Interview mit Georg Hage vor seinem Einstandskonzert als Dirigierprofessor an der Hochschule für evangelische Kirchenmusik „Stärker ins Bewusstsein der Bürger rücken"

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

Seinen Vorgänger Karl Rathgeber kennt in der Bayreuther Kulturszene jeder, jetzt ist der Neue am Zug: Georg Hage (34) ist seit diesem Semester neuer Dirigierprofessor an der Hochschule für evangelische Kirchenmusik. Am Freitag gibt er mit der Sinfonie „Lobgesang" von Felix Mendelssohn Bartholdy sein Antrittskonzert in der Hedwigskirche. Ein Gespräch zum Amtsantritt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Herr Professor Hage, wenn man als junger Professor einer Kapazität wie Karl Rathgeber nachfolgt: Hat man's dann besonders leicht oder besonders schwer?

Georg Hage: So eindeutig kann ich das nicht beantworten. Ich entstamme ja einer völlig anderen Generation. Ich denke, allein deshalb ist allen Beteiligten klar, dass die Arbeit naturgemäß anders weitergehen wird, soll und muss. Des Erbes, das ich hier antrete, bin ich mir natürlich bewusst. Herr Rathgeber ist ganz zweifelsohne eine verdiente Persönlichkeit und hat für die Hochschule unglaublich viel erreicht, wovon wir sicher noch jahrzehntelang profitieren. Andererseits habe ich ja nicht die Rektorenstelle von ihm geerbt, sondern eben die Professur für Dirigieren. Die trete ich mit einer großen Portion Motivation und beinahe jugendlichem Schwung an – ich schaue mir an, was da ist, wie bisher gearbeitet worden ist; das will ich auch erst mal übernehmen. Aber natürlich muss ich sehen, was man verändern sollte, um vielleicht noch besser aufgestellt zu sein.

Was haben Sie hier vorgefunden?

Hage: Ein Ausbildungssystem, das über Jahre und Jahrzehnte gewachsen ist. Dazu gehören auch die Hochschulchöre: der Studiochor, der sich aus Studenten zusammensetzt, und der Konzertchor, der auch geöffnet ist für erfahrene Sänger aus Bayreuth und Umgebung. Das ist ein Miteinander, das für jeden bereichernd ist: Die Studenten können im Idealfall – vor allem auf der persönlichen Ebene – von denen lernen, die von außen kommen, die auch ganz anderen Berufen nachgehen. Das sind diejenigen, mit denen sie später arbeiten werden. Dazu übernehmen sie immer wieder auch Aufgaben der Stimmbildung, der Einstudierung, der Registerproben, der Korrepetition. Und das ist wiederum spannend für Außenstehende: zu beobachten, wie die Studierenden sich entwickeln und wie so eine kirchenmusikalische Ausbildung abläuft.

Sie haben Ihre Professur vor drei Monaten angetreten: Wie gut ist die Hochschule für evangelische Kirchenmusik in Bayreuth vernetzt und verwurzelt?

Hage: Das kann ich noch nicht so gut einschätzen, dafür fehlt mir nach drei Monaten noch der richtige Blick. Kirchenmusikalisch tut sich in Bayreuth ja einiges. Hage: Das Gefühl habe ich auch. Ich habe auch den Eindruck, dass viele Studenten in den Gemeinden wichtige Positionen innehaben: als Organisten und Leiter von Posaunenchören, Kirchenchören, Kinderchören. Und das ist auch sehr gut und ganz richtig so. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass die Hochschule eben doch ein bisschen abseits vom Zentrum der Stadt liegt. Vielleicht ist man sich gegenseitig nicht auf allen Ebenen der Existenz oder der Wichtigkeit der anderen Seite bewusst. Ich denke, dass es da noch mehr Möglichkeiten geben muss, um die Arbeit der Hochschule noch mehr ins allgemeine Bewusstsein der Bürger zu rücken.

Wie soll das gehen?

