Nach Vanessa-Urteil: Vereine in Sorge

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Das Gerichtsurteil zu einem Unglück im Himmelkroner Freibad im Jahr 2014, bei dem eine Mutter ihre achtjährige Tochter verlor, löst nun möglicherweise ein Beben in der Jugendarbeit von Vereinen aus. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Der Schuldspruch für die ehrenamtliche Betreuerin des TSV Himmelkron nach dem tragischen Badeunfall der achtjährigen Vanessa hat im ganzen Landkreis Kulmbach Ehrenamtliche aufgeschreckt. Die Befürchtung: Vor allem wenn es um Ausflüge zum Schwimmen geht, wird sich wohl kaum mehr jemand finden, der die Verantwortung für Kinder übernimmt.

 
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Beim Kreisjugendring in Kulmbach, der regelmäßig Gruppenausflüge in Spaßbäder anbietet, haben sich die Verantwortlichen bereits einen Tag nach dem Richterspruch zusammengesetzt und besprochen, wie Kinder- und Jugendarbeit nach diesem Urteil des Kulmbacher Amtsgerichts künftig aussehen kann. Noch ist keine abschließende Entscheidung gefällt, aber Kreisjugendpfleger Jürgen Ziegler macht deutlich: „Wenn wir ein Haftungsrisiko sehen, können wir ehrenamtliche Betreuer künftig nicht mehr losschicken.“

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Auch in anderen Vereinen machen sich die Verantwortlichen Gedanken. Besonders Ausflüge zum Schwimmen, das wird jetzt bereits deutlich, wird es wohl künftig kaum mehr geben. Gerhard Schneider ist als Bürgermeister der Gemeinde Himmelkron und damit als Verantwortlicher für das Freibad wie auch als Vorsitzender des TSV Himmelkron von dem Kulmbacher Urteil doppelt betroffen. Schneider hat den Prozess gegen den ehemaligen Bademeister der Gemeinde und die ehrenamtliche Betreuerin des TSV persönlich verfolgt. Von Anfang an hatte er deutlich gemacht, was ein Schuldspruch für einen Einfluss auf die ehrenamtliche Arbeit mit Kindern in Vereinen für Folgen haben könnte.

Noch im Amtsgericht hatte Schneider davon gesprochen, das Urteil stimme ihn sehr nachdenklich, „weil es sehr, sehr hohe Anforderungen an das Ehrenamt stellt“. Amtsrichterin Sieglinde Tettmann hatte in ihrer Urteilsbegründung unter anderem erklärt, die Betreuerin hätte sich nicht darauf verlassen dürfen, dass das Kind ihr mitgeteilt hatte, schwimmen zu können und sogar das Seepferdchen zu haben. Die Frau hätte das Kind vorschwimmen lassen müssen, bevor es ins tiefe Wasser gelassen wurde.

Kinderturngruppe wird nicht mehr ins Freibad gehen

„Die Betreuerin tut mir unendlich leid“, kommentierte Schneider das Urteil und freute sich über den Freispruch für den Bademeister. Wenigstens müsse sich die Gemeinde nicht auch noch ein organisatorisches Fehlverhalten vorwerfen.

Beim TSV Himmelkron gibt es bereits Folgen nach dem tödlichen Badeunfall: Die Kinderturngruppe geht seitdem nicht mehr ins Freibad. Schon einen Tag nach dem Richterspruch haben die Verantwortlichen des Kreisjugendrings zusammengesessen und überlegt, welche Folgen dieses Urteil auf ihre eigene Arbeit haben wird. Der KJR gehe jetzt schon mit sehr viel Bürokratie um, damit er seine Arbeit mit Kindern bestmöglich absichert. Die Einverständniserklärung, die Eltern unterschreiben müssen, umfasst laut Ziegler inzwischen vier Seiten.

Wann kann ein Kind schwimmen?

Betreuer werden ausgebildet. Sogar Fahrsicherheitstrainings gibt es. Für Tagesfahrten bestehen klare Handlungsanweisungen. Ob all das unter den nun neuen Gesichtspunkten reicht, will der KJR nun prüfen, sagt Jürgen Ziegler: „Alles kommt jetzt nochmal aktuell auf den Prüfstand.“ Das größte Augenmerk richtet der Kreisjugendring dabei natürlich auf alle Veranstaltungen, die mit Schwimmbädern zu tun haben. Regelmäßig fährt der KJR mit einem ganzen Bus voller Kinder in Spaßbäder. Natürlich seien die Betreuer dabei besonders sensibilisiert.

Wie man die aufkommende Forderung, die Kinder vorschwimmen zu lassen, allerdings in der Praxis umsetzen soll, weiß Jürgen Ziegler nicht. „Wie soll das funktionieren? Wir fahren mit 40 Kindern ins Schwimmbad. Sollen wir die alle vorschwimmen lassen? Und wenn: Wie weit müssen die Kinder schwimmen? Und vor allem: Wer sagt dann auf welcher Grundlage, dass ein Kind schwimmen kann?“

Kreisjugendring überdenkt seine Arbeit

Lösungsansätze, wie die Forderung des Kulmbacher Amtsgerichts in die Praxis umgesetzt werden kann, sieht Ziegler nicht. Für den KJR gehe es nun darum, sich abzusichern und damit natürlich auch seine meist jungen ehrenamtlichen Helfer nicht in Gefahr zu bringen. Eine Lösung ist noch nicht gefunden.

Der Kreisjugendring in Kulmbach erhofft sich zu dem Thema Unterstützung vom Bayerischen Jugendring. Auch dort steht die Diskussion um praktische Folgen dieses Urteils auf der Agenda. Bis dahin bleibt aus Zieglers Sicht nur die Hoffnung, dass sich ehrenamtliche Betreuer nicht zu sehr abschrecken lassen. Aber auch ihm ist klar: „Wir müssen uns überlegen, was überhaupt noch leistbar ist. Wenn die Anforderungen immer höher werden, kann ich von keinem Betreuer mehr erwarten, dass er sich noch einsetzt. Das ist eine schlimme Entwicklung.“ Der Kreisjugendring habe Verantwortung als Organisation zu tragen und natürlich für die Kinder, die er betreut ebenso wie für die Betreuer, die er einsetzt. „Wir unsere Arbeit künftig aussehen wird, muss man jetzt abwarten.“

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