Bayreuther Brüder wollen gemeinsam in den Europa-Cup Müller-Zwillinge im Höhenflug

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Den Kontakt nach Bayreuth haben die Müller-Zwillinge nie abreißen lassen: Erst im Dezember besuchten Michael (links) und Philipp gemeinsam ein Bayernliga-Spiel von HaSpo Bayreuth. Foto: Kolb Foto: red

Erstmals seit vier Jahren haben Michael und Philipp Müller wieder im selben Bundesliga-Team gespielt – mit durchschlagendem Erfolg: Als Leistungsträger führten die Bayreuther Zwillinge die HSG Wetzlar zur erfolgreichsten Saison aller Zeiten. Nach einem gemeinsamen Vereinswechsel soll es nun weiter aufwärts gehen.

 
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Auch sieben Jahre nach dem Wechsel von HaSpo Bayreuth in die Bundesliga (zunächst zum TV Großwallstadt) gehört für Michael und Philipp Müller der Heimatbesuch zum unverzichtbaren Urlaubsprogramm zwischen den Spielzeiten. Wie immer nahmen sich die 28 Jahre alten Zwillinge dabei auch wieder die Zeit für ein ausführliches Interview mit dem Kurier. Wegen unterschiedlicher Termine war das Gespräch diesmal zwar nicht gemeinsam möglich, sondern nacheinander im Abstand von einer Woche, aber die Gemeinsamkeiten waren trotzdem unverkennbar: Nachdem die erste Saison nach der Wiedervereinigung im Trikot der HSG Wetzlar überaus erfolgreich verlaufen ist, peilen die Müller-Brüder mit dem gemeinsamen Wechsel zum hessischen Nachbarrivalen MT Melsungen noch höhere Ziele an: Ihr nächster Traum ist ein gemeinsamer Auftritt im Europapokal.

In Wetzlar wurde die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte von Anhängern und Medien ausgiebig gefeiert. Wir wurde der siebte Platz intern bewertet?
Philipp Müller: „Das ursprünglich formulierte Ziel, möglichst früh den Klassenerhalt zu sichern, war vielleicht etwas zu niedrig angesetzt. Dass es dann so gut laufen würde, hatte aber doch wohl keiner gedacht. Abgesehen von einem Tief im Januar/Februar, haben wir Konstanz in unser Spiel gebracht und insgesamt schon Großes geleistet. Damit sind alle glücklich. Die Liga ist aber insgesamt im Wandel, wenn man sieht, dass Gummersbach und Großwallstadt gegen den Abstieg spielen, während Hannover und Wetzlar im Kampf um die Europacup-Plätze mitmischen."
Michael Müller: „In der Form war es schon auch für uns überraschend. Entscheidende Bedeutung hatte meiner Meinung nach das erste Spiel, das wir gegen Hamburg mit sieben Toren gewonnen haben. Das hat extrem Selbstvertrauen gegeben. Wir hatten uns schon erhofft, dass wir als relativ kleine Mannschaft hin und wieder für eine Überraschung sorgen können, und das ist uns mit Siegen in Göppingen, Berlin oder Magdeburg auch gelungen. Nach jedem dieser Spiele haben wir uns in der Kabine gesagt: Was für ein Spaß! Wir wussten aber auch, dass es in der Rückrunde schwerer werden würde, weil uns dann niemand mehr unterschätzt."

