Senioren sollen AOK betrogen haben

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Zahlreiche Kunden eines Fitnessstudios sollen Kurse bei ihrer Krankenkasse abgerechnet haben, obwohl sie gar nicht teilnahmen.⋌Foto: Uwe Zucchi/dpa Foto: red

Hat ein Kulmbacher Fitnessstudio Hunderten seiner zahlenden Mitglieder durch falsche Kursbescheinigungen geldwerte Vorteile verschafft und damit die AOK um viel Geld geschädigt? Dieser Frage geht derzeit das Bayreuther Amtsgericht nach. Auf der Anklagebank sitzt ein betagtes Paar aus dem Kulmbacher Landkreis.

 
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Ließen sich Mitglieder die Teilnahme an Gesundheitskursen bescheinigen, die sie gar nicht besucht haben, um auf betrügerische Weise an Zuzahlungen ihrer Krankenkassen zu kommen, mit deren Hilfe sie die Monatsbeiträge im Fitnessstudio senken konnten? Polizei und Staatsanwaltschaft sagen ja. Zahlreiche Strafbefehle sind bereits versendet.

Unbescholtene Rentner

Amtsrichter Torsten Meyer muss jetzt Licht in den Fall zweier betagter Herrschaften aus dem Landkreis Kulmbach bringen, die sich des acht- beziehungsweise zehnfachen Abrechnungsbetrugs mit der AOK schuldig gemacht haben sollen. Die beiden bis dato unbescholtenen Rentner weisen alle Vorwürfe zurück, wollen die Strafbefehle nicht akzeptieren und um ihre Unschuld kämpfen. Die Aufregung, als Angeklagte vor einem Richter zu sitzen, stand beiden Senioren ins Gesicht geschrieben. Er, schwerhörig, jenseits 70. Sie, die Lebensgefährtin, ebenfalls über 70, kann ihr Zittern nicht verbergen. Beide verstehen nicht, weshalb sie sich strafbar gemacht haben sollen. Weil sie etwas für ihre Gesundheit tun wollten, haben sie sich vor Jahren in dem Fitnessstudio angemeldet. „56 Euro monatlicher Beitrag abzüglich AOK“ steht auf dem Anmeldezettel aus dem Jahr 2008. Im Studio habe man ihnen erklärt, dass es damit seine Ordnung habe. „Sie haben ja bezahlt, sogar mehr als nur für die Kurse“, erklärte Verteidiger Alexander Schmidtgall und betonte, seine Mandanten hätten nicht gewusst, dass es „Verrechnungsvorbehalte“ gebe. Auch an den Kursen, für die sie von der AOK jeweils 75 Euro Zuschuss erhielten, hätten sie tatsächlich teilgenommen. In gutem Glauben hätten sie deswegen auch die Teilnahmebescheinigungen bei ihrer Kasse eingereicht und die Zahlungen beantragt und erhalten. Er verstehe nicht, wie die Staatsanwaltschaft von einer Täuschung ausgehen konnte, erklärte Schmidtgall für seine Mandanten. Die betonten mehrfach, dass sie sich nichts hätten zuschulden kommen lassen. Im Studio sei ihnen gesagt worden, alles habe seine Richtigkeit. Sie hätten keinen Zweifel gehabt. „„Wenn wir gewusst hätten, dass das verboten ist, hätten wir das doch niemals gemacht“, trug der Angeklagte vor. Seine Lebensgefährtin ergänzte, der Studiobesitzer habe auch, als der Strafbefehl bereits vorgelegen hätte, noch gesagt, er wisse nicht, was die Behörden wollten.

Viele Kunden haben die Yoga-Matte nie benutzt

So ganz wollte Richter Meyer den Unschuldsbeteuerungen aber nicht glauben. Vor allem ab dem Zeitpunkt nicht mehr, von dem an der ermittelnde Beamte der Kripo als Zeuge aussagte. Ein großes Ermittlungsverfahren habe er zu betreuen. 310 Personen, alle Kunden des Studios, hätte die AOK angezeigt. 800 Teilnahmebescheinigungen mussten geprüft werden. Ermittelt werde gegenwärtig nur gegen dieses eine Studio, sagte der Beamte. Er sagte aber auch, er habe gehört, dass die Praxis, die nun so vielen Menschen zum Verhängnis werden könnte, bei anderen Studios auch gepflegt worden sein soll. 30 Verfahren gegen jene Kunden, die die meisten Kurse abgerechnet hätten, seien zuerst abgeschlossen worden. Viele andere liefen noch. Auch die gegen den Betreiber des Fitnessstudios und gegen die Leiter der betroffenen Kurse. Nicht in allen Fällen, aber wohl in vielen habe das Fitnesscenter Teilnahmebescheinigungen ausgestellt, obwohl die betreffenden Personen überhaupt nicht an den Kursen teilgenommen hätten. „Da haben angeblich welche Yoga gemacht, obwohl die eine Yogamatte gar nicht gesehen haben.“ Bei dem Paar auf der Anklagebank sei es zumindest in einem Fall fraglich, ob sie alle erforderlichen Trainingseinheiten absolviert haben. Die Dokumentation des jeweiligen Kurses jedenfalls spreche für diese Annahme ebenso wie die Zeiterfassung des Studios.

In gutem Glauben gehandelt

Sich darauf zu berufen und daraus eine Schuld abzuleiten, hält Schmidtgall aber für nicht haltbar. Ob das Studio immer zuverlässig jeden Trainingsbesuch eines jeden Kunden dokumentiert hätte, sei fraglich. Die beiden Senioren jedenfalls behaupteten energisch, alle Kurse ausreichend oft besucht zu haben, um die Förderrichtlinien zu erfüllen. Ihr Anwalt gab dem Gericht zu verstehen, dass es nicht nachzuvollziehen sei, wenn nun so viele alte Menschen in Kulmbach vor einer Strafverfolgung stehen, die sich nie etwas zuschulden kommen ließen und auch in diesem konkreten Fall in gutem Glauben nur das getan hätten, was ihnen in ihrem Fitnessstudio geraten worden sei.

Der Kripobeamte betonte, die Sache habe System gehabt. „Hunderte müssen gewusst haben, dass sie den Kurs nicht gemacht haben.“ Von diesen „Hunderten“ würden noch viele von der Staatsanwaltschaft hören. Die Verfahren seien bei weitem noch nicht zu Ende ermittelt.

Komische Sache

Richter Meyer fiel es schwer, die Angaben der beiden Angeklagten zu glauben. Den Argumenten, sie hätten von der Abrechnungspraxis nichts gewusst, könne er vielleicht noch folgen. Wenn nun aber noch die Tatsache hinzukomme, dass möglicherweise zu wenige Kursstunden absolviert worden seien, dann werde die Sache „schon komisch“. Das wollte Schmidtgall so nicht stehen lassen. Es werde über Vermutungen und Schlussfolgerungen gesprochen, die so nicht bewiesen seien. „Die Argumentation zeigt mir, in welche Richtung das hier geht. Man will die Leute an den Pranger stellen.“

Nachdem weder die Angeklagten noch der Staatsanwalt dem Vorschlag des Richters folgen wollten, das Verfahren gegen Auflagen einzustellen, wird es nun weitergehen. Zum nächsten Termin wird der Betreiber des Studios ebenso als Zeuge geladen wie die Leiter der betreffenden Kurse.

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