Mehr als daddeln im Hauptseminar

Von Kerstin Fritzsche
Szenen aus dem Computerspiel "Der lange Weg", das Fabian Fauser programmiert hat. Der Student der Computerwissenschaften in Bayreuth hat ein Spiel entwickelt, das einen in die Rolle eines Flüchtlings versetzt. Screenshots: kfe Foto: red

Sie bilden einen milliardenschweren Markt und für nicht wenige sind sie eine eigene Kulturtechnik: Computerspiele. Was sie auf jeden Fall sind: eine eigene Wissenschaft. In Bayreuth mausert sich der Studiengang Computerspielwissenschaften zu einem neuen Aushängeschild für die Universität. Das liegt zum einen am elektronischen Sport und zum anderen an interessanten Abschlussarbeiten wie der von Fabian Fauser über Flüchtende.

 
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Mit "OXO", einem grafisch sehr einfachen Tic-Tac-Toe-Spiel begann 1952 alles. "OXO" war das erste Computerspiel der Welt. Wie bei "Vier gewinnt", das im deutschsprachigen Raum bekannter sein dürfte, kämpfen zwei Spieler darum, wer zuerst auf einer eingeteilten Fläche drei X oder drei O nebeneinander platzieren kann. Weil es dabei auch gleichzeitig darum geht, den Gegner zu blockieren, ist "OXO" somit auch das erste Strategie-Spiel der Welt.

Milliardenschwere Industrie

2016 ist daraus eine ganze Industrie gewachsen: Es gibt Computerspiele, Video-Spiele, Online-Spiele. Als Strategie-Spiel, Simulation, Egoshooter, Rollen-Spiel. Mehr als 20 Milliarden Euro werden im Jahr im Bereich digitale Spiele umgesetzt, es gibt vielfältige Berufsbilder innerhalb der Industrie, wer gut designt oder programmieren kann, kann sich über üppige Jahresgehälter freuen.

Und Menschen, die Computerspiele spielen, sind schon lange keine Nerds mehr, die kein reales Leben haben. Nach und nach sind die Spiele und ihre Kultur so auch in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Bayreuth ist die erste Universität in Deutschland, die einen Studiengang Computerspielwissenschaften als Master gestartet hat. Es gibt ihn seit dem Wintersemester 2015/16.

Gekoppelt mit Gründungsberatung

Den Studierenden steht modernste Technik zur Verfügung. Aber noch etwas zeichnet die Uni Bayreuth hier aus: Es soll auch der Gründergeist der Studierenden gefördert werden, und so bietet der Studiengang das sogenannte "Ludium Generale" an, Ergänzungsmodule, die den Brückenschlag zur Gründungsberatung der Universität ermöglichen.

Einzige Uni mit E-Sport

Außerdem wird die intensive Spielkultur auch gelebt, nicht nur erforscht: Die Bayreuther sind die Ersten, die E-Sport an einer deutschen Hochschule etabliert haben. Sechs verschiedene Spiele werden angeboten, es gibt Teams, Trainer und Manager mit regelmäßigen Trainingseinheiten und Wettbewerben. E-Sport ist in Bayreuth ganz normaler Bestandteil des Hochschulsports. Darauf ist der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl, Cyrus Mobasheri, der das Projekt mit aufbaute, ganz besonders stolz. Auf längere Sicht soll sogar ein uniinternes Liga-System geschaffen werden.

Getreu dem alten kulturpädagogischen Ansatz von Hilmar Hoffmann aus den 1970er-Jahren (Hoffmann war damals Kulturdezernent in Frankfurt/Main) glaubt man auch im Bayreuth des Jahres 2016, dass sich besser vermitteln lässt, was man selbst erfahren hat, vor allem in der Populärkultur. Davon profitiere langfristig auch die Industrie, sagt Jochen Koubek, Professor für Digitale Medien: "Nur Experten, die genau wissen, wie das Medium funktioniert, helfen der Industrie, über innovative Produkte neue Zielgruppen und Märkte zu erschließen."

