Protest: Kranke behandelt wie Verbrecher

Von Peter Rauscher
Fordert eine grundlegende Änderung des neuen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes: Prof. Thomas Kallert, Ärztlicher Direktor der Gesundsheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken (GeBO). Foto: Archiv/Andrea Pauly Foto: red

Bayerns Bezirke laufen Sturm gegen das geplante Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz des bayerischen Sozial- und Gesundheitsministeriums. Es werfe Tausende psychisch Kranke in einen Topf mit untergebrachten Straftätern, sei verfassungsrechtlich angreifbar und fachlich nicht hinnehmbar, kritisiert Prof. Thomas Kallert, Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfrankens (Gebo). Der Landtag berät am 24. April über den Entwurf. Und es gibt Hoffnung, dass sich noch etwas bewegt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Thomas Kallert verbirgt seine Empörung nicht. Der Entwurf des Ministeriums für das neue Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, das nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu gefasst werden musste und im Januar vorgelegt wurde, habe nach mehrjähriger Vorarbeit entscheidende Empfehlungen von Experten der Psychiatrie ignoriert. „Die Fachleute haben sich die Augen gerieben“, sagt Kallert dem Kurier.

Tausende könnten betroffen sein

Betroffen sein könnten jährlich Tausende Patienten, die per Gerichtsbeschluss für wenige Wochen stationär in psychiatrischen Kliniken in Bayern untergebracht würden. Das trifft auf etwa jeden zehnten Patienten in den psychiatrischen Kliniken zu, 90 Prozent der Patienten kommen aus freien Stücken zur Behandlung. Es handelt sich bei dem betroffenen Personenkreis ausdrücklich nicht um Straftäter, die wegen psychischer Störungen über lange Zeiträume in Maßregelvollzugseinrichtungen untergebracht sind, sondern um akut psychisch schwer Erkrankte, betont Kallert. 

Beispiel Datenschutz: Nach dem neuen Entwurf müssten die Kliniken persönliche Daten dieser Erkrankten samt Diagnosen und Befunden online an eine neue Behörde weiterleiten, die sie fünf Jahre speichere und auf deren Daten zahlreiche staatliche Organe Zugriff hätten „Was passiert eigentlich, wenn ein dort Erfasster Beamter werden will?“, fragt Kallert. Sogar die Entlassung gesunder und geheilter Patienten müsse die Klinik der Polizei melden.

Beispiel Überwachung: Nach dem neuen Entwurf drohe Videoüberwachung von Krankenbesuchen, wobei die Aufzeichnungen einen Monat gespeichert werden können. Kallert: „Wir sind doch nicht im Gefängnis, sondern im Krankenhaus. Brauchen Patienten für ihre Genesung Regelungen aus dem Strafvollzug?“

Beispiel Zensur: Der Zugang des Untergebrachten zu Presseerzeugnissen und zum Internet kann eingeschränkt werden.

Beispiel Beschäftigung: Untergebrachten soll binnen der kurzen Zeit ihrer Behandlung in der Klinik eine Beschäftigung angeboten werden, möglicherweise auch in Privatunternehmen. Und ausländische Kranke sollen dazu animiert werden, Deutschkurse zu absolvieren. Kallert nennt das „nur noch weltfremd. Ich bin schon froh, wenn ich eine schwer Erkrankte nach der ersten Behandlungswoche eine halbe Stunde in die Ergotherapie bringen kann“.

Gespräch mit Abgeordneten am Freitag

Kallert gibt zudem zu bedenken, dass das Gesetz - wenn der Entwurf so umgesetzt würde - vom Verfassungsgericht gekippt werden könnte, was im klinischen Alltag zu großen Rechtsunsicherheiten führen könnte. Da der Entwurf noch vor den Landtagswahlen im Oktober verabschiedet werden solle, sei jetzt die letzte Chance, ein schlechtes Gesetz zu verhindern, sagt Kallert. Nötig seien nicht nur kleine Korrekturen, sondern eine grundlegende Änderung. Er hoffe, dass mit diesem sensiblen Thema nicht unter dem Schlagwort „mehr Sicherheit“  Wahlkampf auf dem Rücken psychisch Kranker gemacht werden solle. Am Freitag will er seine Argumente Bayreuther Landtagsabgeordneten erläutern. Nun könne nur noch das Parlament helfen, sagt der Ärztliche Direktor.

Protestfront der Bezirke

Die bayerischen Bezirke, denen ausnahmslos CSU-Politiker als Präsidenten vorstehen, als Träger der psychiatrischen Kliniken haben sich zu einer Protestfront gegen den Gesetzentwurf zusammengeschlossen. In einer Stellungnahme des Bezirketags heißt es, mit dem Entwurf werde „die Chance vertan, ein modernes Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz zu erlassen, das die Entstigmatisierung psychisch kranker Bürger voranbringt und seinen Namen als Hilfe-Gesetz auch wirklich verdient“.

Der Bezirketag fordert unter anderem, die neue Unterbringungsdatei mit sensiblen Daten zu streichen, sauber zwischen Maßregelvollzug und Unterbringung psychisch Kranker zu unterscheiden, die Einschränkung der Selbstbestimmungsfähigkeit als Voraussetzung von Unterbringung zu nennen und die Benachrichtigungspflichten an die Polizei einzuschränken.

Signale von der neuen Ministerin

Das Gesetz müsse in einigen Punkten nachgebessert werden, bekräftigte Bezirketagspräsident Josef Mederer gegenüber dem Kurier. Er habe Signale erhalten, dass die neue Sozialministerin Kerstin Schreyer dies tun wolle. "Sie hat sich gegenüber der Kritik sehr aufgeschlossen gezeigt", sagte Mederer. Der Entwurf ihres Hauses wurde gestern im Ministerrat ohne Diskussion behandelt. In einer Pressemitteilung vom Dienstag wird Ministerin Schreyer mit den Worten zitiert, das neue Gesetz biete "Rechtssicherheit und Transparenz".

Fragen des Kurier, warum psychisch Kranke bei Datenschutz und Polizeimeldepflichten mit Straftätern gleichgesetzt werden, warum man eine neue  Datensammelbehörde braucht, warum Einwände von Fachleuten nicht berücksichtigt werden und ob nicht der Therapieerfolg durch das Gesetz gefährdet werde, ließ das Sozialministerium unbeantwortet.

Bilder