Bayreuther blicken auf erfolgreiches erstes Jahr bei MT Melsungen zurück Müller-Zwillinge: Vorfreude auf den Europacup

Saisonhöhepunkt: Anfang März feierten Philipp und Michael Müller (von links) zusammen mit ihren Teamkollegen um Nationalspieler Johannes Sellin (rechts) einen 30:29-Sieg gegen den späteren Deutschen Meister THW Kiel. Nicht zuletzt dieses Ergebnis lässt erwarten, dass die MT Melsungen auch bei ihrem kommenden Europacup-Debüt bestehen kann. Foto: Kolb Foto: red

Vor allem die langfristige Perspektive hatten Michael und Philipp Müller im Sinn, als sie sich vor einem Jahr für einen Dreijahresvertrag bei der MT Melsungen entschieden haben. Doch schon die erste Bundesligasaison mit den Nordhessen hat die Erwartungen der aus Bayreuth stammenden Zwillinge übertroffen.

 
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Als Leistungsträger im Rückraum und in der Abwehr haben sie mit dem Team aus Kassel nicht nur das Halbfinale im DHB-Pokal erreicht, sondern vor allem als Tabellensechster die beste Platzierung, die hinter den fünf wirtschaftlich dominierenden Bundesligisten (Kiel, Rhein-Neckar, Flensburg, Hamburg, Berlin) realistisch möglich ist. Nachdem damit die Qualifikation für den europäischen EHF-Pokal verbunden ist, war den Müller-Zwillingen vor allem die Vorfreude auf die kommenden gemeinsamen internationalen Aufgaben anzumerken, als sie sich kurz vor der Rückkehr zur Saisonvorbereitung beim obligatorischen Heimaturlaub zum Interview stellten.

Vor einem Jahr sind Sie gemeinsam von der HSG Wetzlar zu MT Melsungen gewechselt. Haben sich die damit verbundenen Erwartungen erfüllt?

Michael Müller: Die Entscheidung hat sich als absolut richtig erwiesen. Es war das Ziel, mit Melsungen nach zwei Jahren den Europapokal zu erreichen, und das haben wir nun schon im ersten Jahr geschafft. Der sechste Platz in der Bundesliga war für Melsungen ein Riesending. Zusammen mit der Qualifikation für das Final-Four-Turnier im Pokal war es für MT-Verhältnisse geradezu eine perfekte Saison.

Philipp Müller: Es hat sich alles bewahrheitet, was die Zielsetzung war. Dazu haben sich die Strukturen im Team und im Verein sehr positiv entwickelt. Auch mit unseren eigenen Rollen bei dieser Entwicklung dürfen wir sehr zufrieden sein.

Wäre nicht vielleicht im Pokal noch etwas mehr möglich gewesen, wenn man an die knappe Niederlage im Halbfinale gegen den späteren Turniersieger Berlin denkt?

M. Müller: Richtig ist, dass wir da nicht unser bestes Spiel gemacht haben. Es ist schon cool, bei diesem tollen Ereignis dabei zu sein, aber wir hatten uns schon etwas mehr erhofft. Vielleicht wollten wir ganz einfach zu viel. Das Finale wäre sicher drin gewesen, doch es braucht auch Zeit, sich auf diesem Niveau zu etablieren. Die Rhein-Neckar Löwen waren schon sechs Mal beim Final Four, ohne jemals den Pokal gewonnen zu haben.

P. Müller: Ich war vorher lediglich zwei Mal als Zuschauer beim Final Four, doch als Spieler ist das natürlich noch einmal etwas ganz anderes. Auf dem Feld konnte ich das aber ganz gut ausblenden. Ich hatte gedacht, dass einen die Atmosphäre mehr angreift. Es war eine tolle Erfahrung, aber Ziel bleibt es doch, irgendwann auch einmal einen Titel zu holen.

Die nächste neue Erfahrung verspricht die Qualifikation für den EHF-Pokal. Was rechnen Sie sich auf der europäischen Bühne aus?