Flucht im Spiel selbst erfahren

Dazu sind auch neue Sichtweisen gefragt. Student Fabian Fauser hatte eine und traute sich, sie umzusetzen. Er hat mit "Der lange Weg" ein Computerspiel programmiert, das den Spielenden in die Lage eines Flüchtlings versetzt, der aus seinem Heimatland fliehen muss. Je nachdem, ob man als Spielfigur ein Mädchen oder einen Jungen wählt, bekommt sie unterschiedliche Probleme im Heimatland, bei der Flucht und bei geglückter Flucht in der neuen Heimat. Je nachdem, mit wem man seine Figur reden lässt, bekommt man wertvolle Informationen, wie es weitergeht oder weitergehen kann. Und wenn man zwischendrin nicht genug isst und vor allem nicht genug trinkt, stirbt man ganz schnell. Natürlich hat man nie genug Geld und muss kreativ sein - oder man wird kriminell. Falls man nicht ohnehin relativ am Anfang bei einem Bombenangriff stirbt.

Ständig muss man sich entscheiden: allein flüchten oder mit der Schwester oder gar der ganzen Familie? Was mitnehmen: Pass, Wechselkleidung oder den Teddybären der kleinen Schwester? Dem Informanten trauen, der einem die Flucht-Route vorschlägt oder auf eigene Faust fahren? Übers Meer oder über Land flüchten?

Unterhalten, ohne spaßig zu sein

Ist man erst einmal auf der Flucht, gibt es andere Unwägbarkeiten: Schiffsunglücke etwa, bei denen man selbst oder andere Familienmitglieder ertrinken können. Und ist man dann am Ziel in Deutschland, durchläuft man mit seiner Figur den bürokratischen Prozess, einen Antrag auf Asyl zu stellen, mit Anhörung und allen Unsicherheiten und möglichen Diskriminierungen, die ein Flüchtling dann realistischerweise auch erfahren kann. 

Fauser, der 25 Jahre ist und aus der Nähe von Ulm kommt, hat viele Gespräche mit Geflüchteten in Bayreuth geführt, um den Inhalt und die möglichen Verläufe für "Der lange Weg" aufbauen zu können. "Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist, ein unterhaltsames Spiel zu machen, ohne dass es 'spaßig' ist.". Ihm gefallen auch am meisten Spiele und Macher, die es geschafft haben, ernste Themen einzubinden und emotional mitzureißen. "Da gibt es einige kleine, sehr clevere und sehr provokante Spiele", erzählt Fauser. "Solche Spiele nehmen natürlich nur eine Nische ein." Aber er sehe hier deutlich Potenzial auch für den Markt und verweist beispielsweise auf den ARD-Film "Terror - Ihr Urteil", der nicht nur wegen der Thematik, sondern auch wegen der Interaktivität so ein Publikumserfolg gewesen sei. "Die Besonderheit des Spiels ist es, aktiv in andere Rollen zu schlüpfen und Entscheidungen zu treffen, die sich einem sonst nicht stellen würden."

"Auch ernste Themen haben mit Interaktion eine Zukunft"

Fauser wollte mit seinem Spiel eine Geschichte erzählen, ohne selbst Grafiken erstellen oder originelle Mechaniken programmieren zu müssen. Und das Thema sei ja nach wie vor aktuell. Ursprünglich wollte er etwas für die Oculus Rift machen, scheiterte aber an der Technik. Acht Monate hat der Student vom ersten Konzept bis zum fertigen Produkt gebraucht. Kaufen oder herunterladen kann man das Spiel bisher nicht. "Kommerziell vertreiben möchte ich das auch nicht, das fände ich nicht angebracht. Vielleicht baue ich aber eine kleine Website dafür."

Was Fauser sich für die Zukunft wünscht? "Dass noch mehr Leute so mutig sind, solche Spiele zu machen, dass noch mehr Spieler mutig sind, solche Spiele zu spielen. Aber vor allem wünsche ich mir, dass noch mehr Leute so mutig sind und überhaupt mal ein (Computer-)Spiel spielen."

INFO: Weitere Informationen zum Studiengang Computerspielwissenschaften gibt es hier. Spiele aus der Medienwissenschaft zum Selber-Spielen gibt es hier.

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