"Musik bereichert Kinder sehr"

Von Michael Weiser

Sie ist sein vielen Jahren Lehrerin, seit einem halben Jahr aber auch Leiterin der Musikschule in Bayreuth. Und hat damit in der Kulturstadt Bayreuth eine Schlüsselfunktion: Andrea Rieger. Sie erklärt, warum Musik nicht mehr automatisch in jedem bürgerlichen Haushalt zu finden ist, aber jedem Kind gut tut. Und findet, dass You Tube gar nicht so schlecht ist.

 
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Ein bürgerlicher Haushalt war früher nicht denkbar ohne Musik. Welchen Stellenwert hat sie heute noch?

Rieger: Zum Glück für uns gibt es noch genügend Familien, in denen der Stellenwert der Musik nach wie vor hoch ist. Kinder sollten von Anfang mit Musik in Berührung kommen. Bei uns fängt das mit vier Jahren an, mit der Früherziehung, und da haben wir immer sehr viele Anmeldungen, und diese Kinder bleiben uns dann oft treu, bis sie das Abitur gemacht haben. Wir haben viele Eltern, die früher bei uns Schüler waren, und die jetzt selber ihre Kinder schicken und später manchmal sogar selber wieder mitspielen. Es ist schön, dass sich da so dauerhafte Beziehungen entwickeln.

Klavier oder gar Flügel gehörten früher, vor langer Zeit, mal zur Grundausstattung. Wie sieht das heute aus?

Rieger: Dass Klavier und Flügel zur Grundausstattung gehören, kann man heute nicht mehr sagen. Schon deswegen, weil in den Wohnungen oft kaum mehr der Platz ist. Bei vielen ist noch ein Klavier da, das manchmal genutzt wird, aber oft ist es dann auch so, dass gerade diese Kinder gar nicht Klavier lernen wollen, sondern was anderes. Grundsätzlich ist es natürlich gut, wenn eines da ist, weil schnell ein erster Kontakt zur Musik entsteht.

"Die Stimme ist das ureigenste Instrument"

Das macht dann für die Kinder noch eine Herausforderung mehr, der sie sich bei abnehmender Freizeit stellen müssen. Kann Musik zum Ballast werden?

Rieger: Erst einmal überwiegen die positiven Aspekte. Die Stimme ist das ureigenste Instrument, und man hat in der Regel gleich nach der Geburt damit Kontakt, mit den Wiegenliedern gleich am Anfang. Man sollte auch fördern, dass Eltern wieder mehr mit den Kindern singen. Dann entsteht auch der Wunsch, ein Instrument zu spielen. Man sieht, dass Musikinstrumente ein wichtiger Bestandteil des Lebens werden, Musik bereichert Kinder sehr, sie können besser lernen, es werden aber auch andere Dinge gefördert, Konzentration, Kreativität, Sicherheit beim Auftritt, aber auch Sozialkompetenz. In dieser Komplettheit und Intensität unterscheidet es sich von Ballett oder Sport.

Dennoch: Kann man Kinder mit Musik auch überlasten?

Rieger: Das muss letztlich jeder selbst entscheiden, wie stark er einsteigt. Ja, die Schule belastet die Kinder immer stärker. Gerade am Anfang des Musikunterrichtes, in der Grundschule, ist die Belastung nicht so hoch, da machen das die Kinder auch gerne. Später wird es dann schwieriger, wenn sie ins Gymnasium kommen. Wir sind letztlich eine Schule, die damit zurecht kommen muss. Es kommt vor, dass Kinder, die nicht mehr so viel üben können, aus Spaß kommen, zur Entspannung. Teilweise gibt es Kinder, die sich auf Musik konzentrieren, aber der Großteil geht sehr vielfältigen Interessen nach. Wir akzeptieren das.

Da überrascht es, welches Niveau Schüler heute schon erreichen.