P. Müller: Ich traue uns schon zu, dass wir da die eine oder andere Überraschung schaffen. Ich denke da an die Flensburger, die als krasser Außenseiter die Champions League gewonnen haben. Das Final Four in diesem Wettbewerb wäre noch mal eine Stufe höher als im DHB-Pokal. Erst einmal müssen wir abwarten, wie wir mit der zusätzlichen Belastung umgehen. Durch die 19 Mannschaften in der Bundesliga ist der Terminplan ja ohnehin noch enger als bisher.

Michael, dazu können Sie aufgrund ihrer Erfahrung bei den Rhein-Neckar Löwen schon etwas mehr sagen.

M. Müller: Eine interessante Herausforderung ist so ein Wettbewerb in jedem Fall. Für viele unserer Spieler ist der damit verbundene größere Aufwand allerdings ungewohnt. Ich denke dabei nicht nur an die zusätzlichen Spiele, sondern vor allem auch an die Reisen. Aber unsere Mannschaft ist schon gut genug, um da mitzuhalten. Wir haben überhaupt keinen Erfolgsdruck und sollten einfach mal schauen, was geht.

Darf man sich von Ihrer Mannschaft in der kommenden Saison noch etwas mehr erwarten, nachdem mit Momir Rnic von Frisch Auf Göppingen ein ausgesprochener Torjäger hinzugekommen ist? Ist es nicht genau diese Art der Wurfgewalt aus großer Distanz, die bisher noch gefehlt hat?

M. Müller: Rnic ist einer, der einfach wirft und wirft. Das hatten wir bisher tatsächlich nicht in unserem Spielsystem, und deswegen muss man erst einmal abwarten, wie das funktioniert.

Philipp, Sie sind von dieser Veränderung besonders betroffen, weil Rnic auf Ihrer Position im linken Rückraum spielt. Wird das Ihre Rolle einschränken?

P. Müller: Rnic ist die klassische Wurfmaschine, während ich eher mit dem Kreis zusammen spiele oder andere Wege zum Tor suche. Was zählt, ist aber immer der mannschaftliche Erfolg. Wenn uns dieser zusätzliche Faktor dabei hilft, dann kann mir das nur recht sein. Es wird ein Ziel in der Saisonvorbereitung sein, das entsprechend zu entwickeln. Ich bin bisher jedenfalls noch mit jedem Mitspieler gut zurechtgekommen.

Wie wird sich die Konkurrenz in der Bundesliga verändern? Muss man aus den Schwierigkeiten des HSV Hamburg bei der Lizenzerteilung schließen, dass die Wirtschaftskraft allgemein nachlässt?

P. Müller: Ich habe eher das Gefühl, die Vereine stellen sich insgesamt sogar besser auf – vor allem solider und nicht mehr nur auf den Schultern eines einzigen Sponsors wie die Hamburger. Grundsätzlich finde ich es schon gut, dass Hamburg weiter dabei ist. Aber wie das mit der Lizenz gelaufen ist, war ein Schlag ins Gesicht von solide wirtschaftenden kleinen Vereinen wie Balingen. Ich hoffe, es war ein letzter Warnschuss für den HSV, den Kader künftig nicht mehr mit so vielen hochbezahlten Spielern aufzublasen, dass sie gar nicht mehr auf die Ersatzbank passen.

M. Müller: Alle Vereine, die in den letzten Jahren Probleme hatten, haben sich inzwischen wieder gefangen. In Wetzlar haben wir es selbst erlebt, da war man vor zwei Jahren noch praktisch bankrott. Auch der neunte Platz des TBV Lemgo hat gezeigt, was unter schwierigen Voraussetzungen erreicht werden kann.

Als wichtiger Faktor für die Wirtschaftskraft der Liga gilt traditionell der Leistungsstand der Nationalmannschaft. Wie beurteilen Sie die Teilnahme an der WM 2015 in Katar, die sportlich verpasst worden war, dann aber durch eine Wildcard doch noch möglich wurde?

P. Müller: Es wäre besser, bei der Ausschreibung einer WM gleich Wildcards zum Verkaufen anzubieten – wie beim Basketball. Die kann sich dann der Verband mit dem meisten Geld ganz offen kaufen, auch wenn er sie sportlich nicht verdient hat. Das wäre wenigstens ehrlicher, als jetzt vor der Welt so dazustehen.

