Meistens knallte es nachts

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Ein Unfallschwerpunkt in der Ortsdurchfahrt von Altenplos ist das Haus von Renate Küfner. Ihre Tochter Simone Kirschner, Bürgermeisterin von Heinersreuth, rechts, ist hier aufgewachsen Foto: Andreas Harbach Foto: red

Drei lustig bunte Rodelschlitten lehnen heute an der Kastanie, an der einst ein junger Mann starb. Renate Küfners Garten in der Ortsdurchfahrt von Altenplos zieht Unfälle scheinbar magisch an. Über 40 waren es in den letzten Jahren. Vom Schlachtfleischtransporter bis zum Ami-Schlitten stand schon alles bei ihr auf dem Rasen. Meistens nachts.

 
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Auf den ersten Blick ist Renate Küfners Garten ein Garten wie jeder andere auch. Wer genauer hinschaut, entdeckt, dass sich diejenigen, die den Garten nutzen, in den hinteren Bereich zurückgezogen haben. Sitzbänke, Reste weihnachtlicher Dekoration, die im Schnee glitzert. Davor ein Bollwerk aus Gartenhaus, Holzlege und Mauer. Denn der Garten von Renate Küfner bekommt oft, sehr oft Besuch. Ungebetenen Besuch. Ein Ami-Schlitten stand schon mitten auf dem Rasen, nachdem er aus dem Jägerzaun in voller Länge ein Splitterfeld gemacht hatte, und ein junger Mann starb, als sein Wagen gegen die Kastanie gerast war.

Rückkehr aus Lahm

Ein Garten, der viel zu erzählen hat. Seine Bewohner tun es, auch wenn die Erinnerung an manches heute noch schmerzt, wie Renate Küfner sagt. 1977 ist sie zusammen mit ihrem Mann aus Lahm zurückgekehrt in ihren Heimatort, hat für die Familie ein neues Haus hinter dem Elternhaus gebaut. Eine Scheune wurde dafür abgerissen. Die Bewohner nutzen den kleinen Garten gemeinsam.

Mulmiges Gefühl

Drei Kinder hat Renate Küfner groß gezogen und heute sind es bereits die Enkelkinder, die hier spielen. Im hinteren Bereich. Daran hat sich nichts geändert. Die Angst, dass wieder einmal ein Auto oder Lastwagen von der Straße abkommen könnte, sitzt allen im Nacken. Denjenigen, die auch heute noch hier zu Hause sind und denjenigen, die hier groß geworden sind. Wie Simone Kirschner. Sie ist das jüngste der drei Kinder von Renate Küfner und heute Bürgermeisterin in Heinersreuth. Als Schülerin hat sie manchmal im Gasthaus schräg gegenüber bedient, und da konnte es schon mal vorkommen, dass es spät wurde. „Nachts ging ich immer mit einem mulmigen Gefühl heim“, erinnert sie sich an den kurzen Weg. Denn nachts, da passierten die meisten Unfälle. Über 40 mögen es insgesamt gewesen sein, erinnert sich Renate Küfner. Kleinere, da ging nur ein Zaunfeld kaputt und die Unfallverursacher gingen stiften, und größere. Manchmal so kurz hintereinander, dass die Nachbarn schon spotteten, ob sie denn schon neuen Zaun auf Lager hätten.

Zwei Tote

Der schlimmste Unfall war vor etwa 30 Jahren, sagt sie. Ein Auto in dem vier junge Leute saßen, war annähernd ungebremst gegen die Kastanie im Hof gerast. Noch heute zeugen deutliche Verletzungen in der Rinde von diesem schweren Unglück. Renate Küfner erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Wieder einmal zog sie sich eine Jacke über das Nachthemd, schlüpfte in Schuhe und rannte hinunter in den Hof, gefolgt von ihrem damals 17-jährigen Sohn, der sich beim Roten Kreuz engagierte. Er war es auch, der beim Fahrer, einem jungen Amerikaner, erste Hilfe leistete. Die Verletzungen waren aber zu schwer. „Der junge Mann ist in den Armen meines Sohnes gestorben,“ erinnert sie sich. Und auch eine Beifahrerin starb später. „Das hat lange gedauert, bis man sich wieder gefangen hatte.“ Die vier waren auf dem Weg in die Disco nach Bamberg gewesen.