Rieger: Es gibt Kinder, die sich das herauspicken, die wissen aber auch bald, dass es sehr schwierig ist, wenn man das beruflich machen will. Und dass man jede freie Minute investieren muss. Die üben dann dementsprechend. Da geht die Schere bald auseinander. Die einen tun alles dafür, andere nur das Nötigste, um für sich Musik zu machen, zum Zeitvertreib, zur Entspannung.

"Toll, dass man sich alles anhören kann"

Früher gab es noch keine CDs, keine Platten, da musste man schon Klavier spielen können, um sich wenigstens über Klavierauszüge einen Eindruck etwa von Wagners Musik verschaffen zu können. Inwiefern verändern die Medien die Einstellung zur Musik?

Rieger: Es ist doch toll, dass man sich alles anhören kann. Wir haben Kinder, die wollen dieses und jenes eben deshalb spielen, weil sie es mal eben auf You Tube gehört haben. Es hat sein Gutes, wenn man viel hören und kennenlernen kann, sich nicht alles erarbeiten muss, sondern unmittelbar einen Eindruck gewinnt, wie das klingen kann.

Mit der Zeit ändern sich die Moden. Auch bei Instrumenten?

Rieger: Da muss ich sagen, dass wir sehr wenig umgestellt haben. Letztlich sind wir eine sehr klassisch ausgerichtete Musikschule, die aber auch Rock, Pop und Jazz anbietet. Vor allem aber die Klassiker, und die Nachfrage danach ist nach wie vor gut. Klavier, Gitarre und Schlagzeug entwickeln immer mehr Zugkraft als exklusive Instrumente wie Oboe oder Fagott. Ein relativ neues Instrument ist die Harfe – auch da haben wir weniger Plätze als nachgefragt werden.

Wie bringt man Kinder zu selteneren Instrumenten der Klassik wie Bratsche oder Kontrabass?

Rieger: Man führt die Kinder allmählich heran. Man sagt dann, probier das doch mal. Bei den Bratschen ist es so, dass da die Kinder erst mal von der Geige her hinkommen. Es gibt selten Kinder, die von sich aus sagen, ich möchte Bratsche lernen. Die kennen das ja auch gar nicht. Beim Kontrabass ist das auch so. Vielleicht kennen das die Kinder schon vom Jazz her. Aber das kann man nicht schon mit sechs Jahren spielen. Wir haben auch kleine Kontrabässe, aber auch diese kleinen Instrumente sind immer noch zu groß für kleine Kinder.

Wie bildet sich die Gesellschaft in einer Schule wie der Ihren ab? Ist Musikunterricht etwas für betuchte Eltern?

Rieger: Viele Schüler kommen aus einem Elternhaus, in dem schon Musik gemacht wurde, das sind oft auch die Familien, deren Kinder auch aufs Gymnasium gehen. Aber wir haben auch viele Kinder aus sozial schwächeren Familien, die teilweise übers Jugendamt Unterstützung bekommen, was wir vertraulich behandeln. Die Schwierigkeit ist, wie man erstmal das Interesse weckt, wenn die Kinder die Musikschule gar nicht kennen. Andere Kinder kennen die Musikschule eben schon aus der Familie und von Freunden. Es wäre schön, wenn wir mehr mit den Schulen kooperieren könnten, um auch an die Schwächeren noch besser heranzukommen.

Mehr Lehrer täten gut

Woran fehlt es?

Rieger: Wir bräuchten, was die Zahl der Lehrer betrifft, noch mehr Möglichkeiten. Schön wäre es, wenn wir eine Lehrkraft für Kinderchorleitung hätten. Auf diesem Gebiet könnte man mit den Schulen hervorragend kooperieren. Singen ist das einfachste Modell, man braucht kaum Geld, und man erreicht viele Kinder.

Spielen Flüchtlinge schon eine Rolle?