M. Müller: Diese Entscheidung zur Wildcard für Deutschland kann man keiner anderen Nation verständlich machen. Die Schweizer mit Andy Schmid oder die Tschechen mit Filip Jicha müssen regelmäßig damit leben, sich mühsam über Spiele gegen kleinere Nationen zu qualifizieren.

Auf sportlichem Wege hatte es in den Qualifikationsspielen gegen Polen nicht geklappt. Wie viel Schuld muss man dem inzwischen verabschiedeten Bundestrainer Martin Heuberger geben, und wen halten Sie für den passenden Nachfolger?

M. Müller: Die Spiele gegen Polen habe ich nicht gesehen, weil ich da im Urlaub war. Zur Schuldfrage kann ich also nichts sagen. Auch für den Nachfolger habe ich keine klare Meinung. Viel wird diskutiert, ob es ein Deutscher sein soll, oder eben gerade kein Deutscher. Wichtiger erscheint es mir aber, den passenden Typen für die Aufgabe zu finden. Es geht schließlich darum, einen Karren aus dem Dreck zu ziehen!

P. Müller: Unter den Namen, die genannt werden, wäre mir Martin Schwalb am liebsten – auch wenn jetzt nach seinem Herzinfarkt natürlich erst einmal seine Gesundheit am wichtigsten ist. Er hat bewiesen, dass er etwas reißen kann. Er hat die nötige Ausstrahlung und den Respekt der Mannschaft. Kritiker sagen, er könne nicht mit jungen Spielern arbeiten, aber das hatte er schon vor seiner Hamburger Zeit bei der SG Wallau widerlegt.

M. Müller: Kein Zweifel: Martin Schwalb könnte so mitreißen und motivieren, wie es jetzt nötig ist.

Wie steht es denn um Ihre eigenen Ambitionen auf einen Platz im Nationalteam?

P. Müller (lacht): Ich hoffe immer noch auf eine Berufung in die Bayernauswahl. Für die würde ich gern mal international spielen. Mit dem Thema Nationalmannschaft habe ich aber abgeschlossen.

M. Müller: Das hängt vom neuen Trainer ab. Es müsste einer sein, der nicht nur die Jugendförderung im Auge hat, sondern auch den kurzfristigen Erfolg – und dabei auch auf Typen wie uns setzt. Bei Martin Heuberger hatte ich zuletzt nicht einmal mehr ansatzweise eine Chance.

Das klingt ein wenig zurückhaltend. Hat das vielleicht damit zu tun, dass Sie in diesem Herbst mit ihrem 30. Geburtstag schon die Grenze zum sportlichen „Senior“ überschreiten?

M. Müller (lacht): 25 plus fünf bitte! Wie 30 fühle ich mich nicht. Alle Knochen machen noch gut mit und der Kopf auch. Allerdings: Unser Agent hat beim Wechsel nach Melsungen tatsächlich mal kurz anklingen lassen, dass für 29-Jährige ein Dreijahresvertrag keine schlechte Sache ist.

P. Müller: Am besten ist es wohl, sich über das Alter gar nicht erst Gedanken zu machen.

Wie weit sind Sie noch über die Entwicklungen im Bayreuther Handball auf dem Laufenden?

M. Müller: Da wir mit Jugendtrainer Marc Brückner gut befreundet sind, haben wir vor allem diesen Bereich eng verfolgt. Die Bundesliga ist eine tolle Sache und ein großer Schritt für die Entwicklung der jungen Spieler. Bei den Rhein-Neckar Löwen und in Wetzlar haben wir gesehen, wie hoch das Niveau ist. Vor allem körperlich werden einige Gegner überlegen sein. Zudem müssen die Bayreuther erst einmal alles unter einen Hut bringen – von der Belastung durch Schule und Training bis zu Busfahrten über 500 Kilometer. Aber ich habe selbst im Training gesehen, dass die Jungs sehr engagiert bei der Sache sind. Wir sind gespannt, was sie erreichen können. Ein paar Spiele sind im Bereich von einer Autostunde um Kassel, und davon werden wir uns hoffentlich das eine oder andere anschauen können.

P. Müller: Am Aufstieg der Damen in die 3. Liga waren wir nicht so eng dran. Aber auch das ist eine ganz starke Leistung.




Das Gespräch führte Eberhard Spaeth

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