Hage: Mit Konzerten und anderen Veranstaltungen, die ansprechen. Und zwar auf eine doppelte Weise. Ich finde es unglaublich wichtig, dass man im Konzertbetrieb die Werke pflegt, die oft gespielt werden und die sowieso jeder gern hört – ich sage mal: den Mainstream. Diese Werke sind natürlich zu Recht so beliebt. Sie verlieren dadurch aber nicht an Reiz.

Also: den „Messias" von Händel, das Weihnachtsoratorium von Bach, die „Schöpfung" von Haydn?

Hage: Genau, oder auch Werke von Mendelssohn, das ist tolle Musik. Genauso wichtig finde ich, dass man sich der Musik widmet, die in Vergessenheit geraten ist oder die es ein bisschen schwerhat, ins öffentliche Bewusstsein zu geraten, etwa die Avantgarde. Es ist gefährlich, wenn die Musikgeschichte an manchen Konzertstätten mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einfach abbricht. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben sich viele verschiedene Entwicklungen aufgetan. Es ist wichtig, sich dieser Entwicklung nicht zu verschließen, sondern – als Ausführender – auf neue, ungewohnte Klänge neugierig zu machen.

Sozusagen: als Bildungsauftrag der Hochschule nicht nur nach innen, sondern auch nach außen?

Hage: Absolut. Wir haben ja auch gerade das Potenzial der vielen jungen Menschen hier – einige unserer Studenten sind, wenn sie hier anfangen, noch keine 18 Jahre alt. Die sind voller Tatendrang, voller Ideen, offen für alles, was es so gibt. Darin liegt unsere Stärke: mit den Studierenden nach draußen zu gehen, einen Teil der Musik unserer Zeit nach außen zu vermitteln.

Gerade in Bayreuth weiß man – flapsig formuliert – ja auch durchaus, was Musik ist. Das Einstiegsniveau des Publikums ist ein anderes als in Städten ohne eine solche Konzertkultur. Erneut: Macht Ihnen dies die Arbeit eher schwerer oder eher leichter?

Hage: Ich bin es gewohnt, auf sehr hohem, professionellem Niveau zu musizieren. Noch habe ich hier kein Konzert dirigiert, aber ich bin da sehr gespannt darauf, vor allem auf das erste, weil wir uns da auch der Musik widmen, die eben nicht jeden Tag im Konzertsaal zu hören ist.

Pendeln Sie immer noch zwischen Aachen und Bayreuth?

Hage: Im Moment ist das noch so, ja, aber ein Ende ist geplant. Im Moment empfinde ich das auch eher noch als Bereicherung, zugleich selbst als Kirchenmusiker zu arbeiten und an der Hochschule zu lehren. Aber langfristig ist einfach die Strecke nicht zu bewältigen. Und ich möchte mich dem Unterrichtsbetrieb noch stärker widmen.

Wie organisieren Sie das? Gibt es Bayreuth-Wochen? Bayreuth-Tage?

Hage: Es gibt Bayreuth-Tage, meine Woche ist zweigeteilt.

Ist Bayreuth vorne oder hinten?

Hage: Bayreuth ist hinten (lacht).

Warum überhaupt Bayreuth? Warum diese Hochschule?

Hage: Das war zunächst mal ein deutschlandweit ausgeschriebenes Verfahren, und von solchen Stellen, vor allem im Bereich des Kirchenmusikstudiums, gibt es so viele nicht in Deutschland. Aber ich muss auch sagen: Die Bayreuther Hochschule hat mehrere Vorteile. Die Ausbildung hier ist sehr intensiv – und auch personell und räumlich so strukturiert, dass sich die Studierenden sehr intensiv dem Studium widmen können. Ich habe an mehreren großen staatlichen Musikhochschulen unterrichtet – auch solche Hochschulen haben Vorteile. Aber man stößt auf Schwierigkeiten, die hier von vornherein ausgeschlossen sind. Zum Beispiel, dass man keine Räume zur Verfügung hat, weil der Platz nicht ausreicht – weder zum Unterrichten noch zum Üben. Oder die Studierenden müssen in der Großstadt von Gebäude zu Gebäude wechseln. Hier hat man kurze Wege und kann Tag und Nacht nach Belieben üben. Das ist für das Musikstudium eine Traumsituation. Und wir haben ein unheimlich kompetentes, engagiertes, junges Kollegium, das einen guten Austausch pflegt.