Rieger: Nein, aber das wird kommen. Und da wäre Singen wieder wichtig, weil man die Kinder ohne Probleme einbinden kann. Singen kann jedes Kind, da kommt es auf die Sprache nicht an. Bei den Instrumenten ist das schwieriger. Da sind unsere Lehrer schon ausgelastet. Und: Unser Unterricht findet eben nachmittags statt, nach der Schule, da stehen nur so und so viel Stunden zur Verfügung.

Hört sich an, als wollten Sie am liebsten noch anbauen.

Rieger: Um Raum kämpfen wir immer. Dass wir das mit den Wartelisten in den Griff bekommen und gerne noch viel mehr Stunden anbieten würden, ist eine finanzielle Frage. Im Moment ist das wohl kaum zu machen.

"Bei uns kann jeder rein"

Wie lange müsste man auf einen Platz warten?

Rieger: Das kann man nie genau sagen, man weil nicht weiß, wie viele Kinder wieder weggehen, wie viele Plätze dann frei werden. Bei Klavier ist die Warteliste sehr lang. Zwei bis drei Jahre muss man auf jeden Fall warten.

Bei einem Wunderkind würden Sie eine Ausnahme machen?

Rieger: Bei uns kann prinzipiell jeder rein. Da machen wir keine Ausnahme. Bei einem Kind mit vier oder fünf Jahren kann man eh kaum ein Urteil fällen.

Ist eigentlich jeder Mensch musikalisch, wie es so oft heißt?

Rieger: Ich glaube, dass jeder Mensch musikalische Anlagen hat, es kommt darauf an, wie gut diese Anlagen gefördert werden. Gerade am Anfang ist das unglaublich wichtig. Aber wenn das Kind keinen Spaß daran hat, dann hat auch das keinen Sinn.

Gibt es Kinder, denen Musik überhaupt keinen Spaß macht?

Rieger: Ja, Üben macht nicht immer Spaß. Es macht erst dann Spaß, wenn sich Erfolg einstellt. Da die Kurve zu kriegen, ist nicht leicht, gerade wenn man schon länger ein Instrument spielt. Da braucht es Einfühlungsvermögen, Kinder bei der Stange zu halten.

"Ein Chor wäre eine Chance, Kontakte zu knüpfen"

Sie sind erst seit einigen Monaten Chefin. Wie wollen Sie die Musikschule stärker in die Öffentlichkeit bringen?

Rieger: Wir sind dieses Jahr ziemlich gut dabei, auch bei der Landesgartenschau. Da werden wir öfter auftreten. Es ist wichtig, die großen Ensembles und das Orchester zu präsentieren. Wir werden eine große Orchesterreise planen. Wir würden gerne einen Kinder- und Jugendchor aufbauen, der uns dann auch gut repräsentieren kann. Die Schüler wollen wir noch stärker zusammenführen. Viele Schüler spielen zwar im Orchester, ein Chor aber wäre eine weitere Chance, Kontakte zu knüpfen. Da kann eine Musikschule wirklich eine große Familie sein.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Jazz-November, der erstmals auch in der Musikschule über die Bühne ging?

Rieger: Die Resonanz der Veranstalter war sehr gut, die haben sich wohlgefühlt. Es ist schön, wenn solche Veranstaltungen bei uns sind, weil dann auch mal eine andere Atmosphäre herrscht. Problematisch ist es aber auch, weil es uns sehr einschränkt, weil wir eigentlich aus allen Nähten platzen. Deswegen hoffen wir, dass wir einen Lagerraum bekommen, auf der anderen Seite des Foyers.

Wie lässt dich die Zusammenarbeit mit den Bayreuther Festspielen an?

Rieger: Wir sind insofern daran, dass wir schon ein Regiegespräch mit Jan Philipp Gloger (Regisseur des „Holländer“, Anm. der Red.) hatten. Diesmal können wir wahrscheinlich eine Bühnen-Orchesterprobe mit Axel Kober (Dirigent bei den Festspielen und ehemaliger Schüler der Musikschule) besuchen – das wäre für die Kinder schon toll.

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