Kurier-Interview mit SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher Mehr Freiheit für Oberfranken

Von R. Kocholl und P. Rauscher
SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher beim Interview in der Kurier-Redaktion. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Die bodenständige Anpackermentalität der Oberfranken könnte ein Vorbild für ganz Bayern sein. Das jedenfalls sagt Markus Rinderspacher, SPD-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag, im Kurier-Interview. Desweiteren kritisierte der 46-Jährige den bayerischen Zentralismus, attestiert Horst Seehofer „Selbstdemontage“ und verrät, was der Freistaat von Baden-Württemberg lernen kann.

 
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Herr Rinderspacher, der bayerische Ministerpräsident kann sagen was er will, er kann machen, was er will, und ist dadurch stets in aller Munde. Sind Sie manchmal ein bisschen neidisch auf Horst Seehofer?

Markus Rinderspacher: Im Moment ganz gewiss nicht. Die Medienöffentlichkeit bewertet Seehofers Arbeit derzeit ausgesprochen kritisch. Es war ein Unding, dass er dem russischen Machthaber Wladimir Putin politische Noblesse attestierte, um zwei Tage später von einer „Herrschaft des Unrechts“ mit Blick auf die Bundesrepublik zu sprechen. Ganz Deutschland schüttelt darüber den Kopf. Seehofer demontiert sich selbst, gerade in der Außenpolitik. Eigentlich hatte er mit der Normalisierung der nachbarschaftlichen Beziehungen zur Republik Tschechien Gutes geleistet. Aber mit der Rückkehr zu einer rechtsnationalen, autoritär-konservativen Nationalstaatspolitik tut er uns allen keinen Gefallen.

 

Und Putin lacht sich ins Fäustchen ...

Rinderspacher: Wenn Seehofer Putin in einer Zeit völlig unkritisch hofiert, in der täglich elftausend russische Bomben auf Aleppo fallen, und sich betont dankbar dafür zeigt, dass Moskau sich angeblich aus der europäischen Flüchtlingsfrage raushält, muss man sich schon ernsthaft fragen, wie Seehofer auf solche Aussagen kommt.

Sie haben im vergangenen Jahr gesagt: „Die CSU wird 2018 ihre absolute Mehrheit verlieren.“ Das ist auch gut vorstellbar, was aber nicht automatisch heißt, dass die SPD davon profitieren wird. In einer aktuellen Umfrage liegen die Sozialdemokraten bei 16 Prozentpunkten.

Rinderspacher: In den Umfragen sind im Moment Diejenigen vorne, die besonders lautstark auf die Pauke hauen. Die AfD hat in Sachsen-Anhalt 17 Prozentpunkte. Das gibt durchaus Anlass zur Sorge, wenn eine offen rassistisch agierende Partei im zweistelligen Bereich liegt. Seriosität und Solidität dringen in der aktuell aufgeregten Zeit eher schwerer durch, als Protestgeheul und Politparolen. Zur Landtagswahl 2018 werden wir im Land aber wohl wieder eine ruhigere Situation haben. Unsere Aufgabe ist es, wieder stärker klassische landespolitische Themen in den Mittelpunkt zu rücken. Dann wird die SPD in den Umfragen auch wieder nach oben gehen.

 

Dass Sie angesichts dieser Zahlen davon gesprochen haben, dass die SPD die Partei der Stunde ist, hat man nicht so ganz verstanden.

Rinderspacher: Staatspolitische Verantwortung zu übernehmen ist das Gebot der Stunde. Es darf nicht um kurzfristige parteipolitische Geländegewinne gehen, wenn jede zweite Nacht in Deutschland Molotowcocktails in die Kinderzimmer von Flüchtlingsheimen fliegen. Diese Haltung unterscheidet uns Sozialdemokraten von der CSU, die den Stimmungen hinterherrennt oder sie gar aufheizt. Es geht gerade jetzt mehr denn je um sozialen Zusammenhalt und inneren Frieden, und um das Prinzip „Zuerst das Land und dann die Partei“.

 

Aber noch nicht mal bei dem sozialdemokratischen Kernthema soziale Gerechtigkeit hat die SPD in der aktuellen Umfrage die Nase vorn.

Rinderspacher: Viele Bürger haben Sorgen, dass es aufgrund der Flüchtlingsbewegung zu neuen Konkurrenzen zwischen Migranten und den Einheimischen kommt. Die Flüchtlingspolitik muss Maß und Mitte finden: die berechtigt Zufluchtsuchenden so aufnehmen, wie wir uns das in einer vergleichbaren Notsituation selbst wünschen würden. Und wir müssen die Flüchtlingszahl reduzieren, damit Integration gelingt. Neue Konkurrenzen auf dem Wohnungs-, dem Arbeitsmarkt, um Kitaplätze oder schulische Ausbildung darf es nicht geben.

 

Es geht derzeit um die Frage, ob sich rechts neben der CSU eine neue politische Kraft etablieren kann. Droht da die SPD nicht komplett in der Versenkung zu verschwinden?

Rinderspacher: Manche sprechen pointiert von zwei politischen Lagern, die einander unversöhnlich gegenüberstehen: Gutmenschen und Bösmenschen. Dem Land nutzen aber weder falsche Illusionen noch Angstmacherei, die zu Hass und Gewalt führt. Wenn die SPD in dieser Zangenbewegung nicht aufgerieben werden will, muss sie ihre klassischen Tugenden als Volkspartei ausspielen: als politische Klammer, die die Gesellschaft zusammenhält.

