Deutschlands erfolgreichster Thriller-Autor liest am 14. Februar bei „Leselust 2015“ Sebastian Fitzek: Das Böse lässt ihn nicht los

Von Tobias Goltz
Er wäre kein guter Bundeskanzler, sagt der Schriftsteller Sebastian Fitzek über sich selbst. Foto: red Foto: red

Sebastian Fitzek ist nicht zimperlich mit dem Leben seiner Figuren. Der Schriftsteller gehört zu den erfolgreichsten Krimi- und Thriller-Autoren Deutschlands. Am Samstag, 14. Februar, liest er beim Festival „Leselust“ im Zentrum aus seinem neuesten Werk „Passagier 23“. Warum ihn das Böse im Menschen nicht loslässt – darüber hat Tobias Goltz mit Fitzek im Interview gesprochen.

 
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Herr Fitzek, in ihren Thrillern tauchen einige Motive immer wieder auf: Folter, pervertierte Sexualität, Gewalt an Kindern.
Fitzek: Und ich bin traurig, weil ich genau weiß: Das, was ich da – in der Regel abgemildert – niederschreibe, passiert gerade irgendwo. Und dafür muss ich wahrscheinlich nicht einmal das Land wechseln. Bei solchen Gedanken setzt bei uns meistens aber sofort der Verdrängungsmechanismus ein.

Sie schreiben darüber...
Fitzek: Diese Themen bewegen mich, nicht nur als Familienvater. Kindesmissbrauch ist ein Massendelikt. Auch Kindesmisshandlung. Es kommt viel, viel häufiger vor, dass Mütter oder Väter Zigaretten auf dem Rücken ihrer Kinder ausdrücken, als dass eine Witwe in einer Bankiersvilla in Hamburg mit einem Briefbeschwerer gemeuchelt wird. Letzteres ist die absolute Ausnahme. Ich schreibe lieber über etwas, das gesellschaftlich absolut relevant ist, inhaltlich jedoch völlig stiefmütterlich behandelt wird.

Klingt nach einem aufklärerischen Impetus.
Fitzek: Ja. Gerade weil ich Familienvater bin, will ich das nicht totschweigen. Es gibt geschätzt 300 000 Pädophile in Deutschland. Und es gibt Zehntausende von Kindern, die jedes Jahr aus den Familien genommen werden, weil sie dort verwahrlosen oder misshandelt werden.

Dennoch ist es starker Tobak, wenn Ihr neuester Roman „Passagier 23“ damit beginnt, dass ein HIV-Infizierter bei einer Pädophilen-Party ein Kind vergewaltigen will.
Fitzek: Die Gewaltdarstellung ist immer nur Mittel zum Zweck, um jemandem drastisch etwas vor Augen zu führen. Ich will nicht, dass der Leser sich an einer Vergewaltigung ergötzt, deswegen wird ihre Ausführung in „Passagier 23“ auch mit keinem Wort geschildert. Viele Themen greife ich auf, um mir meine eigenen Ängste von der Seele zu schreiben. Wäre dem nicht so, würde ich einen Porno schreiben, keinen ernstzunehmenden Thriller.

Sie nennen Ihre Bücher auch „Familiengeschichten“.
Fitzek: Es ist nun mal so: Sie können bei 99,9 Prozent aller psychisch gestörten Täter in der Kindheit suchen – und Sie werden fündig. Auch wenn es ein Klischee ist, entspricht es der Wahrheit. Man kann keinen Roman über einen 35-jährigen schreiben, der bis dato völlig unauffällig war und sich auf einmal entschließt, Serienmörder zu werden. In der Regel arbeitet die Psyche eben nicht so.

Das heißt, das Böse hat immer eine Ursache?
Fitzek: Ja, und zwar meistens in der Familie. In der Realität ist es so, dass es in 80 Prozent der Fälle nahe Angehörige sind, die morden. Oder es geht um stumpfe Gewalt im Milieu. Das ist aber nicht der Grund, weswegen wir Kriminalliteratur lesen. Die meisten von uns lesen ja nicht wegen des Splatterfaktors und um detailliert die Tötungsmethode geschildert zu bekommen. Sondern wir wollen das Böse verstehen.