Was waren die Ursachen für den Höhenflug? Deutet die Wahl von HSG-Trainer Kai Wandschneider zum Trainer des Jahres in die richtige Richtung?
P. Müller: „Kai hat wesentlichen Anteil mit seiner Philosophie und seinem Stil, nicht übereinander zu reden, sondern miteinander. Er kommuniziert viel mit allen Spielern. Auch die Einkaufspolitik war gut. Da hatte man ein gutes Auge dafür, wer sich nahtlos einfügen kann. Es ist nun mal wichtig, dass die Chemie stimmt. Wir hatten immer eine gute Stimmung im Team, ob beim Trainingslager, oder bei Auswärtsfahrten. Und wenn es doch einmal Ärger gegeben hat, dann wurde das unter Männern ausgeräumt. Die Mannschaft war für Wetzlarer Verhältnisse schon auch relativ teuer, aber das Geld war gut investiert. Beispielsweise konnte man schon erwarten, dass Tobias Reichmann gut sein würde – aber dass er sich so in den Fokus gespielt hat, um nun gleich ein Angebot von Kielce aus Polen zu bekommen, ist schon bemerkenswert. Und Jens Tiedtke hatte nie als guter Abwehrspieler gegolten, aber hier war er das von Anfang an. Das hat mit dem Vertrauen des Trainers zu tun."
M. Müller: „Sicher hat der Trainer großen Anteil. Er hat uns immer sehr gut eingestellt. Obwohl wir relativ wenig Videos angeschaut haben – zum Glück –, hat er immer gut rübergebracht, was unser Gegner macht. Zudem hat er in seiner Trainingsphilosophie ein gutes Gespür für die nötige Regeneration. Das hat dafür gesorgt, dass wir während der ganzen Saison 60 Minuten lang Gegenstoß laufen konnten. Damit hatte ich so gar nicht gerechnet, weil wir in der Vorbereitung gar nicht so viel laufen mussten."

Wie bewerten Sie Ihre eigene Saison? War es auch für Sie persönlich die beste?
P. Müller: „Von der Torausbeute her war es nicht die beste. Aber mein Ziel war es, mich weiter zu entwickeln und mehr Konstanz in mein Spiel zu bringen. Im Angriff habe ich zwar weniger Einsatzzeit bekommen, auch natürlich weil Steffen Fäth einen großen Sprung gemacht hat, aber in der Abwehr war ich zumindest in der zweiten Saisonhälfte zufrieden. Vor allem bin ich ruhiger geworden, nicht mehr so aufbrausend, was mein Spiel schon manchmal gestört hat."
M. Müller: „Der Schritt nach Wetzlar war für mich absolut richtig. Ich hatte viel Spaß, und ich habe auch meinen Teil zum Erfolg beigetragen, obwohl meine Leistung phasenweise auch nicht berauschend gewesen ist. Manchmal hätte mehr von mir kommen können, und das wurde mir auch angekreidet. Aber insgesamt kann ich wohl doch zufrieden sein."

Welchen Anteil hatte Ihr Bruder am Erfolg?
P. Müller: „Es ist natürlich was anderes, mit dem Bruder in einer Mannschaft zu stehen. Es ist ein schönes Gefühl, dass da jemand ist, mit dem es passt. Aber es war auch anstrengend. Ich weiß ja, dass er es gut meint, aber mein Bruder war schon auch mein größter Kritiker. Grundsätzlich ist aber jede Rückmeldung von einem Mitspieler wichtig, und das hat mich zweifellos auch weiter gebracht."
M. Müller: „Ich würde sagen, wir stacheln uns gegenseitig an. Dabei weiß ich schon, dass ich ihn manchmal nerve – es wundert mich nicht, dass er das erwähnt hat. Manchmal steht sich Philipp selbst ein wenig im Weg, und vielleicht habe ich das ein oder zwei Mal zu oft gesagt. Aber umgekehrt höre ich auch bei ihm genauer zu, als bei anderen."

