Nahles: Bei der Rente geht noch was

Von Peter Rauscher und Elmar Schatz
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles (SPD). Foto: Ronald Wittek Foto: red

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat in den nächsten Monaten noch viel vor mit der Rente. Betriebsrenten, Erwerbsminderung, Riester, Ostrenten  - überall soll es Verbesserungen geben, obwohl schon in einem knappen Jahr der Bundestag gewählt wird. Trotz der Kritik, die sie wegen der Ankündigung höherer Rentenbeiträge erntete, sagte sie im Interview mit dem "Nordbayerischen Kurier": "Wir können noch einiges umsetzen."

 
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Frau Nahles, Ihre Tochter ist fünf Jahre alt. Wird sie, wenn sie einmal alt und grau ist, noch genügend Rente bekommen?

Andrea Nahles: Ja, wenn es unserem Land weiterhin wirtschaftlich gut geht. Es braucht allerdings eine große Kraftanstrengung. Zurzeit stehen 35 Rentnerinnen und Rentner 100 Beschäftigte gegenüber. Im Jahr 2040 werden diesen 100 Beschäftigten schon 56 Rentnerinnen und Rentner gegenüberstehen. In den kommenden Jahren gehen nun immer mehr Menschen aus der Generation der der Babyboomer in den Ruhestand. Die Zahl der aktiv im Berufsleben stehenden Menschen wächst aber nicht mit, sondern wird sogar kleiner. Dadurch gerät die Finanzierung der gesetzlichen Rente unter Druck. Meiner Tochter würde ich also in jedem Fall raten, noch ein zusätzliches Standbein der Altersvorsorge aufzubauen: am besten eine betriebliche Rente.

Frei nach Norbert Blüm: Die Rente ist sicher, nur die Höhe nicht.

Nahles: Die Rente ist stabil, pflege ich zu sagen. Wir können und müssen die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland stark und leistungsfähig halten.

Ich frage mal andersherum: Wird sich die Generation Ihrer Tochter auch noch die Sozialbeiträge leisten können? Sie haben kürzlich angekündigt, dass die Rentenbeiträge nach 2030 auf über 22 Prozent steigen können. Zusammen mit Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung droht dann eine Belastung der Beitragszahler von 50 Prozent.

Auf die richtige Balance kommt es an

Nahles: Die Frage ist: Wie bringen wir eine angemessene Entwicklung des Rentenniveaus – also dem, was eine Rente im Verhältnis zum Durchschnittslohn ausmacht – mit tragbaren Beitragssätzen zusammen? Ich werde dazu im November einen Vorschlag machen. Es wird um die Frage gehen, ob wir das solidarische System erhalten wollen. Die gesetzliche Rentenversicherung hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt. Wir brauchen eine kluge Balance zwischen Haltelinie beim  Rentenniveau und Deckel bei den Beitragssätzen auch über 2030 hinaus. Ich bin die erste in diesem Amt, die bei der Rente und bei diesen beiden zentralen Größen über das Jahr 2030 hinausblickt.

Sind Sie nicht ein bisschen spät dran mit Ihrer Vorausschau? Wenn Sie ihr Rentenkonzept im November vorlegen, haben wir noch zehn Monate bis zur Bundestagswahl. Da geht doch nicht mehr viel.

Nahles: Das sehe ich nicht so. Wenn wir uns bald einigen, können wir noch einiges umsetzen: die Angleichung der Ost-West-Renten, bei den Erwerbsminderungsrenten, bei den Rentenansprüchen von Geringverdienern und auch beim Korridor für Rentenniveau und Beitragssatz. 

 Mit Horst Seehofer wird noch zu sprechen sein

Nach Konsens sieht es gerade nicht aus. Horst Seehofer hat für seine Zustimmung zur Angleichung der Ost-West-Renten höhere Mütterrenten zur Bedingung gemacht. Ist das schon Wahlkampf?

Nahles: Wir werden darüber zu sprechen haben.  Aber die höhere Mütterrente steht nicht ganz oben auf meiner Prioritätenliste. Wir haben bei den Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren sind, schon einen Rentenpunkt pro Jahr zusätzlich gewährt. Das kostet 6,7 Milliarden Euro mehr jedes Jahr. Dass wir für Erwerbsgeminderte, die am meisten von Altersarmut bedroht sind, mehr tun müssen, darüber besteht bereits Einigkeit.

Wird es mit der SPD jemals eine spätere Rente als mit 67 geben?

