Kritik, bis es kracht:  Einer der Großen des 20. Jahrhunderts ist im Kunstmuseum zu bewundern Gründe für die George-Grosz-Ausstellung

Von Michael Weiser

Den Mächtigen war er ein Dorn im Auge: Georg Ehrenfried Groß gab sich aus Hass auf den Krieg und das kriegerische Deutschland einen neuen Namen. Und wurde als George Grosz zu einem der Großen in  der Malerei des 20. Jahrhunderts. In Bayreuth sind Zeichnungen und Drucke von ihm zu bewundern. Wir erklären, warum die Ausstellung einen Besuch wert ist.

 
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Mit der rechten Hand kratzt sich der Mann am Bauch, mit der Linken hält er auf Höhe des ausgebeulten Schritts eine Zigarre. Es wirkt, als trage er sein Gemächt zur Schau. Über all dem thront im Profil ein dümmliches, reptilienhaftes Gesicht. Man kann sich vorstellen, dass der Fabrikant – um einen solchen handelt es sich zweifelsohne – kürzlich erst aus dem Sumpf gekrochen ist und nun noch immer verwundert vor einer Welt unerwarteter Möglichkeiten steht: Seht, welch ein Spielfeld für unsere Gier und Niedertracht!

Das messerscharf gestrichelte und bei aller scheinbaren Dahingeworfenheit präzise Bild ist das bekannteste Blatt aus George Grosz Lithographie-Zyklus „Die Räuber“. Und es macht sogleich klar, was Grosz unter „Räubern“ verstand. Nicht Schillers anarchische Halbstarken-Clique. Sondern die Philister und Machthaber, die erst wenige Jahre zuvor die Welt in ein viel schlimmeres Chaos gestürzt hatten, als es einer herkömmlichen Räuberschar je in den Sinn hätte kommen können.

Fackel und Waffe

George Grosz 1893 bis 1959) ist ein bedeutender Mann, neben Max Beckmann und Otto Dix vielleicht der wichtigste deutsche Künstler des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Weil er sein Handwerk auf höchstem Niveau beherrschte. Und es voller Verve als Waffe gebrauchte. Gegen die Bösartigkeit der Herrschenden, die bedenkenlos Menschenmassen ins Schlachthaus des Ersten Weltkriegs geführt hatten. Aber auch als Fackel, die Licht auf die selbstverschuldete Unmündigkeit der Beherrschten wirft: auf Verführ- und Verfügbarkeit des Einzelnen, der sich seiner Freiheit so gleichgültig begibt, um endlich euphorisch in der Masse aufzugehen. Dennoch: Die Sympathien des Kurzzeit-Kommunisten gehören eindeutig den Proletariern, den Getretenen, den Ausgenützten.

Der alsbald vom Kampfeinsatz ausgemusterte Grosz hat den Großen Krieg nicht so intensiv erlebt wie der tatsächlich fronterfahrene Dix – seinen Glauben an die Menschheit verlor er doch. Vor allem aber jeden Glauben an irgendeine wie auch immer geartete Mission der Deutschen. „Wunderbares Preußenland, herrliches großes geeinigtes Deutschland mit deinem prächtigen Militär! Du allein bist berufen, den Samen der Kultur in alle die Barbarennationen zu träufeln, gegen die wir kämpfen müssen“: Aus Hass auf deutsche Großmannssucht, zu deren Propagandisten ein Houston Stewart Chamberlain in Bayreuth gehörte, hatte Georg Ehrenfried Groß überhaupt erst seinen Namen in George Grosz amerikanisiert.

Acht gute Gründe

In Bayreuth ist George Grosz nun in einer großen Ausstellung zu erleben. Und wem diese Vorrede nicht genügt, dem nennen wir acht Gründe, warum diese von Ralf Jentsch so sorgfältig kuratierte Ausstellung den Besuch lohnt.

1. George Grosz ist souverän.
Wie er messerscharfen Schnitt mit der Fähigkeit zum „zärtlichen Strich“ vereint, wie Museumsleiterin Marina von Assel sagt: Das ist großartig.

2. An George Grosz lässt sich erkennen, mit welcher Härte Konflikte der Weimarer Republik ausgetragen wurden.
In welchem Klima von Duckmäusertum, Elend, Vergnügungssucht und Wut über den verlorenen ersten Krieg der Nationalsozialismus gedieh: Hier entfalten einige Blätter mehr Bildwucht als die Lektüre vieler Bücher.

3. Grosz' Antwort auf die Frage: Was darf Kunst?
Die Frage ist heute noch aktuell, sie war es noch mehr in einer aufgeregten Zeit, da um Werke George Grosz’ einige der erbittertsten Prozesse in der Geschichte der Weimarer Republik geführt wurden. Ist ein Gasmaskenträger am Kreuz Blasphemie? Nein, so lange die Anweisung, das „Maul“ zu halten und weiter zu „dienen“, als rüder Befehl an den und nicht vom Menschensohn interpretiert wird. Jesus wäre unter der Gasmaske ja auch gar nicht zu verstehen gewesen. Man sieht Jesus vielmehr erneut ins Millionenheer der Opfer eingereiht. Gemeingemacht mit den Menschenschlächtern hat er sich nicht, Granaten speien in Grosz’ Blättern nur die Priester.

4. Sie werden vieles wiederfinden.
Grosz ist der Künstler, der das kollektive Gedächtnis um einige der schlagendesten Bilder einer wirren, explosiven, aufregenden und doch faulenden Epoche bereichert hat. Man darf sich angesichts der Gegenwart dieser Bilder fragen, ob und was wir Heutigen aus der Geschichte gelernt haben.

5. Grosz ist modern.
Was er als Partner von Dramatikern und Regisseuren für die Bühne malte und entwarf, war stilbildend.

6. Grosz ist fast schon postmodern.
In seinen chaotischen, apokalyptischen, schmutzigen und manchmal, selten, auch berührend zärtlichen Menschen- und Massenbildern schildert er eine Welt, die an keine Überlieferung mehr glaubt, deren alte Bindungen zerfallen sind.

7. Grosz ist witzig.
Seine bösen Bildern von Kapitalisten, Klerikern und Kriegsherren sind erschreckend und reizen doch zum Lachen. 

8. Grosz stellt vieles in Frage.
Am Höhepunkt des Bayreuther Jahreslaufes, da sich die Welt der Hochkultur auf dem Grünen Hügel wie immer ihrer Bedeutung vergewissert: Da erweist sich Grosz im Kunstmuseum erneut als großer Subversiver. Als Stachel im Lackschuh, so schmerzhaft wie zu Lebzeiten. Wenn man nur hinschauen mag.

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