Plädoyers im Prozess um Messerangriff eines Bauarbeiters drehen sich um die Frage des Tötungsvorsatzes Messerangreifer soll sechs Jahre in Haft

Von Manfred Scherer
Archivfoto: dpa Foto: red

Sind vier lange Schnitte im Gesicht eines rumänischen Leiharbeiters in Tötungsabsicht erfolgt oder ging es nur um eine Rache in Form von Körperverletzung? Um diese Frage lieferten sich Staatsanwalt Holger Gebhardt und Verteidiger Alexander Schmidtgall ein Juristen-Duell.

 
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Staatsanwalt Holger Gebhardt meint, die Bluttat sei ein versuchter Totschlag und beantragt sechs Jahre Haft für den Angeklagten. Dessen Verteidiger, Alexander Schmidtgall, meint, sein Mandant habe das Messer kontrolliert geführt und kommt zum Ergebnis: „nur“ gefährliche Körperverletzung.

Erst gefeiert, dann gestritten

Angeklagt ist, wie berichtet, ein 27-jähriger Mann aus Rumänien. Er hatte am ersten Prozesstag in der vergangenen Woche gestanden, seinem 36-jährigen Kollegen im Verlauf eines Streits ein Klappmesser mehrfach durchs Gesicht gezogen zu haben. Die Tat vom 1. November vergangenen Jahres ereignete sich in einer Pension in einem kleinen Ort bei Stadtsteinach, in der ein Teil einer mehrköpfigen Gruppe rumänischer Bauarbeiter untergebracht war. Die Männer arbeiteten für eine deutsche Firma auf der Baustelle des Kulmbacher Klinikums. An jenem Allerheiligen-Feiertag allerdings hatten die Männer frei. Und sie feierten den Feiertag mit Alkohol. Während der Angeklagte mit etwa 0,9 Promille eine „normale“ Alkoholisierung hatte, war das Opfer mit rund drei Promille schwer betrunken.

Am Tattag waren die Rumänen mit dem Auto unterwegs gewesen, der Fahrer verfuhr sich, es kam zum Streit. Laut einer Zeugenaussage soll das spätere Opfer – der 36-Jährige war eine Art Vorarbeiter der Gruppe – diesem Fahrer und dem Angeklagten Prügel angedroht haben.

Zwei lange, sichtbare Narben im Gesicht

Darüber kam es in der Pension zu einem Streit, der in Handgreiflichkeiten ausartete. Nach mehreren Zeugenaussagen schlug der betrunkene Kapo dem Angeklagten die Faust ins Gesicht. Dieser stellte ihr, die Männer schubsten sich. Ein Kollege versuchte vergeblich, die Streithähne zu trennen. Der Angeklagte zückte das Messer und brachte dem Kapo vier Verletzungen im Gesicht bei. An zwei der langen Schnitte erinnern sichtbare, rote Narben: Die eine geht vom rechten Ohrläppchen bis zum rechten Mundwinkel, die andere über den linken Wangenknochen.

Hatte der Täter das Messer unter Kontrolle?

In seinem Plädoyer erläuterte Staatsanwalt Gebhardt, warum er darin einen versuchten Totschlag sieht: Der Angeklagte habe bei den vier schnell aufeinander folgenden Messerhieben gegen den Kopf nicht absehen können, ob er etwa die Halsschlagader, die Schläfenarterie oder die Gesichtsader treffen würde und somit den als möglich erkannten Tod billigend in Kauf genommen. Gebhardt meinte, das Messer habe die entsprechenden Adern „äußerst knapp“ verfehlt: „Der Angeklagte war zu einer schonenden Dosierung nicht in der Lage.“ Dass die Verletzungen im Gesicht derart große und sichtbare Narben hinterlassen hatten, wertete der Staatsanwalt als die am schwersten wiegende Form der Körperverletzung – nämlich die sogenannte schwere Körperverletzung. Durch sie wird ein Opfer entstellt oder ein Opfer verliert ein Körperteil oder ist als Folge der Tat behindert.

Schneiden spricht gegen Tötungsvorsatz

Rechtsanwalt Schmidtgall bot eine andere Argumentation: Sein Mandant sei durch den Faustschlag des Opfers massiv provoziert worden und habe darauf das Messer in Körperverletzungsabsicht benutzt: „Ich sage bewusst: Er hat ihm Schnitte versetzt und keine Stiche.“ Es sei zu erwarteten, dass ein Täter, der einen anderen auch nur mit bedingtem Vorsatz töten möchte, das Messer als Stichwaffe benutzt. Schon alleine dadurch, dass der Angeklagte die Variante des Schneidens gewählt habe, spreche doch für eine gewisse Kontrolle. Und diese gedankliche Kontrolle spreche gegen den bedingten Vorsatz. Schmidtgall beantragte zwei Jahre und neun Monate Haft für gefährliche Körperverletzung.

Der Angeklagte ist übrigens einschlägig vorbestraft: Als junger Mann hatte er in Rumänien einen Streit ebenfalls mit dem Messer beendet. Damals stach er zu und traf sein Opfer in den Oberkörper. Das Opfer überlebte. Damals wurde der Mann wegen versuchten Totschlags verurteilt und saß dafür fünf Jahre hinter Gittern.

Das Urteil wird am Mittwoch verkündet.

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