Getrübt wird die Stimmung in Wetzlar dadurch, dass wesentliche Teile der erfolgreichen Mannschaft nach einem Jahr schon wieder auseinander fallen. Der Abschied der Müller-Brüder erschien als ein Auslöser dieser Entwicklung. War deswegen Ärger der Fans zu spüren?
P. Müller: „Ärger gab es hauptsächlich, als die Meldung vor dem Gummers-bach-Heimspiel an die Öffentlichkeit kam. Der Ärger richtete sich aber auch nicht so sehr darauf, dass wir Wetzlar verlassen, sondern dass wir ausgerechnet nach Melsungen gehen. So bleibt aber doch wenigstens die aggressive Derbystimmung erhalten. Dass es nach nur einem Jahr schon wieder auseinander geht, ist natürlich schon blöd – Michi war ja auch noch der Mannschaftskapitän. Aber die Fans müssen einsehen, dass der Profisport nun mal so ist. Es gibt doch kaum noch Spieler, die zehn Jahre beim selben Verein spielen. Es ist auch ein Pluspunkt dieses Berufs, dass man immer wieder etwas Neues erlebt. Der Abschied nach dem letzten Spiel in Wetzlar war dann auch richtig schön, und mit dem Punkterekord kann man auch ruhigen Gewissens gehen. Ich freue mich auf die neue Aufgabe und sehe auch die HSG weiter auf gutem Weg."
M. Müller: „Das hat damit zu tun, dass Melsungen mit seiner Finanzkraft schon mehrfach Spieler von Wetzlar weggekauft hat. Es wollte auch niemand, dass es so früh bekannt wird. Eine halbe Stunde nach unserem Gespräch beim Vorstand hat schon die Zeitung angerufen – keine Ahnung, wo die das schon wieder her hatten. Nach dem Gummersbach-Spiel wurde es offiziell, und da hatten wir beide ganz gut gespielt. Als wir dann auch gleich noch in Göppingen gewonnen hatten, waren die Fans schon wieder beruhigt. Ein weiteres Heimspiel wäre zu diesem Zeitpunkt wohl nicht so gut gewesen. Ein oder zwei Leute haben dann in den sozialen Netzwerken im Internet noch ziemlich genervt. Das fand ich schon ärgerlich, denn immerhin hatte man in Wetzlar in 15 Jahren noch nie so eine Saison."

Welche Ziele verbinden Sie mit dem Wechsel nach Melsungen?
P. Müller: „Die HSG Wetzlar will guten Handball bieten und möglichst sicher die Bundesliga halten. In Melsungen strebt man dagegen in den kommenden drei Jahren den Europapokal an. Ich werde jetzt 29 Jahre alt und bekomme wahrscheinlich nicht mehr viele solcher Chancen. Die Aussicht, einmal im Europacup zu spielen, ist in Melsungen sicher größer, als in Wetzlar."
M. Müller: „Es geht natürlich schon auch ums Geld, denn das Angebot aus Melsungen war nun mal sehr gut. Aber vor allem wird dort eine Mannschaft gebaut, die ernsthaft den Europacup anpeilen kann. Wir werden ein wirklich gutes Team haben – vor allem in der Abwehr –, mit dem man sich wieder mal ein anderes Ziel setzen kann als den Klassenerhalt. Dieses Gesamtpaket hat einfach gepasst."

Aber ist das denn realistisch? Wetzlar ist Tabellensiebter, aber der Abstand zum ersten Europacup-Teilnehmer auf Platz sechs (Hannover) war schon recht deutlich. Und davor kommen die fünf Großen: Kiel, Flensburg, Hamburg, Mannheim, Berlin. Kann man ernsthaft hoffen, eines dieser Teams abzulösen?
P. Müller: „Ich denke, dass die kommende Bundesligasaison die spannendste der letzten zehn Jahre wird. Flensburg ist mein persönlicher Titelfavorit. Kiel steht vor einem Umbau und wird wahrscheinlich erst einmal nicht mehr so dominant sein. Berlin hat sechs Abgänge zu verkraften, und es muss sich zeigen, wie lange der Hype in der Hauptstadt noch ohne Titel aufrechterhalten werden kann. Da gibt es schon Druck in der Hauptstadt. Auch Hamburg steht vor einem totalen Umbruch. Und dahinter kommt dann ja schon das breite Mittelfeld, in dem Melsungen sicher gut mitspielen kann."
M. Müller: „Auch ich erwarte eine sehr interessante Saison. Die Kieler hatten schon jetzt nicht mehr die Sonderstellung früherer Jahre. Wir hätten unser Heimspiel gegen sie durchaus gewinnen können. Bei den Rhein-Neckar Löwen ändert sich zwar nicht so viel, aber sie müssen erst einmal ein halbes Jahr ohne die verletzten Petersson und Sesum auskommen. In Berlin muss man abwarten, was die vielen jungen Spieler leisten können. Und in Hannover weiß man wohl selbst, dass es schwer wird, so eine tolle Saison noch einmal zu wiederholen."

