„Parsifal“ in der Kathedrale

Piontek
Das Orchesterkonzert der Jungen deutsch-französisch-ungarischen Philharmonie 2018 bot ein stimmiges Programm in der Stadtkirche. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Was haben Bach, Bruckner und Ravel gemein? Sie haben eine Musik geschrieben, die seit mehr als drei Jahrhunderten nicht wenige Zuhörer erreicht. Bachs 333. Geburtstag, der dem Unsterblichen dieses Jahr bereitet wird, mag der äußere Grund für die Tatsache gewesen sein, dass man ihn an die Spitze des Konzerts des Projektorchesters der „Jungen deutsch-französisch-ungarischen Philharmonie 2018“ stellte.

 
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Andererseits braucht Bach gewiss keine Jubiläumsjahre, um präsent zu sein – der liebe Gott der abendländischen Musik wirkt immer und überall – selbst und manchmal gerade in Orchesterbesetzungen, die alles andere als „werktreu“ sind. Denn kein anderer Komponist verträgt dank seiner strukturellen und objektiven Musik so sehr die Bearbeitung wie der Gigant aus Mitteldeutschland.

Bachs Orchestersuite heute noch mit einem Symphonieorchester zu spielen, das der Ästhetik des mittleren 20. Jahrhunderts verpflichtet ist, mag ein Rückschritt gegenüber jeglicher historisch informierter Aufführungspraxis sein. Mancher Zuhörer sah möglicherweise Nikolaus Harnoncourt, einen der Matadore jener Praxis, in seinem Grab rotieren, als die jungen Musiker die D-Dur-Suite BWV 1068 in einer großen Besetzung anstimmten, was legitim ist; bei den vielen kleinen Noten verschwindet allerdings bekanntlich im berühmten, drei Komma fünf langen Nachhall der Stadtkirche jegliche Nuance. Wäre da nicht die Air…

Vielleicht hat man um ihretwillen das Stück angesetzt: denn für diesen Gesang, von Nikolaus Richter mit quasiromantischer Zurückhaltung dirigiert, ist der Bau einfach ideal.

In der Welt Anton Bruckners

Eine Tanzsuite Bachs mit der Pavane Ravels zu kombinieren und letztere schlicht schön zu spielen, dies offenbart einen dramaturgischen Einfall, der schlagend ist. Gerade in der Instrumentation des ehemaligen Dirigenten des Florida Philharmonic, Clarc McAllister, nicht in der originalen Fassung des Komponisten. Auch hier gibt es eine Verbindung zum krönenden Schlussstück des Programms.

Mit den weichen Blechbläsern und dem samtigen Streicherklang befinden wir uns zwar im Hollywood-Kino der 1950er und 60er Jahre – und deren wunderbarer Filmmusik. Doch zugleich sind wir in der Welt Anton Bruckners. Die Stadtkirche aber ist für eine Bruckner-Symphonie wie die 7. ideal. Nur bei den größten Klangballungen wird’s im Allegro wüst – ansonsten tanzen hier sogar die Streicher. Wer die Augen schließt, befindet sich in einer Kathedrale, die dunkle „Parsifal“-Welt im Ohr.

Adagio schön mischklangig bis zum Höhepunkt

Was für eine monumentale, im Sinne Bruckners vermutlich nichts als angemessene Schleife entsteht da am Schluss des Kopfsatzes. Was für ein Klangrausch im Finale. Die Musiker haben kaum eine andere Chance, als das Adagio schön mischklangig bis zum Höhepunkt zu führen, der durch den halbauthentischen, aber wirkungsvollen Beckenschlag seine Klimax erfährt: größtes Pathos, dem die grell herausfahrende Trauermusik für Richard Wagner bewegend folgt.

Eine seltsame Dramaturgie für Kenner, doch (meist) ein hinreißendes Klangerlebnis mit akustisch passenden wie bewegenden Stücken, eine Riege höchst engagierter junger Musiker, die von Nicolaus Richter ohne dirigentische Zirkuskunststücke durch das seltsame, doch auch seltsam stimmige Programm geführt werden.