Und für Sie persönlich: Sehen Sie die Professur eher als mehr oder minder zufällige Chance – oder als konsequent nächsten Karriereschritt?

Hage: Karrieren kann man ganz schlecht planen. Und ich habe das Gefühl, gerade in der Musik tun sich immer wieder neue Wege auf. Ich habe immer wieder neue Richtungen eingeschlagen, die dann zur nächsten Tätigkeit oder Gelegenheit geführt haben – ich habe ja nun auch Schulmusik studiert, ich habe Gesang studiert, ich habe ein Orgel-Konzertdiplom. Das vergesse ich ja nicht alles, sondern es hilft mir ja durchaus als Dozent für Chorleitung. Aber ich habe immer wieder auch vor der Entscheidung gestanden: Gehe ich doch mehr in Richtung Gesang, in den Konzertbereich, vielleicht sogar in Richtung der Opernbühne? Dann war ich lange Zeit intensiv an der Orgel tätig, habe mir nicht vorstellen können, das jemals aufzugeben – jetzt ist es so, und es ist auch gut. Gleichzeitig habe ich mehrere Jahre an Hochschulen unterrichtet. Insofern war die Professur vielleicht wirklich der logische nächste Schritt.

Welche strukturellen Unterschiede gibt es – von der Größe abgesehen – zwischen Aachen und Bayreuth, Ihre Arbeit betreffend?

Hage: (überlegt) Als Protestant arbeitet man in Aachen natürlich im Schatten eines katholischen Domes. Wir verstehen uns gut, wir haben auch eine blühende Ökumene. Aber diese schon krasse Diaspora-Situation als Protestant im Rheinland, die kann man nicht ganz ablegen. Hier dagegen ist man sich seiner protestantischen Prägung doch sehr bewusst. Das ist eine Sache, die nicht im Vordergrund steht, die man aber auch nicht außer Acht lassen kann. Dann ist Bayreuth natürlich Festspielstadt; andererseits gibt's leider kein Sinfonieorchester, keine städtische Musikdirektion mit regelmäßigen Angeboten. Das ist schon ein bisschen schade, denn das habe ich in Aachen sehr genossen: immer im Dialog zu stehen mit einer Vielzahl an Profi-Musikern – und mit Opernsängern, die jeden Abend auf der Bühne stehen und trotzdem noch hie und da gern mal eine Kantate oder ein Oratorium singen.

Kannten Sie die Stadt?

Hage: Ich habe witzigerweise vor genau zehn Jahren in der Hochschule für Kirchenmusik an einem Wettbewerb für Chordirigenten teilgenommen. Als ich mich hier vorgestellt habe für die Professur, hatte ich einige kleine Déjà-vus. Es war der gleiche Raum, und hier wie dort wird man von einer Kommission ins Visier genommen. Und natürlich: Bayreuth als Festspielstadt – davon fühlt man sich als Musiker, gerade wenn man die Wagner-Opern liebt, sehr angezogen. Ich finde Wagner unglaublich beglückend. So gesehen: Bei Bayreuth fängt das Herz eines Musikers schon an, höherzuschlagen. Auch das eines Kirchenmusikers.

Was genau verbirgt sich hinter der Professur Dirigieren? Was lehren Sie?

Hage: Im Wesentlichen unterrichte ich tatsächlich das Fach Chorleitung, mit Dirigiertechnik und Probenmethodik. Als Fachvertreter bin ich ja aber auch verantwortlich für Orchesterleitung. Man kann hier ja nicht nur Kirchenmusik studieren, sondern auch Dirigieren als Bachelor oder als Aufbaustudiengang. Letztlich sollte jemand, der hier examiniert wird, auch in der Lage sein, einen Profi-Chor wie etwa einen Rundfunkchor oder einen Opernchor zu dirigieren. Ausgebildet werden sollen die Leute dafür.

Das Gespräch führte Florian Zinnecker