Schweinehälften zum Geburtstag

Nachdenklich schaut Renate Küfner die Kastanie an. Wenn sie nicht gewesen wäre, dann wäre der Wagen gegen die Hauswand geknallt. So wie es im Herbst 1997 um Mitternacht passierte. Renate Küfner war noch wach. Am nächsten Tag, am 20. Oktober, wollte sie ihren 50. Geburtstag feiern. Und um 0.30 Uhr hatte sie gerade die letzten Torten dekoriert, als plötzlich ein dumpfer Schlag das ganze Haus erschütterte. Weil es draußen stockfinster war – damals wurde die Ortsbeleuchtung noch nachts abgeschaltet – sah sie das Unglück wie durch Nebel. Ein Laster, der Rinder- und Schweinehälften geladen hatte, war durch Zaun und Garten hindurch direkt auf das Hauseck gerast. Als die Familie nach unten eilte, sahen sie zunächst nur Blut überall. Das Entsetzen war groß, denn keiner wusste, was der Laster geladen hatte. Weil die Telefonleitung unterbrochen war, konnten zunächst auch weder Krankenwagen noch Polizei gerufen werden. Und auch tags darauf erreichte keiner der Gratulanten Renate Küfner. „Das war vielleicht ein Geburtstag“, erinnert sie sich. Später erfuhren sie, weshalb sich der Unfall ereignet hatte. Weil die Ladung schlecht gesichert war hatte sie sich im Kurvenbereich verschoben.

Mauer und "Fressgitter"

Wenige Wochen später ließ Ehemann Klaus eine Mauer bauen, um das Haus zu schützen. Das war im November 1997. Dazu kamen im Kurvenbereich der Straße Schutzplanken. „Wir haben sie immer nur Fressgitter genannt,“ meint Simone Kirschner lachend. Auch heute noch werden die immer wieder umgefahren. Aber in den meisten Fällen verhindern sie, dass die Fahrzeuge bis in den Garten durchbrechen. „Für uns Kinder war das natürlich in erster Linie nur aufregend. Manchmal hat uns die Mutter auch nachts nicht mit hinunter gehen lassen, wenn ein Unfall passiert war,“ erinnert sich Simone Kirschner. „Oder sie hat uns danach in die Badewanne gesteckt, damit wir uns ein bisschen beruhigen konnten.“ Das alles konnte nicht verhindern, dass Simone Kirschner so manches mal von Albträumen geplagt wurde, „dass man nicht schnell genug wegrennen konnte, und ein Auto kam angerast.“

"Dann betonieren wir halt"

Auch wegen der Pflanzen hat sich Renate Küfner oft genug geärgert. „Mal hatten wir eine Reihe kleiner Fichten gesetzt, die einfach abgeknickt wurden, dann war es der alte Fliederbaum, der kaputt ging. Immer wenn etwas richtig schön eingewachsen war, zack kam der nächste Unfall.“ Ihr Mann meinte irgendwann einmal voller Wut: Dann betonieren wir einfach alles zu. Gemacht haben sie es dann doch nicht. Der kleine Garten ist der ungebetenen Besucher zum Trotz eine kleine, hübsch geschmückte Oase geblieben. Mit einem ausrangierten Leiterwagen darin, der heute Blumenkübel trägt, und dem alten Holzschlitten von Simone Kirschner, der dekorativ neben der Sitzecke im vorderen Bereich steht. Seit Jahrzehnten nicht genutzt kam sie letztes Jahr wieder zu Ehren. „Da haben wir, als die Ortsdurchfahrt gesperrt war, gerne gesessen und die Ruhe genossen,“ erinnert sie sich. „Eine Bank haben wir sogar mal ganz nach vorne getragen an den Straßenrand.“ Eine ganz neue Gartenerfahrung, dem Baulärm zum Trotz.

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