Der Link führte in ein Onlineforum, in dem Menschen von ihren Todessehnsüchten berichten und sich darüber austauschen, wie sie sich umbringen wollen. "Ich bin tagelang nicht mehr davon weggekommen", erzählt Walser. Er sendet Thekla Chabbi, was Theo Schadt im Roman ins Suizidforum schreibt. Sie antwortet unter dem Namen Aster. "Es hat sich ein Dialog entsponnen und das war dann eigentlich auch schon der Roman."
Voll des Lobes für Chabbi
Dass ein Großer wie er mit einer Frau zusammenarbeitet, die kaum einer kennt und die schon gar keinen Namen in der Literaturszene hat, stellt Walser als Selbstverständlichkeit dar. "Manche sagten, jetzt ist er zu alt, um seine Romane allein zu schreiben, aber mir hat es große Freude gemacht, wie das gegen- und miteinander entstanden ist", sagt Walser. Und er lobt: "Thekla hat nicht eine Zeile lang versucht, mich zu imitieren." Dass der Aufnahmeleiter bei der Aufzeichung des Hörbuchs von "Ein sterbender Mann" sagte, das Kapitel von Chabbi sei im das Liebste im Buch: kein Problem für Walser.
Auch, dass der Tango im Roman eine Rolle spielt, ist Chabbi zu verdanken. Sie, ganz bescheiden: "Ich habe nur Infos geliefert." Er, ganz bescheiden: "Das kann man so nicht sagen."
Kein Autor zum Anfassen
So zahm sich Walser Chabbi gegenüber gibt, so deutlich macht er Martin Huber bei der einen oder anderen Frage klar, was er von dieser Frage hält. Nämlich nichts. Huber erzählt, der Satz "Der Tango ist der schönste Ersatz für etwas, das es nicht gibt", habe ihn sehr beeindruckt. "Das steht da drin?", fragt Walser nur. Als Huber einen Diskurs über die Bedeutung der Wirtschaft - im Sinne von Ökonomie - im Buch anstrengt, dem wohl höchstens jene Zuhörer folgen können, die "Ein sterbender Mann" schon gelesen haben, lässt Walser nur wissen: "Der Atzinger (Traditionswirtschaft in der Münchner Schellingstraße) ist mir näher als die Ökonomie."
Das Publikum lacht. So ein Abend mit Martin Walser macht richtig Spaß. Wirklich nahe aber kommt man dem Schriftsteller bei dieser Lesung nicht. Schon gar nicht bei der Signierstunde zum Abschluss. Da sitz er wieder der Walser vom Anfang und schreibt ohne aufzusehen Autogramme in Buchdeckel.