Schumann im Zeichen des Bleifußes

Von Gordian Beck
Mit ganz schön viel Kraft: Ivo Pogorelich bei Schumanns a-moll-Konzert op. 54 in der Stadthalle. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Gewöhnungsbedürftig, wie Ivo Pogorelich am Flügel da die Stuttgarter Philharmoniker antrieb: Schumanns Klavierkonzert a-moll wurde mit dem Ausnahmepianisten in der Stadthalle zum ungewöhnlichen Hörerlebnis.

 
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Keine Frage, der Name Ivo Pogorelich zieht. Nach wie vor. Sein Gastspiel in Bayreuth am Donnerstagabend bescherte den Kulturfreunden denn auch eine zwar nicht ganz ausverkaufte, aber doch immerhin sehr gut ausgelastete Stadthalle – dem Augenschein nach sogar besser als zuletzt bei den Bamberger Symphonikern. Zumal Pogorelich nicht alleine kam; die ihn begleitenden Stuttgarter Philharmoniker haben einen ausgezeichneten Ruf und in ihrem neuen Chefdirigenten Dan Ettinger einen Mann am Pult, der nicht nur vor Energie strotzt, sondern auch das Orchester erlebbar zu befeuern weiß. Es war also angerichtet. Und es wurde serviert.

Zu hören bekam man zunächst eine alles andere als gewöhnliche Interpretation des a-moll-Klavierkonzerts Robert Schumanns. Denn Pogorelich blendete in eiserner Konsequenz jedwede Romantik aus und arbeitete sich stattdessen im wahrsten Sinn des Wortes an der Struktur des Werkes ab. In seinem Fokus dabei, der Rhythmus. Was mitunter den Eindruck vermittelte, Pogorelich sei geradezu fixiert darauf, den ersten Schlag eines jeden Taktes in den Flügel zu meißeln. Die Dynamik, die er mit diesem etwas exzentrisch wirkenden Spiel erzeugte, war beachtlich. Im Resultat stand ein ebenso rasanter wie skelettierter Schumann, bar aller Sinnlichkeit.

Ein fürwahr interessantes Hörerlebnis, das zumal schonungslos aufdeckte, wie hochkomplex das Zusammenspiel zwischen Soloinstrument und Orchester in Wirklichkeit ist. Vor allem auch, weil der rund 40-minütigen musikalische Dialog, den Schumann hier führen lässt, normalerweise nicht im Zeichen des Bleifußes steht. Wie auch ein Wanderweg keine Autobahn ist. Kein Wunder also, dass Ettinger und die Philharmoniker mit dem, was ihnen Pogorelich am Flügel vorlegte, bisweilen zu kämpfen hatten. Zumal auch Pogorelich, um im Bild zu bleiben, dann und wann aus der Kurve getragen wurde, den Einschlag, allerdings, gekonnt zu verhindern wusste.

Emotionaler Wellenschlag

Ganz anders, jedoch, dann nach der Pause, Schuberts große C-Dur-Symphonie. Ein rundum beeindruckendes musikalisches Erlebnis. Mit Stuttgarter Philharmonikern, die bereit waren, zu geben. Und einem Dirigenten, der forderte. Wobei Ettinger eigentlich gar nicht dirigierte, sondern eher malte. Klangbilder, nämlich, die seiner großen Geste zum Trotz, erstaunlich differenziert und bis ins Detail ausgestaltet waren. Das schuf einerseits Transparenz, transportierte aber auch auf eine faszinierende Weise jene für Schubert so typische Gefühlsmelange aus abgrundtiefer Traurigkeit und Sehnsucht, Vitalität und Lebensfreude.

Allerdings dauerte es bis in den zweiten Satz der Symphonie hinein, bis dieser emotionale Wellenschlag seinen Weg ungefiltert in den Zuschauerraum fand. Vielleicht ein Beleg dafür, dass die Interpretation des Klavierkonzerts vor der Pause zum einen viel Kraft gekostet, zum andern doch sehr weit weg von dem gewesen ist, was Schumann und Schubert im Normalfall eint: Das Bekenntnis zu Kantabilität, kühnen Modulationen und darin abgebildeter Emotion. Da braucht wohl auch ein Spitzenorchester eine gewisse Zeit, sich umzustellen.

Ungeachtet dieser als doch sehr unterschiedlich erlebten Konzerthälften: lang anhaltender, begeisterter Applaus für Musiker wie Dirigent. Zu Recht, denn sowohl Schumann als auch Schubert hallten auf dem Nachhauseweg mächtig nach.

INFO: Die Stadthallen-Ära der Kulturfreunde neigt sich dem Ende zu. Einmal noch ist der Verein Gastgeber in der alten Stadthalle, und zwar am Dienstag, 15. Dezember, 20 Uhr, für die Bamberger Symphoniker mit einem Sibelius-Programm. Dirigent ist Santtu-Matias Rouvali, Solist Pekka Kuusisto, Violine.