was der Patient wollen würde, muss er herausfinden. Es kommt nicht darauf an, was vernünftig ist. Der Patient kann durchaus etwas Unvernünftiges verlangen. Aber der Arzt muss herauskriegen: Was würde er wollen? Insofern ist die Patientenverfügung hilfreich oder die Vorsorgevollmacht.

Wie stehen die Palliativ-Mediziner grundsätzlich zur Sterbehilfe?

Schulze: Die deutschen Palliativ-Mediziner sind ganz überwiegend der Meinung, dass eine Suizid-Beihilfe keine ärztliche Aufgabe sein sollte. Und dass es Lösungen gibt, Leiden so weit zu lindern, dass der Wunsch nach Suizid abklingt. Suizid-Beihilfe ist eine Maßnahme, die den Patienten unmittelbar zum Tode führt. Die Suizid-Beihilfe ist nicht strafbar, weil der Suizid auch nicht strafbar ist. Das sollte auch so bleiben! Für Ärzte will man jetzt ein besonderes Gesetz machen. Es gibt im Wesentlichen zwei Extreme, nach denen die Ärzte entweder bestraft werden können oder straffrei bleiben. Ich würde am bestehenden Gesetz gar nichts ändern. Ich sehe es nicht als meine ärztliche Aufgabe an und möchte auch nicht dafür bezahlt werden, bei einem Suizid zu assistieren. Denn darauf läuft es hinaus, wenn das ärztliche Aufgabe werden würde. Dann müsste das ja auch eine Kassenleistung werden. Ich werde als Arzt nicht einem Suizid assistieren. Und ich brauche es auch nicht, weil wir die Beschwerden soweit lindern können – und sei es durch eine Sedierung (Ruhigstellung) – in der letzten Lebensphase, dass es nicht mehr als Qual empfunden wird.

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