Schager: "Sind keine Almosenempfänger"

Von Michael Weiser
"Es sollte wie aus dem Nichts beginnen": Andreas Schager vorm Festspielhaus, Foto: Andreas Harbach Foto: red

Andreas Schager blinzelt beim Gespräch in die Morgensonne und sagt, er sei ein bisserl übernächtigt. Was seiner Laune keinen Abbruch tut. Gut aufgelegt plaudert der Tenor über Philosophie und Parsifal, über Betriebswirtschaft und Künstlerleben und über das ideale Klangerlebnis im Festspielhaus, das am besten so anfängt, dass man gar nicht merkt, dass es schon angefangen hat.

 
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Warum ist es denn so spät geworden? 

Andreas Schager: Ich war noch in Wien. Da gab es eine Diskussionsrunde, es ging um die Verbindung von Kunst, Kultur und Wirtschaft. Und das war hochinteressant. Für einen Euro, den man in die Kultur investiert, bekommt man zweieinhalb zurück. Es ist ja eigentlich auch klar. Die Leute gehen in ein Festival, kaufen sich ein Gewand, gehen zum Friseur, gehen essen, kaufen ein, mieten sich ein Hotel. Das sind Ausgaben von Kulturtouristen, die für eine hohe Rundumrentabilität sorgen. Es lebt die ganze Region auch von den Festspielen. Ich bin in Thurnau untergebracht, das ist immerhin ein Stückerl weg von Bayreuth. Aber auch dort profitiert man von den Festspielen.

Dass sich Opernstars über die eigene Gage hinaus für Geld und Wirtschaftlichkeit interessieren, war mir  nicht bewusst gewesen. 

Schager: Ich bin ja ein Bauernbursch, und das sind Überlegungen, die auch meiner Bauernschläue entspringen. Schauen Sie, zwei Euro fünfzig Cent für einen Euro, das ist doch eine gute Sache. Und da sollten wir Künstler doch auch mal eine breitere Brust haben: Wir sind keine Almosenempfänger. Nehmen Sie mal fünf Jahre die Festspiele weg, und dann schauen Sie mal, wie viele Hotels noch da sind. Das hat Dominique Meyer, der Direktor der Wiener Staatsoper,  auch in der Diskussion gesagt: Die Leute kommen nicht zuletzt der Kultur wegen nach Wien, im Repertoirebetrieb können sie jeden Tag ein anderes Stück anschauen, und dann gibt es auch noch die Albertina, das Museumsquartier und viele andere Museen dort, die Besucher anlocken.

Von derlei Kulturstress müssen Sie sich hier nicht plagen lassen. Ist Bayreuth auch ein bisserl Urlaub?

"Es gibt viel zu entdecken"

Schager: Es klingt fast überheblich, aber Bayreuth ist tatsächlich auch ein Urlaubsparadies. Und es gibt viel zu entdecken.

Von einem Naturburschen darf man das unbedingt als Kompliment annehmen. Sie sind auf einem Hof aufgewachsen, mit richtigen Kühen…

Schager: Ja, und die hatten Namen wie Freya, Fricka und Floßhilde. Alles mögliche Wagner-Personal fand sich im Stall. Ich wusste nicht, was dahintersteckte, als Knirps fand ich die Namen höchstens seltsam. Viel später erst, bei der ersten Berührung mit einer Wagner-Oper, ist mir das aufgefallen – ich kannte all die Namen. Und da stellte sich fest, dass unser Tierarzt wohl Wagnerianer gewesen  war.

Der Schwan als Mittagessen

Und jetzt spielen Sie einen, der einen unbefangenen Umgang mit Tieren pflegt. Von wegen heilige Wesen… 

Schager: Ja, Parsifal ist stolz auf sein Können, er hat null Selbstzweifel und sagt: „Gewiss, im Fluge treffe ich, was fliegt.“ Da kommt ein Mittagessen herangeflogen, und er erlegt es und fragt sich dann: Warum regen die sich so auf? Das ist doch nur ein Schwan. Er ist schon ein wenig unbedarft.

Sehr unbedarft sogar. Kennen Sie so etwas aus dem richtigen Leben?

Schager: Diese Spezies gibt es,  das ist richtig. Aber das, was wir glauben wissen zu müssen, ist sozusagen auch nur eine Straße unter vielen. Parsifal ist aber immerhin aus Mitleid wissend. Er hat die Sachen nicht gelernt, er fühlt sie, und das macht ihn zu einem gleichzeitig wissenden und weisen Menschen. Das ist wie bei Sokrates. Warum ist der der weiseste aller Menschen? Weil er weiß, dass er nichts weiß. Im „Parsifal“ stoßen wir auf großes platonisches Gedankengut.

An was uns Platon erinnert

Platonisch nach Sokrates‘ Schüler Platon deswegen, weil wir von Sokrates selbst kein einziges sicheres Wort besitzen. Alles wurde von Platon überliefert. 

Schager: Auch von Jesus gibt es nichts Originales. Das sollte uns zu denken geben.

Jetzt aber – Sie interessieren sich nicht nur für Musik und Betriebswirtschaft, sondern auch noch für Altphilologie und Philosophie.

Schager: Ich hab’s studiert, das Altgriechische, bis zur Matura.

Ich kann nicht mal mehr die Schrift lesen. Wie sieht’s bei Ihnen aus?