Aber auch in Melsungen selbst verändert sich viel von einer international besetzten Mannschaft zu einer deutsch-schwedischen Kombination. Kann das sofort funktionieren?
P. Müller: „Am Spielsystem von Trainer Michael Roth wird sich grundsätzlich nichts ändern. Das ist bekannt, und das liegt uns auch ganz gut. Vor allem wird eine junge Mannschaft zusammen kommen, die richtig hungrig ist. Michi und ich gehören da schon zu den Älteren. Genau das ist es meiner Meinung nach, was Melsungen bisher gefehlt hat. Da kann jetzt richtig was vorwärts gehen."
M. Müller: „Ich hatte noch nie Probleme, mich in eine Mannschaft zu integrieren. Wir beide kennen viele unserer künftigen Teamkollegen und natürlich vor allem den Trainer. Da habe ich keine Zweifel, dass sich diese Mannschaft schnell zusammen findet. Obwohl zum Erfolg natürlich auch Glück gehört – vor allem mit Verletzungen –, sollte man sich doch ehrgeizige Ziele setzen. Platz neun als Ziel wäre mir jedenfalls zu wenig."

Wie beurteilen Sie generell die Lage im deutschen Handball, nachdem die Nationalmannschaft nach den Olympischen Spielen auch noch die Europameisterschaft verpasst hat?
P. Müller: „Man muss wohl sagen: Der Handball befindet sich auf einem absteigenden Ast. Die Nationalmannschaft bringt nun mal die Zuschauer in die Halle, und da bedeutet das Scheitern in der EM-Qualifikation einen Riesenschaden. Der Gewinn der Weltmeisterschaft 2007 ist nicht konsequent ausgeschlachtet worden und wichtige Entwicklungen wurden im Handball verschlafen. Man muss sich zum Vergleich nur die Fortschritte im Basketball anschauen, was die Medienpräsenz und die großen Hallen angeht. Ohne den Erfolg der Nationalmannschaft daran anzuknüpfen, wird umso schwerer."
M. Müller: „Das ist schon bitter! Jetzt wird viel darauf rumgehackt, dass die deutschen Spieler in ihren Vereinen zu wenig Verantwortung bekommen, aber ich halte das für totalen Quatsch. Glandorf, Weinhold, Haas, Christophersen, Kneer – sie alle tragen viel Verantwortung in ihren Bundesliga-Vereinen. Einzige Ausnahme unter den Stammspielern ist Wiencek in Kiel. Vielleicht sind wir derzeit aber einfach nicht besser. Es gibt im Team wohl keine Charaktere wie Kretschmer, Schwarzer oder Baur – aber die waren das auch nicht von Natur aus. Die Mannschaft ist in einem Umbruch, das braucht seine Zeit, und dazu gehört es auch, dass man mal verliert. Grundsätzlich habe ich aber schon immer gesagt, dass vor allem der Basketball droht, dem Handball den Rang abzulaufen – mit den großen Hallen und der Stimmung bei den Spielen. Dazu kommt noch Dirk Nowitzki als medienwirksame Gallionsfigur. Sollte die HBL noch Sport1 als bisher treuen Medienpartner verlieren, wird es schwer."

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