Studiobühne zeigt "Anna Karenina"

Von Michael Weiser
Liebe ohne Zukunft: Anna Karenina wird vermutlich auch an der Studiobühne kein Happy End erleben. Foto: Thomas Eberlein Foto: red

Ein Klassiker feiert am Freitag, 2. März, Premiere bei der Studiobühne: In der Fassung von Armin Petras inszeniert Marieluise Müller "Anna Karenina".

 
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In Leo Tolstois epochalem Roman „Anna Karenina“ gibt es einen Satz, der es fast zum Status einer Redewendung gebracht hat. Es ist der erste Satz des romans, und er lautet: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich.“

Es gibt, nimmt man den Satz ernst, also einen gemeinsamen Nenner für alle glücklichen Beziehungen. Für Marieluise Müller, Regisseurin an der Studiobühne, sieht dieser Nenner so aus: „Es geht dann gut, wenn beide Realisten sind. In dem Stück kommen aber keine Realisten zusammen.“ Stück, damit meint sie Armin Petras’ Bearbeitung des dickleibigen Romans; Petras hat die 1000 Seiten des Tolstoi-Werks auf rund 75 Seiten eingedampft, und diese ganz eigene Adaption feiert heute Abend bei der Studiobühne Premiere. Mit einer Woche Verspätung, wegen der Grippewelle, die auch Mitglieder des Theater-Personals niederwarf.

Ein eigenständiges Stück

Armin Petras ist Intendant des Staatstheaters Stuttgart, ein vielseitiger Regisseur und vielfach ausgezeichneter Autor, den mancher aber vielleicht eher unter dem Künstlernamen Fritz Kater kennt. Marieluise Müller gerät ins Schwärmen, wenn sie von Petras spricht, von seiner Sprachmacht, seiner Fähigkeit, ein Werk bühnentauglich zu machen, das wesentliche herauszuarbeiten, ohne das Werk zu zerstören. So ist sie ihm voller Begeisterung gefolgt – auch nach dem zwanzigsten Mal anschauen während der Probenarbeit könne sie keine Längen wahrnehmen, sagt sie. „Petras hat ein eigenständiges Stück geschrieben“, sagt Marieluise Müller. „Ein kluger Theatermann, der Petras.“

In einigem ist sie dennoch abgewichen. Petras bringt seinem „ganz eigenständigen Stück“ (Müller) ein paar moderne Zutaten ein, Kopfhörer etwa. Müller empfindet diese Zutaten als irritierend und vor allem unnötig. Es bleibe auch ohne Unterhaltungselektronik zeitlos, findet sie. Sie hat ihren Petras außerdem ihrerseits eingedampft. Und außerdem hat sie eine Rolle dazu erfunden. Genauer: Sie hat den Fürsten Wronski, der mit Anna Karenina Ehebruch begeht, doppelt besetzt. Ein Schauspieler handelt, ist sozusagen die tätige Hülle. Ein anderer Schauspieler ist der Schatten, der über der Beziehung mit Anna liegt: Wronskis Gedanken, sein alberner Realitätssinn, seine Schwachheit, seine dunklen Seiten. Man ahnt es: Auch diese Fassung geht nicht wirklich glücklich aus.

Kann den Liebe glücklich sein?

„Petras schätzt die Möglichkeiten, in einer Beziehung glücklich werden zu können, noch geringer ein als Leo Tolstoi“, sagt Marieluise Müller. Und er geht dabei stärker auf die Psyche der Liebenden ein als auf den gesellschaftlichen Druck, der auf ihnen lastet.“ Ein Rätsel bleibt Anna Karenina, natürlich. Warum will sie ihrem Leben ein Ende setzen? Ist sie einfach von Wronski nur enttäuscht? „Ich glaube, sie ist von Anfang an vom Leben an sich enttäuscht“, sagt Marieluise Müller. Anna Karenina könnte sich in dieser Lesart als Schwester von Tschechows Theaterfiguren erweisen.