Orchestersturm in der Ordenskirche

Von Frank Piontek
Das Symphonieorchester der Internationalen Jungen Orchesterakademie 2017 unter der Leitung von Dirigent Dorian Keilhack in der Ordenskirche St. Georgen. Foto: Andreas Harbach Foto: red

90 Musiker aus 29 Staaten boten in der Ordenskirche in St. Georgen ein mitreißendes Konzert beim Osterfestival. Gänsehaut-Feeling inklusive.

 
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23: die Zahl versteht sich nicht von selbst. Mit „23“ wird nicht der Sinn des Lebens erklärt, aber einer Unternehmung, deren karitative Funktion nicht von der künstlerischen Dignität getrennt werden kann, mit der das Symphonieorchester der Internationalen Jungen Orchesterakademie nun schon seit bald einem Vierteljahrhundert das Ereignis eines Symphoniekonzerts nach Bayreuth bringt. So auch am Sonntag in der Ordenskirche.

Dass es heute, da mit dem Wegfall der Stadthalle kein adäquater Raum zur Verfügung steht, von besonderem Wert ist: darauf muss nicht eigens hingewiesen werden. Wichtiger aber ist der eigentliche Mehrwert, der sich auch 2017 an der Trinität dreier großer, nein: übergroßer „Klassiker“ festmacht.

Geheime Beziehungen

Wieder nämlich mischt man Wagner, Mahler und Brahms in einem kompakten Programm zusammen. Eine Ouvertüre, vier Lieder und eine Symphonie: zusammen ergibt das ein Konzertprogramm geheimer Beziehungen. Wenn im Finalsatz der 1. Symphonie Johannes Brahms’ ein Choral ertönt, wird zudem dem Ort selbst – der Kirche in St. Georgen – Reverenz erwiesen. Der Sturm aber, der schon durch den ersten Satz wehte, ja tobte, erinnert erstaunlicherweise an das Meerestosen, mit dem Richard Wagner 1840 seine Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“ reichlich ausgestattet hat. Unter der Leitung Dorian Keilhacks können die 90 Musiker, die wieder aus 29 Staaten angereist sind, nicht anders denn als jugendlich spielen. Es ist schlichtweg betörend, mit welcher Energie sie nicht allein den jugendlichen Wagner, sondern auch den Brahms bringen; das Allegro wird hier zu einer schier mitreißenden dramatischen Ouvertüre, die fast vergessen lässt, dass Brahms seine Musik stark konstruktiv angelegt hat. Und wenn das Adagio des Schlusssatzes in das berühmte Alphornmotiv mündet, geht buchstäblich die Sonne auf – Gänsehaut! Ungeachtet einiger jugendlicher Patzer, die nur ein Beckmesser ankreiden würde, weil sie, wie Brahms gesagt hätte, „jeder Esel hört“, betört das Orchester mit Macht – und zartester Lyrik. Schlicht betörend bleiben, nicht allein im vergleichslos sehnsüchtig-ruhigen Andante und seiner vom Orchester und den Solisten dahingezauberten Klangpracht, Brahms’ Lieblichkeiten.

Schöne Celli, überwältigende Hörner

Schon im Allegro entzückt die Gruppe der schönen Violoncelli, dann der Holzbläser; die sechs Hörner überwältigen nicht allein beim „Holländer“. Auch Wagner hätte diese fast schon unverschämte Präpotenz und die Deutlichkeit des differenzierten Klangs gefallen.

Ist der Klang eines, so das Tempo ein anderes. Im dritten Satz scheint Keilhack die Geschwindigkeit des „poco allegretto“ ein bisschen zu sehr zu zügeln, bevor der Hörer begreift, dass es ihm auch hier um Kontraste geht, auf dass der Mittelteil besonders wirken möge.

Mahlers Kontraste

Kontraste bestimmten auch die Kunst eines Gustav Mahler. Mit den vier Wunderhorn-Liedern bringt das Orchester eine kleine Suite im 6/8-Takt. Die Solistin Eva Schöler kann zeigen, wie spielerisch und gar nicht konzerthaft diese ungewöhnlichen Lieder gesungen, ja musikalisch gelebt werden können. Mit Musikern aus Ost und West, aus Spanien, Serbien, Russland etc. – und aus Nordkorea. Ist es nicht ein Wunder, mit welcher Lebendigkeit sie uns zusammen die „Klassiker“ schenken, die ihr inneres und manchmal äußeres Leben in ihrer Musik verewigten?

Vielleicht ist der Sinn des Lebens ja heute doch eine Zahl: 29 – oder 90.

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