Martin Walser: (K)ein bescheidener Mann

Von Marie-Christine Fischer
Thekla Chabbi und Martin Walser haben "Ein sterbender Mann" in Teilen gemeinsam erdacht. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Keine Fotos von Martin Walser während er liest. Nur am Tisch sitzend darf der Fotograf ihn ablichten. Sitzt da ein eitler 89-Jähriger mit Starallüren auf der Bühne im Evangelischen Gemeindehaus? Das Bild aus den ersten Minuten der Lesung zum Abschluss des Leselust-Festivals demontiert Walser im Folgenden, indem er die ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte seines neuen Romans erzählt - und dabei ohne Unterlass seine Coautorin rühmt.

 
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Klar: Wenn es in Deutschland eine Hand voll Schriftsteller gibt, die sich Starallüren leisten können, dann gehört Martin Walser dazu. Seine Bücher haben sich millionenfach verkauft, er selbst ist mit gefühlt ebenso vielen Literaturpreisen ausgezeichnet.

Wie er da so sitzt - die Augen geschlossen, den Kopf auf den Arm gestützt - und die einleitenden Worte von Martin Huber, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Bayreuth, regungslos über sich ergehen lässt, kommt man um den Eindruck, Walser habe nicht allzu viel Lust auf die Veranstaltung, nicht herum.

Walser macht Lust auf den Roman

Doch er kann auch anders. Walser ließt aus seinem neuen Roman "Ein sterbender Mann", die Geschichte von Theo Schadt, 72 einem Firmenchef und „Nebenherschreiber“, der von seinem besten Freund verraten wird. Er liest engagiert, kraftvoll und unterhaltsam. So, dass beim Zuhörerer das Kopfkino anspringt und - der Schlange am Bücherstand am Ende der Lesung nach zu urteilen - viele der rund 400 Besucher im Saal Lust bekommen, den Roman zu kaufen.

Irritiert und womöglich auch enttäuscht lässt Walser wohl manchen Zuhörer zurück, als er schon nach einem Kapitel an Thekla Chabbi abgibt. Sie liest das Kapitel, das aus ihrer Feder stammt - spannend die Geschichte, wie es dazu kam.

Coautorin zufällig kennengelernt

Walser und die Münchner Sinologin lernten sich 2014 bei einer Veranstaltung über deutsch-chinesische Kultur an der Uni Heidelberg kennen, erzählen die beiden im Gespräch mit Martin Huber. Walser: "Ich war im Kopf so mit Theo beschäftigt und konnte, wie immer in solchen Situationen, meinen Mund nicht halten. Ob die Anderen das hören wollen oder nicht, darauf kann ich dann keine Rücksicht nehmen." Also berichtete er von den Suizidgedanken seiner Hauptfigur. Tags darauf schickte Thekla Chabbi ihm "einen Link - wenn Sie wissen, was das ist".

Der Link führte in ein Onlineforum, in dem Menschen von ihren Todessehnsüchten berichten und sich darüber austauschen, wie sie sich umbringen wollen. "Ich bin tagelang nicht mehr davon weggekommen", erzählt Walser. Er sendet Thekla Chabbi, was Theo Schadt im Roman ins Suizidforum schreibt. Sie antwortet unter dem Namen Aster. "Es hat sich ein Dialog entsponnen und das war dann eigentlich auch schon der Roman."

Voll des Lobes für Chabbi

Dass ein Großer wie er mit einer Frau zusammenarbeitet, die kaum einer kennt und die schon gar keinen Namen in der Literaturszene hat, stellt Walser als Selbstverständlichkeit dar. "Manche sagten, jetzt ist er zu alt, um seine Romane allein zu schreiben, aber mir hat es große Freude gemacht, wie das gegen- und miteinander entstanden ist", sagt Walser. Und er lobt: "Thekla hat nicht eine Zeile lang versucht, mich zu imitieren." Dass der Aufnahmeleiter bei der Aufzeichung des Hörbuchs von "Ein sterbender Mann" sagte, das Kapitel von Chabbi sei im das Liebste im Buch: kein Problem für Walser.

Auch, dass der Tango im Roman eine Rolle spielt, ist Chabbi zu verdanken. Sie, ganz bescheiden: "Ich habe nur Infos geliefert." Er, ganz bescheiden: "Das kann man so nicht sagen."

Kein Autor zum Anfassen

So zahm sich Walser Chabbi gegenüber gibt, so deutlich macht er Martin Huber bei der einen oder anderen Frage klar, was er von dieser Frage hält. Nämlich nichts. Huber erzählt, der Satz "Der Tango ist der schönste Ersatz für etwas, das es nicht gibt", habe ihn sehr beeindruckt. "Das steht da drin?", fragt Walser nur. Als Huber einen Diskurs über die Bedeutung der Wirtschaft - im Sinne von Ökonomie - im Buch anstrengt, dem wohl höchstens jene Zuhörer folgen können, die "Ein sterbender Mann" schon gelesen haben, lässt Walser nur wissen: "Der Atzinger (Traditionswirtschaft in der Münchner Schellingstraße) ist mir näher als die Ökonomie."

Das Publikum lacht. So ein Abend mit Martin Walser macht richtig Spaß. Wirklich nahe aber kommt man dem Schriftsteller bei dieser Lesung nicht. Schon gar nicht bei der Signierstunde zum Abschluss. Da sitz er wieder der Walser vom Anfang und schreibt ohne aufzusehen Autogramme in Buchdeckel.