Welches Tatmotiv finden Sie selbst am spannendsten?
Fitzek: Interessant finde ich, wenn die Tatsache, dass – oder wie – jemand mordet, Rückschlüsse auf sein gesamtes soziales Umfeld zulässt. Rache ist dabei eigentlich das, was mich am wenigsten interessiert, weil Rache am Ende nichts verändert. Das ist wie bei der Todesstrafe – die ich vehement ablehne. Sie führt nicht zu irgendeiner Erlösung oder einem Schuldausgleich, oder dass andere sich besser fühlen. Es ist nichts Zielgerichtetes. Wohingegen jemand, der tötet, um jemanden zu befreien, am Ende auch etwas gewinnen kann. Diese Diskrepanz interessiert mich. Und es ist eine Frage, die sich durch all unser Handeln zieht: Darf ich etwas Böses tun, um auch etwas Gutes damit zu bewirken?

Und, darf man es?
Fitzek: Das ist wahnsinnig schwierig zu beantworten. Lassen Sie es mich am aktuellen IS-Problem erklären. Noch vor Jahren hat man gesagt: Die bedrohten Menschen in den Kriegsgebieten benötigen unsere Hilfe. Aber soll man da jetzt militärisch eingreifen, obwohl uns bislang jede kriegerische Erfahrung im Irak und auch Afghanistan gelehrt hat, dass wir damit unabsehbare Schäden auslösen? Natürlich wird man Kinder töten. Natürlich wird man wieder Leute ins Elend bomben und  die  Konflikte dadurch wieder verschärfen. Die Drohnen und Luftschläge werden es leider nicht schaffen, nur die Bösen zu treffen. Aber kann man sich andererseits mit einer pazifistischen Grundhaltung zurückhalten und sagen: „Nein, wir greifen da nicht ein“ – während die Menschen dort extreme Qualen zu erleiden haben? Ich bin diesbezüglich wahnsinnig hin und her gerissen – und bin wahnsinnig froh, dass ich nicht als Bundeskanzler über das Leben anderer entscheiden muss. Ich glaube auch, dass Romanautoren die schlechtesten Bundeskanzler wären, weil sie sich jeden Tag in eine andere Person hineinversetzen und durch die verschiedenen Blickwinkel selbst zu keiner Lösung kommen würden.

Sie wären zu empathisch zum Regieren?
Fitzek: Richtig. Man muss in gewisser Weise schwarz-weiß denken können. So wenig ich politisch mit ihm übereinstimme, so sehr muss man daher jemanden wie George W. Bush zumindest für seine Konsequenz bewundern, der zuletzt sogar den CIA-Folterbericht völlig unkritisch kommentiert hat. Der findet es heute noch großartig, wie toll seine Leute gefoltert haben.

Eine klare Haltung, immerhin.
Fitzek: Er hat eine ganz klare Haltung! Ich würde da sitzen und sagen: „Das können wir nicht machen. Auf gar keinen Fall. Wir lassen die alle frei.“ Und wenn mir die CIA-Obersten danach erzählen würden, dass sie kurz davor stehen, einen Anschlag aufzudecken, bei dem 3 000 Menschen in die Luft fliegen, wenn der Gefangene keine Antwort gibt: ich würde hin und her pendeln. Das sind genau die Motive, die mich zum Schreiben bringen. Für mich geht es darum, diesen entscheidenden Moment begreifbar zu machen. Diese Ohnmacht. Wie würde man selbst in einer Situation entscheiden, in der man sich gar nicht entscheiden kann?

