Nicht alles am Ende des Zweiten Weltkrieges fand Eingang in die Geschichtsbücher Wie Kulmbacher die letzten Kriegstage erlebten

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Das Stadtarchiv lässt ein Tonband mitlaufen, weil ihre Erinnerungen so wertvoll sind: Zeitzeugen erzählten am Donnerstag im Historischen Badhaus von ihren Erlebnissen in den Vor- und Nachkriegstagen in Kulmbach. Die Macher der Ausstellung „70 Jahre Kriegsende in Kulmbach“ haben sie dazu eingeladen. Denn längst nicht alles, was sich in den Tagen um das Ende des Zweiten Weltkriegs zutrug, fand Eingang in die Geschichtsbücher.

 
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Wie der Angriff eines amerikanischen Tieffliegers auf einen Flüchtlingszug aus Schlesien am 9. April 1945 in Kauernburg. Fünf junge Menschen kommen Stadthistoriker Hermann Müller zufolge dabei ums Leben. Begraben werden sie später auf dem städtischen Friedhof. „In der Literatur ist darüber nichts zu finden“, sagt Müller. Ein Augenzeuge berichtete Müller von dem Ereignis. Die Flugzeuge seien so tief geflogen, dass er „den Piloten in der Kanzel sitzen“ sah, erzählte der.

Solche Zeitzeugen der 70 Jahre zurückliegenden Kriegsereignisse gibt es immer weniger. Kulmbacher der 20er und 30er Jahrgänge. Hans Nützel (84) erinnert sich noch lebhaft an das Kriegsende. Für seinen Vortrag erhebt er sich von seinem Stuhl. Als 14-Jähriger ist Nützel zum Volkssturm eingezogen worden. Unter Sirenengeheul sei er noch am 10. April „auf den Führer verpflichtet“ worden, erzählt Nützel.

Die jungen Männer werden eingekleidet, erhalten eine kurze Einweisung, wie im Angriffsfall mit Panzerfaust und Handgranate umzugehen ist. „Am Schützenhausplatz wurden wir unter Feuer genommen. Aber es gab keine Toten.“ Im alten Schützenhaus finden sie kurze Zeit Schutz.

Unter dem Befehl von SS-Leuten marschiert die Gruppe am 11. April aus Kulmbach weg Richtung Marienweiher. „Bei Kauerndorf lagen überall Tierkadaver auf der Straße. Wir sind marschiert, marschiert, marschiert.“ Bei Steinbach treffen sie einen Landser. „Geht heim zu Mutti, der Krieg ist aus“, ruft der ihnen zu. Die „letzte Illusion auf den Endsieg“ sei da geschwunden, so Nützel. Die Jugendlichen kannten aber auch den SS-Befehl: „Wer türmt, wird erschossen.“ Trotzdem entschloss sich Nützel, mit einigen Kameraden die Flucht zurück nach Kulmbach vorzubereiten. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: Am 14. April wurden sie von amerikanischen Soldaten aufgestöbert. „Ich habe alles weggeworfen, was mich belastet hat und bin nach Osten hin ausgerissen. In der nächsten Bodenwelle habe ich mich versteckt“, schildert Nützel seine Flucht. Auf einem Bauernhof erhält er ein paar Eier.

In der Nähe von Trebgast trifft er auf eine Lehrersfrau mit einem Kinderwagen. Er gibt sich als ihr Begleiter aus. Mit ihr zusammen fährt er den Kinderwagen bis nach Kulmbach. „Diese Erlebnisse haben bei mir nur eines bewirkt: Nie wieder Krieg“, sagt Nützel und erhält dafür spontanen Applaus von den Zuhörern.

Die Kulmbacherin Lieselotte Pöhlmann (91) hat die Stadt in jenen Tagen nicht verlassen. Noch heute wohnt sie im Herzen Kulmbachs in der Langgasse. „Ich bin als Arbeitsmaid zum Kriegsdienst verpflichtet worden. Gearbeitet habe ich in der Stadtkämmerei, in der Buchbindergasse 5.“ Ihr Freund, ein Fluglehrer aus Cham, sei bei Rundflügen öfters über das Gebäude geflogen. „Ich bin dann auf den Balkon gegangen. Er konnte tatsächlich sehen, was ich hatte.“

In den letzten Kriegstagen sind nur noch wenige Männer in der Stadt, erinnert sich die Seniorin. Bei einem Angriff verstecken sich die Frauen in einem Luftschutzkeller in der Karl-Jung-Straße. „Unser Hund ist vorm Haus durch den Luftdruck durch die Luft geschleudert worden.“ Der Vater rückt mit der Feuerwehr aus, um nach Verletzten zu sehen. „Heute bin ich ein freierer Mensch“, sagt Lieselotte Pöhlmann. „Ich bin vom Luftschutzkeller befreit – und von allem anderen.“

Über die Nachkriegstage wissen Heinz Kürschner (75) und Werner Falkenberg (77) noch vieles: Wie die Kinder zum Kohlensammeln zum Güterbahnhof geschickt wurden, wie die Menschen im Kriegsgefangenenlager im Pörbitscher Weg hungerten. Andere stranden als Flüchtlinge in Kulmbach. Und brauchen lange, bis sie sich in der neuen Heimat wohlfühlen.

„Geschichte“, sagt Müller, „wird immer von den Siegern geschrieben.“ Und mahnt: „Das erste Opfer jeden Krieges ist die Wahrheit.“

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