Getreu dem alten kulturpädagogischen Ansatz von Hilmar Hoffmann aus den 1970er-Jahren (Hoffmann war damals Kulturdezernent in Frankfurt/Main) glaubt man auch im Bayreuth des Jahres 2016, dass sich besser vermitteln lässt, was man selbst erfahren hat, vor allem in der Populärkultur. Davon profitiere langfristig auch die Industrie, sagt Jochen Koubek, Professor für Digitale Medien: "Nur Experten, die genau wissen, wie das Medium funktioniert, helfen der Industrie, über innovative Produkte neue Zielgruppen und Märkte zu erschließen."
Flucht im Spiel selbst erfahren
Dazu sind auch neue Sichtweisen gefragt. Student Fabian Fauser hatte eine und traute sich, sie umzusetzen. Er hat mit "Der lange Weg" ein Computerspiel programmiert, das den Spielenden in die Lage eines Flüchtlings versetzt, der aus seinem Heimatland fliehen muss. Je nachdem, ob man als Spielfigur ein Mädchen oder einen Jungen wählt, bekommt sie unterschiedliche Probleme im Heimatland, bei der Flucht und bei geglückter Flucht in der neuen Heimat. Je nachdem, mit wem man seine Figur reden lässt, bekommt man wertvolle Informationen, wie es weitergeht oder weitergehen kann. Und wenn man zwischendrin nicht genug isst und vor allem nicht genug trinkt, stirbt man ganz schnell. Natürlich hat man nie genug Geld und muss kreativ sein - oder man wird kriminell. Falls man nicht ohnehin relativ am Anfang bei einem Bombenangriff stirbt.
Ständig muss man sich entscheiden: allein flüchten oder mit der Schwester oder gar der ganzen Familie? Was mitnehmen: Pass, Wechselkleidung oder den Teddybären der kleinen Schwester? Dem Informanten trauen, der einem die Flucht-Route vorschlägt oder auf eigene Faust fahren? Übers Meer oder über Land flüchten?
Unterhalten, ohne spaßig zu sein
Ist man erst einmal auf der Flucht, gibt es andere Unwägbarkeiten: Schiffsunglücke etwa, bei denen man selbst oder andere Familienmitglieder ertrinken können. Und ist man dann am Ziel in Deutschland, durchläuft man mit seiner Figur den bürokratischen Prozess, einen Antrag auf Asyl zu stellen, mit Anhörung und allen Unsicherheiten und möglichen Diskriminierungen, die ein Flüchtling dann realistischerweise auch erfahren kann.
Fauser, der 25 Jahre ist und aus der Nähe von Ulm kommt, hat viele Gespräche mit Geflüchteten in Bayreuth geführt, um den Inhalt und die möglichen Verläufe für "Der lange Weg" aufbauen zu können. "Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist, ein unterhaltsames Spiel zu machen, ohne dass es 'spaßig' ist.". Ihm gefallen auch am meisten Spiele und Macher, die es geschafft haben, ernste Themen einzubinden und emotional mitzureißen. "Da gibt es einige kleine, sehr clevere und sehr provokante Spiele", erzählt Fauser. "Solche Spiele nehmen natürlich nur eine Nische ein." Aber er sehe hier deutlich Potenzial auch für den Markt und verweist beispielsweise auf den ARD-Film "Terror - Ihr Urteil", der nicht nur wegen der Thematik, sondern auch wegen der Interaktivität so ein Publikumserfolg gewesen sei. "Die Besonderheit des Spiels ist es, aktiv in andere Rollen zu schlüpfen und Entscheidungen zu treffen, die sich einem sonst nicht stellen würden."
"Auch ernste Themen haben mit Interaktion eine Zukunft"
Fauser wollte mit seinem Spiel eine Geschichte erzählen, ohne selbst Grafiken erstellen oder originelle Mechaniken programmieren zu müssen. Und das Thema sei ja nach wie vor aktuell. Ursprünglich wollte er etwas für die Oculus Rift machen, scheiterte aber an der Technik. Acht Monate hat der Student vom ersten Konzept bis zum fertigen Produkt gebraucht. Kaufen oder herunterladen kann man das Spiel bisher nicht. "Kommerziell vertreiben möchte ich das auch nicht, das fände ich nicht angebracht. Vielleicht baue ich aber eine kleine Website dafür."
Was Fauser sich für die Zukunft wünscht? "Dass noch mehr Leute so mutig sind, solche Spiele zu machen, dass noch mehr Spieler mutig sind, solche Spiele zu spielen. Aber vor allem wünsche ich mir, dass noch mehr Leute so mutig sind und überhaupt mal ein (Computer-)Spiel spielen."
INFO: Weitere Informationen zum Studiengang Computerspielwissenschaften gibt es hier. Spiele aus der Medienwissenschaft zum Selber-Spielen gibt es hier.