Schager: Hand aufs Herz: die Buchstaben, recht viel mehr aber nicht. Man kann sich aber, und das ist sehr praktisch, viele Wörter ableiten. Zum Beispiel Politik, das kommt von „Polis dikein“, also den „Staat oder die Stadt gerecht führen“. Das sagt doch viel darüber, wie man mit dem Staat umgehen sollte. Wenn viele wüssten, was sie da im Munde führen... Ich glaube, dass viele Politiker nicht wissen, woher sich die Bezeichnung ihres Berufs ableitet. 

"Bei Laufenberg geht das wunderbar zusammen"

Apropos Politik. Wie empfinden Sie in Zeiten der Terrorgefahr die Stimmung in Bayreuth?

Schager: Sehr, sehr gut. Die Wagner-Sänger bilden untereinander eine kleine verschworene Einheit.  Wagners Werke sind die Achttausender der Opernwelt. Und man hat eben einen Riesenrespekt, wenn jemand einen dieser Achttausender besteigt. Schon aus diesem Grunde herrscht hier ein kollegialer Umgang, das sieht man auch in der Kantine. Es gibt keinen großen Ellbogen-Einsatz, das Klima ist von Respekt gekennzeichnet.  Es gibt auch weniger Konkurrenz als in andern Branchen. Im italienischen Fach ist diese Konkurrenz viel, viel größer. Für Wagner braucht es eine Gabe der Natur. Eine kräftige Stimme, ein gutes Gedächtnis und noch viele Sachen mehr braucht es, um diesen Beruf ausüben zu können. Wenn jemand das beherrscht, dann befindet er sich in einem kleinen Kreis.

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Nun geht es ja nicht nur ums Singen. Wie wichtig nehmen Sie das Spielen?

Schager: Ganz wichtig, es heißt ja Musiktheater. Das ist in erster Linie natürlich Musik, aber das Theater kommt gleich an nächster Stelle. Wir haben mit Uwe Eric Laufenberg einen Theaterregisseur, der sehr opernerfahren ist, da kommt dann beides auf eine wunderbare Art und Weise zusammen. Er arbeitet auf eine interessante Art und Weise, indem er schaut, was er von seinen Darstellern angeboten bekommt. Viele Regisseure geben jede Handbewegung vor, er schaut, was ihm die Leute anbieten. Das ist hochinteressant, liegt mir sehr. Gerade das Schauspiel - da sind wir beim Konzept des Gesamtkunstwerkes. Erst kommt der Gesang, aber das Schauspiel muss im Idealfall dem Gesang den angemessenen Ausdruck geben.

"Gegangen, als es am schönsten war"

Eigentlich hätten Sie es im zweiten Aufzug mit Gerd Grochowski als Klingsor zu tun bekommen, mit einem Kollegen, der im Januar überraschend starb. Wie sehr macht Ihnen das zu schaffen?

Schager: Gerd Grochowski habe ich als sehr sympathisch wahrgenommen, er war ein sehr ruhiger, netter Typ. Da ist schon eine gewisse Traurigkeit. Ich kann Parallelen zu meiner eigenen Familie ziehen: Ich musste öfter daran denken, wie meine Mutter bei einem Verkehrsunfall starb, einen Tag, nachdem sie sich verlobt hatte. Sie ist gegangen, als es am schönsten war. Und vielleicht ist es ein tröstlicher Gedanke, dass er am Höhepunkt seiner Karriere gestorben ist. Er hatte einen tollen Wotan in Wiesbaden gesungen. Wenn man sich‘s wünschen kann, dann wünscht man sich vielleicht so einen Abgang. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch viel zu früh gewesen.

Die Lücke wird man als Künstler lange spüren. Andererseits: Der Parsifal ist Ihnen auf den Leib geschrieben.

Schager: Für mich bedeutet er eine Traumrolle, ja. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, diese Rolle hier singen zu dürfen. Ich habe vergangenes Jahr eine schöne Situation erlebt. Als ich erfahren hatte, dass ich eine Aufführung covern würde, bin ich spazieren gegangen, ich habe Haus  Wahnfried besucht und habe im Keller die Originalpartitur des „Parsifal“ angeschaut. Da stand dann die Wagnerbüste, dahinter der goldene Vorhang. Und noch andere Originalpartituren. Das ist es mir plötzlich ins Gehirn geschossen, dass ich das bin, der diese Rolle verkörpern darf.

Der Dirigent als Koordinator

In dem Haus, dessen Akustik er schon genau kannte, als er dieses sein letztes Musikdrama schrieb. Wie nehmen Sie den Klang vom „Parsifal“ in Bayreuth wahr?

Schager: Es sollte wie aus dem Nichts beginnen. Das Publikum sollte vielleicht gar nicht genau bemerken, wann es wirklich losgeht, man sollte vielmehr plötzlich und fast schon überrascht feststellen, dass es begonnen hat. Und das geht nur hier. Aus dem Klang wird eine Art Teppich, auf dem man förmlich schwebt. Das nimmt einen gefangen. Man darf dann aber auch nicht auf Schlag singen, man muss viel mehr nach der Akustik singen als nach dem Dirigenten. Der Dirigent ist viel mehr der Koordinator als er es in anderen Häusern ist.

Wie sehen die die äußerst penible Art von Hartmut Haenchen, der sogar mit seinem eigenen Notenmaterial gekommen ist?

Schager: Ich liebe das, der weiß einfach so viel. Man hatte zuvor schon, noch vor dem richtigen Beginn der Proben, seitenweise Material bekommen, er hatte die Noten akribisch eingerichtet. Er ist ein brillanter Musiker. Ich mag das sehr, sehr gern.