CSU warnt vor gewolltem Chaos "Shared Space": Verkehrsversuch abgelehnt

Von Frank Schmälzle
Radler, Autofahrer und Fußgänger: An der Richard-Wagner-Straße müssen sie bereits jetzt miteinander zurecht kommen. Die Grünen wollen einen Versuch mit gemeinsamen Verkehrsflächen in Bayreuth starten. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Alle sind gleich. Alle nehmen aufeinander Rücksicht. Die Unsicherheit sorgt für Sicherheit. So funktioniert das Verkehrsmodell „Shared Space“. Aber wohl nicht in Bayreuth. Der Bauausschuss hat einen solchen Verkehrsversuch, den die Grünen und Unabhängigen beantragt hatten, abgelehnt. Und das, obwohl es die Stadtverwaltung ausprobieren wollte. Und Experten meinen: Den Versuch wäre es wert.

 
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Seit einiger Zeit duzt man sich im Stadtrat – und spricht seitdem deutlicher miteinander. „Ernst-Rüdiger“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzende Sabine Steininger zu BG-Stadtrat Kettel. „Du bist wenigstens ehrlich.“ Kettel hatte gerade gesagt, dass er sich einen Shared Space, einen gemeinsamen Verkehrsraum für alle nicht vorstellen könne. „In Bayreuth funktioniert es am besten, wenn der Radfahrer seinen Radweg, der Fußgänger seinen Bürgersteig hat und der Autofahrer weiß, wo er fahren soll.“

Ein Platz ohne Schilder und Regeln

Shared Space wäre das glatte Gegenteil davon. Weg mit dem Schilderwald, es gilt rechts vor links. Es gibt keine Straße und keine Wege für Fußgänger und Radler, höchstens optische Abgrenzungen durch den Straßenbelag. Die Blicke fliegen hin und her, die Verkehrsteilnehmer kommunizieren, regeln sich selbst. Deshalb: Weg mit den parkenden Autos, her mit freien Sichtbeziehungen. Für das Straßenverkehrsamt der Stadt, sagt Baureferent Hans-Dieter Striedl, ist der geteilte Raum für alle Verkehrsteilnehmer ein Mittelding aus Tempo-30-Zone und verkehrsberuhigtem Bereich. Ein solches Modell mache nur dort Sinn, wo viele Fußgänger unterwegs sind. Übrigens: Offiziell gibt es diese neuen Verkehrsbereiche noch gar nicht. Die Straßenverkehrsordnung hat kein Schild dafür. Und auch keine Regelungen, keine Rechtssicherheit.

Das schlägt die Verwaltung vor

Trotzdem der Vorschlag der Verwaltung: Bayreuth soll den geteilten Verkehrsraum mal ausprobieren. Zwischen dem Jean-Paul-Platz und dem Residenzplatz vor dem Neuen Schloss. Dieser Straßenabschnitt steht in den Jahren 2016 bis 2018 ohnehin zum Umbau an. Shared Space würde dort also keine zusätzlichen Kosten verursachen. Und viele Fußgänger sind dort auch unterwegs. Diese Idee wolle die Verwaltung deshalb weiter prüfen.

Das sagen die Kritiker

Klare Kante bei der CSU. „Mit uns ist das nicht zu machen“, sagt Fraktionsvorsitzender Stefan Specht. Dass Sicherheit aus Unsicherheit entstehen solle, das sei einfach nur paradox. Ein „gewolltes, institutionalisiertes Chaos“ ausgerechnet auf dem Weg von der zu erneuernden Stadthalle zum Weltkulturerbe Opernhaus? Nein. Halil Tasdelen (SPD) sagt, er glaube daran, dass Shared Space funktioniert. Aber er will die Parkplätze um die Stadthalle herum nicht opfern. Denn von denen profitiert auch die Fußgängerzone.

