Polizeichef über Macht und Verantwortung

Von Moritz Kircher
„Unseren Auftrag zu erfüllen, bedeutet manchmal, in die Grundrechte von Menschen einzugreifen. Das geht bis zum Gebrauch der Schusswaffe“, sagt Polizeipräsident Reinhard Kunkel. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Auch wenn Polizisten anderen Menschen sagen dürfen, was sie zu tun und zu lassen haben, fühlt sich der oberfränkische Polizeipräsident Reinhard Kunkel nicht wie ein mächtiger Mann. Vielmehr seien Polizisten Menschen mit großer Verantwortung. Staatsmacht ausüben, "das ist nicht immer einfach", sagt Kunkel. Warum, das erklärt der Polizeichef im Kurier-Interview.

 
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Bis Weihnachten sprechen wir jeden Tag über ein Bibelzitat, das Pfarrer Otto Guggemos ausgesucht hat. Die heutige Bibelstelle:

 

"Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."

Jesaja 9,5

 

Herr Kunkel, sind Sie ein mächtiger Mann?

Reinhard Kunkel: Es wäre vermessen, die Polizei als mächtig zu sehen. Die Polizei hat eine Aufgabe in der Gesellschaft zu erfüllen, die ihr Kraft Gesetz verliehen ist und hat einen Teil dazu beizutragen, dass der Staat funktioniert.

Aber als Präsident sind Sie Chef einer Behörde mit vielen Bediensteten. Und Sie dürfen als Polizist anderen Menschen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Ruht auf Ihren Schultern in diesem Staatsgefüge nicht auch Herrschaft?

Kunkel: Herrschaft würde ich nicht sagen. Höchstens abgeleitet aus dem Auftrag des Volkes. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. So steht es im Artikel 20 des Grundgesetzes. Es war eine Meisterleistung der Gesellschaft und des Staates, zum Ende des Mittelalters eine Vereinbarung zu treffen und zu sagen: Künftig gilt nur noch das Gewaltmonopol des Staates. Und dieses muss gerecht auf alle gleichermaßen angewandt werden. Und hierzu bedient sich die Gesellschaft eines Organs - der Polizei. Die Polizei handelt nicht willkürlich. Und ein Polizeipräsident legt nicht selbst fest, was er tun oder lassen sollte. Er trifft auch keine Auswahl, was gut oder böse ist. Sein Auftrag ist gesetzlich festgelegt: Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und Hilfeleistung. Die Polizei braucht natürlich die Befugnisse, diesen Auftrag zu erfüllen.

Ihr staatlicher Auftrag ist mit Verantwortung verbunden. Können Sie diese Verantwortung mit Leichtigkeit tragen?

Kunkel: Die Verantwortung ist auf jeden Fall groß. Unseren Auftrag zu erfüllen, bedeutet manchmal, in die Grundrechte von Menschen einzugreifen. Das geht bis zum Gebrauch der Schusswaffe, mit der ein Polizist vielleicht ein Leben beendet. Das ist eine unheimlich große Verantwortung.

Haben Sie schon einmal einen Menschen verhaftet?

Kunkel: Ja. Auch als Einsatzleiter habe ich schon Verhaftungen angeordnet. Hier wird das Grundrecht auf die persönliche Freiheit einer Person eingeschränkt. Manchmal sogar die körperliche Unversehrtheit, wenn die Polizei ihr Handeln gegen andere durchsetzen muss. Das ist nicht immer einfach.

Wie fühlt man sich, wenn man staatliche Gewalt gegen einen Menschen anwendet? Hat man Angst, hat man Mitleid, ist man stolz?

Kunkel: Grundsätzlich geht jemand zur Polizei, der den Impetus hat, zu helfen und sich für diesen Staat einzusetzen. Eine positive Grundhaltung zum Staat muss vorhanden sein. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Situationen, wo der Polizist privat andere Vorstellungen hat. Nehmen wir das Beispiel Atomkraft oder Stromtrassen, wo vielleicht ein Beamter sagt, das finde ich nicht so gut. Dennoch ist er im Dienst verpflichtet, den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.

Polizisten müssen auch Demonstrationen von Links- und Rechtsextremisten schützen. Das wird von Außenstehenden oftmals so ausgelegt, dass der Staat Extremisten unterstützt. Handelt ein Polizist immer aus Überzeugung oder weil er Gesetze befolgt?

Kunkel: Grundsätzlich ist jeder Polizist dem Gesetz verpflichtet. Ein Handeln ohne Gesetz gibt es für die Polizei nicht. Sonst wäre das Willkür, und das wollen wir nicht. Ein Polizist kann natürlich in einen Gewissenskonflikt geraten. Wenn der Konflikt so groß wäre, dass ein Beamter etwas ablehnt - weil er zum Beispiel gegen einen Angehörigen vorgehen müsste - dann muss ich als Vorgesetzer diesen Kollegen rausnehmen. Dann muss ein anderer diesen Auftrag übernehmen, um diesen Gewissenskonflikt nicht eskalieren zu lassen.

Ist man 24 Stunden Polizist oder zieht man nach Dienstschluss die Jacke aus und ist Privatperson?

Kunkel: Den Wenigsten gelingt es, Dienst und Privatleben zu trennen. Ich erlebe sehr viele Kollegen, die in ihrer Freizeit den Ladendieb vorläufig festnehmen oder Streit schlichten. Es ist in der Regel im persönlichen Umfeld auch bekannt, wenn jemand bei der Polizei ist. So wird der Mensch dann auch in der Gesellschaft gesehen. Und das ist auch gut so, weil wir merken, dass wir Rückhalt in der Gesellschaft haben und respektiert werden.

Die Medien werden aus einer bestimmten Richtung als Lügenpresse beschimpft. Die Politik bekommt aus derselben Richtung Gegenwind. Trifft das auch die Polizei?

Kunkel: Wir stellen zwei Entwicklungen fest. Zum einen ist die Polizei bei Umfragen in der Anerkennung weit vor anderen Berufsgruppen. Die Menschen vertrauen der Polizei. Zum anderen stellen wir aber fest, dass bei Einsätzen eine gewisse Respektlosigkeit zunimmt. Insbesondere wo es um jugendliche Gruppen geht und wo auch Alkohol im Spiel ist. Da wird der Mittelfinger gezeigt und auch schon mal an Streifenwagen uriniert.

Bald ist Weihnachten. Ist das für die Polizei eine ruhige und friedliche Zeit?

Kunkel: Die Weihnachtszeit ist für uns stressig, weil wir auf vieles achten müssen. Zum Beispiel führt die früh einsetzende Dunkelheit dazu, dass es zwielichtige Gestalten auf das Eigentum anderer abgesehen haben. Da fahren und laufen wir verstärkt Streife. Hinzu kommt aktuell die Gefährdungslage aufgrund extremistischer Bedrohungen. Und der Dienst über Weihnachten muss natürlich täglich 24 Stunden geleistet werden.

Können wenigstens die Kollegen abschalten, die über Weihnachten frei haben?

Kunkel: Das hoffe ich. Wenn allerdings was Größeres ist, müsste ich auch die Kollegen aus der Freitzeit holen.

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