Der Folterbericht zeigt doch aber auch, dass verschiedene Maßstäbe angelegt werden. Die Amerikaner machen, was sie wollen – ohne Konsequenzen, während man jemandem wie Putin aufzeigt, wo die Grenzen sind.
Fitzek: Ja, wir erkennen sofort: Es ist nicht richtig, einfach ein Land zu annektieren. Punkt, Aus. Und die Gefahr, dass der gleich morgen losgeht und im TV jemanden enthauptet, ist relativ gering. Also kann ich mich ganz schnell dazu positionieren. Im Gegensatz zu anderen Dingen: Ob es der Terror im Nahen Osten ist, Flüchtlingskatastrophen oder die Euro-Krise. Hiobsbotschaften überall, wo man eben hinguckt. Im letzten Vierteljahr hatte ich ständig das Gefühl, dass unsere Welt extrem auf der Kippe steht, dass alles den Bach runter geht. Aber alles ist so schwierig. Nichts wo man sagen kann: Einmal intervenieren und das Problem ist gelöst. Da ist es fast ein Segen, wenn mal jemand wie Putin kommt, bei dem man sich ganz schnell entscheiden kann.

Sie haben auch die Gräueltaten des so genannten „Islamischen Staates“ angesprochen. Interessiert Sie als Autor von Psychothrillern auch die Psyche solcher Täter?
Fitzek: Ich verspüre in keiner Weise irgendeinen Ansatz von Sympathie mit diesen Leuten. Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass es dort Menschen gibt, die unerträgliches Leid erfahren haben und die deswegen in ihrer Wut sehr leicht zu mobilisieren sind. Wir kennen es doch selbst aus unserer zivilisierten Welt: Wenn sich ein Mob bildet, der einen angeblichen Vergewaltiger stellen will. Man hat auf einmal eine Emotion, und die Emotion muss raus. Und dann wird die private Adresse vom mutmaßlichen Täter auf Facebook veröffentlicht...

Stichwort Selbstjustiz...
Fitzek: Was passiert erst, wenn jemand gesehen hat, wie eine Splitterbombe seine Kinder zerrissen hat? Und wenn dann jemand mit üblen Eigenschaften kommt, der seine niedrigsten Gelüste befriedigen will und sagt: „Du, ich kenne den Töter und jetzt machen wir das gleiche mit dem.“ Dass der wie der Rattenfänger von Hameln alle zerstörten Seelen einsammeln kann, ist für mich verständlich. Genauso wie es für mich auch verständlich ist, dass man Menschen hier bei uns einsammeln kann, die noch nie irgendeine Form von sozialer Anerkennung erfahren haben. Sich damit auseinanderzusetzen geht allerdings nur so lange gut, wie wir uns überlegen können: Wie können wir hier in Deutschland verhindern, dass sich so etwas weiter ausbreitet? Aber wenn jemand diesen Schritt tut und wem auch immer – vielleicht sogar Kindern – den Kopf abschlägt, dann ist es eigentlich auch egal, warum er das tut. Das ist das pure Böse. Und dafür gibt es höchstwahrscheinlich keine Erklärung und im Prinzip nur eine Möglichkeit: es zu bekämpfen.

Oder eben dafür sorgen, dass sich das Böse gar nicht erst entfalten kann.
Fitzek: Ja, es gibt irgendwo eine Weichenstellung, oftmals in der Kindheit - und das hängt mit der Erziehung zusammen. Hat die Erziehung es geschafft, das Böse, das in uns schlummert, soweit zurückzudrängen, dass sich das Gute entfalten kann – oder war es genau umgekehrt? Denn auch das Destruktive ist in uns enthalten. Und die Anarchie – das merken wir immer wieder – bricht sehr schnell auf, wenn sichere Strukturen nicht mehr da sind. Das ist im Kleinen in der Familie so, wenn die Elternstruktur nicht da ist. Aber auch im Großen, in einem Staat, wenn eine Diktatur zerfällt. Für einen Thrillerautor ist das natürlich wahnsinnig interessant. Dennoch glaube ich zunächst einmal an das Gute im Menschen. Daran, dass wir alle ein großes Bedürfnis danach haben, gut zu sein. 
⋌Das Gespräch führte Tobias Goltz

INFO: Die Lesung mit Sebastian 
Fitzek am Samstag, 14. Februar, 
beginnt um 20 Uhr – und ist bereits ausverkauft.