Neues Therapiezentrum gegen Adipositas

Von Christina Knorz
Freuen sich über das neue Adipositas-Zentrum: Dr. Oliver Ponsel, Andrea Eibl (Selbsthilfegruppe Adipositas) und Dr. Jamal El-Chafchak. ⋌Foto: Andreas Harbach Foto: red

Ein Viertel aller Deutschen ist nach Erhebungen des Robert-Koch-Instituts stark übergewichtig. Für Oberfranken bedeutet das: 250.000 Menschen sind - rein statistisch gesehen - behandlungsbedürftig. Betroffene wie Andrea Eibl mussten bisher eine Odyssee in Kauf nehmen, um Hilfe zu finden. Jetzt baut das Klinikum Bayreuth ein Adipositas-Zentrum auf.

 
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Andrea Eibl (53) fuhr zur Ernährungstherapie nach Neuenmarkt, nach Regensburg zum Psychologen, nach München zum Arzt. "In Bayreuth kannte sich keiner aus", sagt die Leiterin der neuen Selbsthilfegruppe Adipositas. Dass andere Betroffene jetzt an einem Ort alle Hilfe bekommen können, die sie brauchen, um ihr starkes Übergwicht in den Griff zu bekommen, "finde ich einfach klasse".

Zwei Drittel aller Männer (67 Prozent) und die Hälfte aller Frauen (53 Prozent) in Deutschland ist übergewichtig. Ein Viertel der Erwachsenen ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts stark übergewichtig, also adipös. Adipöse Menschen haben einen Body-Mass-Index von über 30 (BMI: siehe Info). Eine Adipositas-Therapie kommt für Menschen mit einem BMI von 40 infrage oder einem BMI von 35, wenn sie bereits Folgeerkrankungen haben.

Nicht als Krankheit anerkannt

Das deutsche Gesundheitssystem erkennt Adipositas nicht als Krankheit an. "Deutschland ist ein Entwicklungsland, was die Adipositas-Therapie betriff", sagt Dr. Jamal El-Chafchak, der das Adipositas-Zentrum in Bayreuth aufbauen wird. Dabei seien allein die Behandlungskosten der Begleiterkrankungen mit 15-20 Milliarden Euro pro Jahr "enorm hoch".

Operation kein Wundermittel

Für Chefarzt Dr. Oliver Ponsel macht das keinen Sinn. "Eine Operation kostet 8000 bis 10.000 Euro, im Vergleich zu den Milliarden für die Behandlung der Folgen wie kaputte Kniegelenke, Insulin-Mittel für Diabetes, Bluthochdruck und so weiter, ist das doch eine gute Lösung." Allerdings sei die Operation keine "Wundertablette".

Die Operation des Magens steht am Schluss einer monatelangen Therapie. Sie nennt sich multimodale Therapie, weil sie viele einzelne Maßnahmen vereint. Ein psychologisches Gutachten ist Pflicht, ein wöchentliches Reha-Sportprogramm, eine Verhaltenstherapie und eine Ernährungsumstellung. Wenn diese Therapie nicht zu einer Gewichtsreduzierung von zehn Prozent geführt hat, werde operiert.

Ärzte: OP die beste Möglichkeit zur Gewichtsreduzierung

"Aber wie viel haben wir einem Menschen geholfen, der jetzt nicht mehr 150, sondern 135 Kilo wiegt?", fragt Ponsel. Die Krankenkassen werteten die Gewichtsreduzierung als Erfolg und seien zurückhaltend mit einer Übernahme der Operationskosten. "Leider nehmen viele danach wieder zu." Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 6000 Menschen mit Adipositas am Magen operiert. Nach Einschätzung der Ärzte zu wenig. "Die Operation ist die beste Möglichkeit, Gewicht zu reduzieren und Folgeerkrankungen auszuschließen", sagt El-Chafchak.

Heutzutage werde der Magen entweder zu 80 Prozent operativ entfernt oder - vereinfacht ausgedrückt - ein Teil des Dünndarms von der Nahrungsaufnahme operativ ausgeschlossen. In die Schlagzeilen kamen vor einigen Jahren Operationsmethoden, bei denen Patienten an den Folgen von Mangelversorgung gestorben sind. "Diese Verfahren werden heute nicht mehr angewandt", sagt Ponsel. Die Patienten müssten aber durch regelmäßige Kontrollen darauf achten, dass sie nach wie vor alle wichtigen Zusatzstoffe zu sich nehmen.

Ursache: Essstörungen oder Veranlagung

Zu den Ursachen von Adipositas gehören Veranlagung, Bewegungsmangel und Fehlernährung, Schlafmangel, Stress, niedriger sozialer Status, die ständige Verfügbarkeit von Nahrung, Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts oder Essstörungen. Adipositas kann aber auch als Folgeerscheinung von Medikamenten-Einnahme auftreten, bei Antidepressiva, Neuroleptika, Antiepileptika, einigen Kontrazeptiva oder Betablockern.

WHO: Eine chronische Krankheit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Adipositas als chronische Krankheit ein. Also solche müsse sie ein Leben lang nachgesorgt werden, sagt Ponsel. Das Adipositaszentrum wird an seiner Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum angesiedelt. Regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung seien die Grundlage für ein dauerhaftes Normalgewicht. "Diäten sind der größte Fehler, den man machen kann", sagt El-Chafchak. Es gelte vielmehr Muskeln aufzubauen, um den Grundumsatz des Körpers zu erhöhen.

Body-Mass-Index

Der Body-Mass-Index ist folgendermaßen zu errechnen: Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat. Ein Beispiel: ein Mensch mit 100 Kilogramm und einer Größe von 1,80 Metern. 100/(1,80*1,80) = 30,86

Information:

Die Selbsthilfegruppe Adipositas von Andrea Eibl trifft sich an jedem ersten Dienstag im Monat um 19 Uhr im Gemeindezentrum St. Benedikt in Aichig, Odenwaldstraße 6. Kontakt zur Gruppe gibt es über Facebook unter dem Namen Selbsthilfegruppen Adipositas Bayreuth, über WhatsApp unter der Nummer 0152/28733802, per Mail: SHG-Adipositas-bayreuth@online.de

Das Klinikum Bayreuth bietet eine Adipositas-Sprechstunde an, jeweils dienstags von 13 bis 16 Uhr. Anmeldung unter der Nummer 0921/400753721. Vorträge zum neuen Therapiekonzept am 9. und 20. August ab 18 Uhr im Klinikum.

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