Nahles: Solange ich Sozialministerin bin: nein. Es bringt auch finanziell nicht viel. Die Verschiebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 führt beim Rentenbeitrag zu einer Entlastung von 0,6 Prozentpunkten. Einige Menschen könnten länger arbeiten, ja. Aber ganz viele eben nicht. Das Problem ist: Je niedriger das Einkommen, desto kürzer die Lebenserwartung. Gutverdiener leben im Schnitt acht Jahre länger als Niedrigverdiener. Schon deshalb wäre es ungerecht, das Renteneintrittsalter für alle pauschal weiter hochzusetzen. Wir müssen eher gleitende Übergänge zwischen Arbeit und Rente erleichtern, so wie jetzt mit der Flexi-Rente. Weiterarbeiten über die Regelarbeitsgrenze hinaus wird sich deutlich mehr lohnen und das Teilrentenrecht wird deutlich vereinfacht. Entscheidend ist doch: die Flexibilität der Rente muss es nach hinten und nach vorne geben, also für die, die länger arbeiten können und wollen, und für die, die zum Ende ihres Arbeitslebens einfach nicht mehr können. Selbstbestimmte, individuelle Flexibilität schafft mehr soziale Gerechtigkeit. Das ist meiner Ansicht nach der bessere, angemessene Weg.

 Die Riesterrente ist besser als ihr Ruf

Sie würden Ihrer Tochter zu Zusatzvorsorge raten. Meine Tochter zahlt nicht mehr  in ihren Riestervertrag ein, weil sie das Vertrauen verloren hat.

Nahles: Davon kann ich ihr nur abraten. Ich habe mich gerade bei der auf Rentenberatung spezialisierten Verbraucherzentrale Koblenz vergewissert: Dort empfiehlt man den Menschen weiter und aus guten Gründen, mit einer Riester-Rente vorzusorgen. Denn da gibt es im Alter nicht nur immer mindestens das wieder heraus, was man einbezahlt hat. Auch die staatliche Förderung ist beträchtlich und führt zu guten Renditen: gerade für Geringverdiener, Frauen und Familien. Die Riester-Rente ist besser als ihr Ruf. Man hätte sie damals allerdings als Pflichtversicherung einführen müssen.

Dagegen wetterte die „Bild“-Zeitung mit der Schlagzeile von der Zwangsrente.

Nahles: Ja, ich kann mich erinnern. Im Nachhinein kann ich das nicht korrigieren, aber Verbesserungen sind auf dem Weg: Ab 2017 wird allen Riester-Produkten eine Art Beipackzettel beigelegt. Risiken und Renditen werden dort auf einer Skala von eins bis fünf bewertet. Das soll mehr Transparenz und Vertrauen in Riester schaffen.

Von Scheitern zu sprechen war nicht hilfreich

 Aber die Zahl von Riester-Verträgen stagniert.

Nahles: Allerdings auf mit mehr 16 Millionen Verträgen nicht allzu niedrigem Niveau…. Die aktuelle Zurückhaltung hat sicher mehrere Gründe, unter anderem die derzeit niedrigen Zinsen. Aber auch Bemerkungen wie von Herrn Seehofer, Riester sei gescheitert, waren nicht hilfreich.

Werden auch die Zulagen erhöht?

Nahles: Wir legen das Augenmerk jetzt zunächst auf die betriebliche Altersversorgung. Da gibt es gerade bei kleinen und mittelgroßen Betrieben noch zu große Zurückhaltung beim Angebot von Betriebsrenten. Zusammen mit dem Finanzminister werde ich in Kürze ein Gesetz zur Stärkung der Betriebsrenten vorlegen, das auch eine bessere Förderung beinhaltet.

Allerdings hat der Staat die Betriebsrenten unattraktiv gemacht, indem er Krankenkassenbeiträge bei Direktversicherungen abkassiert.

Nahles: Wir werden das abmildern.

 Wir können die Zeit bei Direktversicherungen nicht zurückdrehen

Aber nur für Neuverträge, die Arbeitnehmer mit Altverträgen sind gekniffen.

Nahles: Wir werden für die Zukunft einiges an Verbesserungen einführen. Aber wir können und werden schon aus Kostengründen die Zeit nun nicht komplett zurückdrehen.

Finden Sie es eigentlich richtig, dass Sie als Ministerin und Ihre Abgeordnetenkollegen Rentengesetze beschließen, wo doch Amts- und Mandatsträger in der Regel viel höhere Pensionen beziehen als Arbeitnehmer?

Nahles: Ich bin bekanntlich dafür, dass auch Abgeordnete und Minister in die Rentenkasse einzahlen. Ich bin für die Erwerbstätigenversicherung, aber das ist ein dickes Brett und ein Ziel nicht mehr für diese Legislaturperiode. Mich bewegt ganz aktuell etwas anderes: Wir haben zur Zeit drei Millionen Selbständige ohne eine verlässliche, dauerhafte Altersvorsorge. Hier möchte ich dafür sorgen, dass es eine hier Absicherung über die Rentenversicherung gibt. Das ist nötig,  um zu verhindern, dass die Selbständigen von heute später im Alter dann bedürftig werden und in die Grundsicherung rutschen. Unser Koalitionspartner sieht das Problem ähnlich.

Zur Person

Andrea Nahles (46) ist seit 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Davor war sie seit 2009 SPD-Generalsekretärin.Von 1998 bis 2002 und seit  2005 war Nahles Mitglied im Bundestag. Studiert hat sie Literaturwissenschaft. Sie lebt mit ihrer Tochter bei Mayen in Rheinland-Pfalz.

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