Das sagen die Befürworter

Für die Grünen aber wäre genau dieser Bayreuther Pracht-Platz zwischen neuem Schloss und Jean-Paul-Platzperfekt gewesen. Denn Shared Space verspricht mehr Aufenthaltsqualität, sagt Sabine Steininger. Und ihr Fraktionskollege Stefan Schlags sagt: „Überall auf der Welt kann man sich vorstellen, dass Städte in Zukunft anders funktionieren. Nur in Bayreuth nicht.“

Das ist die Realität

Vielleicht gibt es den Versuch eines gemeinsamen Verkehrsraum in Bayreuth ja schon längst. In der Richard-Wagner-Straße zum Beispiel, wo sich Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer treffen. Oder in der Kanzleistraße oder der Opernstraße, sagt Stadtbaureferent Striedl, wenn sie nicht wie jetzt gerade eine Baustelle ist. Dort kann man sich schon mal anschauen, ob Shared Space funktioniert.

Auch wenn der Bauausschuss mehrheitlich dagegen war. Die endgültige Entscheidung über einen Verkehrsversuch fällt im Stadtrat.

Das sagen die Experten

Rolf Wahner hätte sich über den Shared Space gefreut: „Ich glaube, es gibt Bereiche wo das sinnvoll ist, gerade angrenzend an die Fußgängerzone“, sagt der Vorsitzende des Kreisverbands des Verkehrs-Clubs Deutschland (VCD) in Bayreuth. „Wo wir so ähnliche Bereiche schon haben, ließe sich das gut fortsetzen, um den Verkehr zu beruhigen und mehr Gleichberechtigung zu schaffen.“

Shared Spaces sähe er zwischen dem RW21 und der Opernstraße und vom Jean-Paul-Platz zum Sternplatz – also dem abgelehnten Testbereich – als sinnvoll an, ebenso in der Telemannstraße zwischen Münzgasse und Dilchertstraße und vor dem ehemaligen Iwalewa-Hauses.

Wahner glaubt, dass die gemeinsam genutzte Verkehrsfläche die flexiblere Lösung wäre: „Man sieht das am Jean-Paul-Platz, der ist ja praktisch schon ein Shared Space.“ Wenn es keine sichtbare Trennung zwischen Gehweg und Fahrbahn gibt, wüssten Fußgänger, dass sie nicht nur an den Seiten laufen dürfen. Gleichzeitig erwarte ein Autofahrer eher, dass Fußgänger kreuzen. „Dann fahren die meisten Autofahrer automatisch mit angepasster Geschwindigkeit.“

Peter Hübner hätte gerne ein paar Dinge geklärt, bevor in Bayreuth ein Verkehrsversuch Shared Space startet. Das Wichtigste: Wer zahlt, wenn es kracht? „Im Shared Space gibt es keine Verkehrsregeln“, sagt der Vorsitzende der Kreisverkehrswacht Bayreuth. Und damit keine Klarheit, wenn es zu einem Unfall kommt. Das muss man klären, der richtige Adressat dafür sei das Bundesverkehrsministerium.

Gemeinsame Verkehrsflächen gibt es laut Hübner vor allem in den Benelux-Staaten. In Deutschland hätten bislang nur kleinere Städte als Bayreuth den Versuch gewagt. „Mir fehlen also die Erfahrungswerte.“ Das muss aber nicht heißen, dass Bayreuth diese neue Art des Straßenverkehrs nicht doch ausprobieren könne. Nicht dort, wo viel Verkehr herrscht. Wohl aber dort, wo ohnehin schon viele Fußgänger und Radfahrer unterwegs sind. Den Bereich zwischen Jean-Paul-Platz und Neuem Schloss, den die Stadtverwaltung vorgeschlagen hatte, hält er für geeignet. Hübner sagt: Manches muss man ausprobieren, dann setzt sich das Gute durch. „Vor 15 Jahren wurden auch Kreisverkehre noch verteufelt.“ Und er sagt: „Traut den Verkehrsteilnehmern ruhig was zu."

Die Liste: Sechs Gründe dafür, sechs Gründe dagegen

Was dafür spricht:

> mehr Platz für Radler und Fußgänger

> mehr Aufenthaltsqualität

> mehr Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern

> weniger Verkehrsschilder

> bessere Sicht

> besserer Verkehrsfluss durch geringere Geschwindigkeit

Was dagegen spricht:

> keine nachweisbar positiven Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit

> keine Schutzräume für schwächere Verkehrsteilnehmer

> schwierige Orientierung für Blinde und Sehbehinderte

> weniger Parkplätze

> unsichere Rechtslage

> Kosten für den Umbau

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