 

Lassen Sie uns von der Weltpolitik den Blick auf Nordbayern werfen: Lange Zeit wurde den Oberfranken vorgeworfen, sie würden hauptsächlich durch Jammern in Erscheinung treten. Wie werden die Oberfranken heute in München wahrgenommen?

Rinderspacher: Oberfranken ist eine Anpackerregion. Oberfranken hat den Strukturwandel gut gemeistert. Die bodenständigen Macherqualitäten der Oberfranken sind ein Vorbild für ganz Bayern. Ich erlebe die Region überhaupt nicht im Jammertal.

 

Also keine Problemregion innerhalb des Freistaats?

Rinderspacher: Die Region steht vor großen Herausforderungen, keine Frage. Der demografische Wandel schlägt hier in besonderem Maße zu. Der Regierungsbezirk wird bis 2032 rund acht Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Das braucht natürlich politische Konzepte.

 

Die da wären:

Rinderspacher: Zuerst: Strukturen stabilisieren. Es reicht nicht – und das ist mein Vorwurf an die bayerische Staatsregierung – immer wieder neue haltlose Versprechungen zu machen und den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Etwa dass mit einer Behördenverlagerung von 400 Stellen in zehn Jahren dem demografischen Wandel begegnet werden könnte. Nein, es braucht ein ganzes Maßnahmenpaket der Strukturförderung. Das fängt bei der Schule an. Über 700 Schulen im Freistaat wurden von der CSU im vergangenen Jahrzehnt geschlossen. Sehr viele in Oberfranken. Das Schulsterben darf nicht weitergehen. Wo keine Schule, da gibt's keine Firmenansiedlung, keine Arbeitsplätze. Eines Tages macht auch die Dorfgaststätte zu - und die Kirche. Und es geht um den Erhalt der Infrastruktur. 40 Prozent der Staatsstraßen in Oberfranken sind sanierungsbedürftig, jede dritte Staatsbrücke und sehr viele Schwimmbäder müssen grundlegend repariert werden. Die Region hat gewaltigen Nachholbedarf beim Ausbau von Straße und Schiene, auch bei der Barrierefreiheit der Bahnhöfe. Es gibt viel zu tun.

 

Die vier oberfränkischen SPD-Landtagsabgeordneten haben nun einen Zukunftsplan vorgelegt, in dem 600 Millionen Euro für den Regierungsbezirk gefordert werden. Wo drückt der Schuh am stärksten?

Rinderspacher: Das größte Problem ist, dass Bayern zu zentralistisch organisiert ist. Wie will sich denn die Münchner Ministerialbürokratie im Süden einbilden, die besten Antworten für die oberfränkischen Verhältnisse im Norden zu haben?

 

Aber es gibt jetzt ein Heimatministerium in Nürnberg ...

Rinderspacher: Das Heimatministerium ist die Verlängerung des Zentralismus mit anderer Postadresse. Deshalb bringt Söders Home-Office in der zweitgrößten Metropole Bayerns keine strukturelle Verbesserung. Grundlegend wäre: Mehr Freiheit für die Regionen, mehr Eigenverantwortung für die Kommunen. Das wollte schon Wilhelm Hoegner, dessen Bayerische Verfassung sich heuer zum 70. Mal jährt. Wir wollen mehr Geld für die Kommunen mit einer Erhöhung der Verbundquote, also des allgemeinen kommunalen Anteils am Steueraufkommen. Diese Quote liegt im Moment bei 12,75 Prozent, in Baden-Württemberg sind es 23 Prozent. Wenn ich an der Ländergrenze mit dem Radl unterwegs bin, sehe ich den Unterschied an den Kommunalstraßen. In Württemberg ist die Straße gut in Schuss, in Bayern oft holprig.

 

Was kann der Freistaat von Baden-Württemberg lernen?

Rinderspacher: Dort wird die Demokratie stärker von unten organisiert, aus der Kommune heraus. Das Credo für Bayern muss lauten: Dezentralität! Freistaat! Traut den Leuten vor Ort mehr zu! Im Flächenstaat Bayern ist die zentralistische Herangehensweise der CSU völlig falsch. Die Oberfranken sollen selbst entscheiden, was politische Priorität vor Ort hat und wo die zusätzlichen 600 Millionen Euro investiert werden sollen. Die Oberfranken haben bewiesen, dass sie keine Bevormundung brauchen. Gebt ihnen das Geld in die Hand. Überdies sieht unser Plan ein Sonderprogramm zur Entschuldung für besonders hoch verschuldete Kommunen, wie etwa im Fichtelgebirge, vor. Es sind auch Sonderfonds vorgesehen für die Sanierung von Schwimmbädern, außerdem haben wir zusätzliche Ideen zur Behördenverlagerung. Aber solange die Grundidee der stärkeren regionalen Selbstverwaltung nicht praktiziert wird, und die Oberfranken als Bittsteller im Heimatministerium auftreten müssen, ändert sich nichts grundlegend an der Situation.

 

Hat die SPD denn versucht, hierfür politische Verbündete etwa bei den Freien Wählern oder den Grünen zu finden?

Rinderspacher: Wir haben in der Opposition etwa 80 Prozent aller Landtagsanträge einvernehmlich verabschiedet. Da waren die Grünen und die Freien Wähler an unserer Seite. Und manche CSU-Kollegen haben uns dann in der Sitzungspause zugerufen: Wir würden gerne mitmachen, wir dürfen aber nicht. Umso mehr kommt es deshalb darauf an, dass die Mehrheiten sich künftig stärker an der Vernunft in der Sache als an der Lautstärke einzelner Parteien orientieren - inner- und außerhalb des Parlaments.

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