Eine Brutalkomödie ohne viel Sinn und Substanz „Siegfried“-Premiere am Staatstheater Nürnberg

Von Florian Zinnecker
Nackte Brüste und Effekthaschereien: Regisseur Georg Schmiedleitner hat nichts Neues über den „Siegfried“ zu erzählen. Foto: Staatstheater Nürnberg/Ludwig Ohla Foto: red

Analverkehr, Brüste, Bunker, Schnaps und Nutella. Und dann dieser Schluss - der einzige Moment, in dem alles gut ist. Auf einem Sofa. Bei Bier und Chips. Georg Schmiedleitner, Regisseur, und Marcus Bosch, Generalmusikdirektor, scheitern mit ihrer Interpretation des "Siegfried". Sie finden nichts Neues zu erzählen, sagt Kritiker Florian Zinnecker.

 
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Fünf Stunden und fünfzehn Minuten dauerte die „Siegfried“-Premiere am Staatstheater Nürnberg. Die Ergebnisse: Siegfried wächst auf in einem Bunker, nah genug an der Zivilisation, dass Schnaps und Nutella nie ausgehen. Mime hat eine Waschmaschine, der erste Aufzug dauert drei Buntwaschgänge lang (einschließlich Schleudern, was nervt, und auch sonst wird auf der Bühne viel Lärm gemacht). Alberich pinkelt – dem Publikum zugewandt – auf den Wanderer. Der dritte Aufzug beginnt mit Analverkehr, Erda zeigt Brüste.

Krachendes C-Dur

Und dann das Finale: Brünnhilde braucht lange, um zu erwachen, dreimal muss sie sich hochstemmen und findet dann wenig Gefallen an dem speckigen Buben, der sie geweckt hat. Und der Schluss, der einzige Moment im „Ring“, in dem alles gut ist, findet auf einem Sofa statt, bei Bier und Chips, vor dem Fernseher. Dazu die Staatsphilharmonie in krachendem C-Dur.

Das war’s.

Wenn ein Theater, noch dazu eines wie das Staatstheater Nürnberg, jetzt den „Siegfried“ auf den Spielplan nimmt, als dritten Teil des „Rings“, und „jetzt“ meint, nachdem ungefähr alle anderen Opernhäuser ihre Wagner-Projekte abgeschlossen haben: Dann liegt die Vermutung nahe, dass Georg Schmiedleitner, der Regisseur, und Marcus Bosch, der Generalmusikdirektor, noch einen wichtigen Punkt machen wollen. Eine unentdeckte Facette entdecken und dem Horizont der Deutungen hinzufügen. Etwas erzählen, das gerade jetzt so erzählt werden muss und nur hier auf diese Art erzählt werden kann. In der Hoffnung auf einen Glücksfall. Und weil der selten eintritt, hätten sie wenigstens den Eindruck der Unbedingtheit erwecken können.

Nichts von Substanz zu erzählen

Aber da ist nichts. Sie finden nichts zu erzählen, zumindest nichts von Substanz. Und also ist Schmiedleitners „Siegfried“ eine Art Brutalkomödie, in der dann eben irgendwie im ersten Aufzug ein Schwert geschmiedet und im dritten ein Speer zertrümmert werden muss, obwohl das nun wirklich keinen Sinn ergibt. Aber komplett auf die Sinnlosigkeit setzen, wie etwa Castorf in Bayreuth, das wollte er dann doch nicht.

Und leider gelingt es Marcus Bosch nicht, seine im Programmheft formulierten Gedanken (Schlankheit! Balance!) hörbar zu machen: Im dritten Aufzug klebt der Klang der Violinen, alles ist eine Spur zu breit und zu laut, nicht einmal für Leila Pfister, die sich als Erda vorsichtshalber hatte als angeschlagen ansagen lassen, dämpft Bosch den Apparat. So wie Siegfried den Drachen zu erschlagen hat, hat Bosch eine Urgewalt zu bändigen. Nur dass viele Musiker ein wenig angestrengt wirken in ihrer Rolle als Urgewalt, und bald schon fahrig werden; beinahe kein Bläsersolo klappt an diesem Abend ohne Kieksen.

Auf der Bühne wird darum viel gepresst und gestemmt, Vincent Wolfsteiner – er war im „Rheingold“ als Loge und in der „Walküre“ als Siegmund engagiert – gibt sein Rollendebüt als Siegfried, ein respektabler Kraftakt, angstfrei und beinahe ungefährdet.

Martin Winkler überzeugt als Alberich

Rachael Tovey ist eine solide Brünnhilde, Nikolai Karnolsky ein toller, aber technisch mit Hall unterlegter Fafner, vor allem ist es Antonio Yang als Wanderer, der erfreuliche Momente schafft. Überhaupt kommt zwischen allen Regie-Gags und Bläser-Forte-Stellen eines zu kurz: die Freude darüber, dass Nürnberg einen „Siegfried“ bestens aus eigenen Ensemblereihen besetzen kann, mit nur zwei Gästen: Peter Galliard als rauer, aber souveräner Mime. Und als Alberich Martin Winkler – eben jener, der im Sommer 2013 auf dem Grünen Hügel glänzte und im Folgejahr aus ungeklärten Gründen verjagt wurde. Dass man jetzt von Bayreuth aus nur nach Nürnberg zu fahren braucht, um ihn zu hören: Das ist die eigentliche und leider einzig gute Pointe des Abends.