Premierenkritik zu „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen 2015 Lohengrin ist gelandet

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

Jubel für Dirigent Alain Altinoglu, Ovationen für Klaus Florian Vogt: Der Bayreuther „Ratten-Lohengrin“ steht zum letzten Mal auf dem Spielplan der Festspiele. Der Abschied kommt im richtigen Moment.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Natürlich gibt es auch Leute, die es nicht mögen, wie Klaus Florian Vogt den Lohengrin singt, aber die sind heute nicht da. V

ogts Stimme hält sich nicht an die Bühnenanweisung Richard Wagners, dass Lohengrin bei seinem Auftritt „in glänzender Silber-Rüstung, den Helm auf dem Haupte, den Schild im Rücken, ein kleines goldenes Horn zur Seite, auf sein Schwert gelehnt“ von einem Schwan auf die Bühne gezogen wird. Man hört bei Vogt keine Rüstung und kein Schwert, die Stimme ist unbewaffnet, und es ist auch nichts da, was gezogen werden müsste. Was man hört, ist das Wunder, von dem der Chor bei der Ankunft Lohengrins singt. Ein schwereloses, nie gehörtes Wunder. Wenn man möchte, kann man Vogts gesangliche Interpretation der Rolle für zu wenig muskulös halten oder zu wenig maskulin, man kann es aber auch aufrichtig finden und musikalisch genial. Weil die Töne nicht vorgeben, etwas anderes zu sein als das, was Töne ohnehin immer sind: in Schwingung versetzte Luft, gerade stabil genug, um ein paar Worte zu tragen.

Er hat das auch anderswo so gemacht, nicht zuletzt an der Deutschen Oper in Berlin, in der Inszenierung von Stefan Herheim. Trotzdem ist das Festspielhaus der Ort und diese Inszenierung der Rahmen, in dem Vogts Lohengrin wuchs und gedieh: Weil sich auch Regisseur Hans Neuenfels – jedenfalls wörtlich – nicht an die Bühnenanweisung Wagners hält, gleichzeitig aber auf extrem kluge Art damit umgeht. Sein Bayreuther Lohengrin, der nach dieser Saison vom Spielplan genommen wird, dreht sich um die Frage, ob blindes Vertrauen möglich ist. Er steckte den Chor – in genialischer Ableitung der reflexhaften und immer eher eindimensionalen Jubel-Furcht-Angst-Attacke-Reaktionen – in Rattenkostüme, die Versuchsanordnung findet im Labor statt, und zwar: trotz aller Umbesetzungen in den vergangenen fünf Jahren mit exzellenter, bühnenwirksamer Personenführung.

Auch sein Lohengrin ist unbewaffnet, kein Ritter, sondern ein Mensch wie alle.

Als Klaus Florian Vogt am Ende vor den Vorhang tritt, springen die Zuschauer auf, applaudieren ihm im Stehen.

Töne singen, die kein Gewicht haben: Das kann keiner so wie er.

Beziehungsweise, konnte.

Denn im letzten Jahr dieses Bayreuther „Lohengrin“ hat sich Vogts Stimmlage um ein paar Grad nach unten verlagert, die Stimme hat eine neue Temperatur, und die strahlende Mühelosigkeit ist übers Jahr verschwunden.

Damit hat Vogt die Aura des Übernatürlichen um ein gutes Stück verloren, die ihn als Lohengrin immer umgab: Weil man sich einfach fragte, wie das gehen kann. Wie einer so eine Stimme haben – und dann auch noch so auskosten kann. Konnte. Jetzt ist Vogt, wenn man so will, bei einer gesunden sängerischen Genialität am oberen Ende des Menschenmöglichen angekommen. Und das mag nun übertrieben klingen, aber: Das ist vielleicht besser so. Wäre Vogt tatsächlich noch auf dem einst auf unheimliche Weise gewohnten Niveau gewesen, hätte man die Absetzung dieser Inszenierung mit diesem Lohengrin darin unmöglich hinnehmen können.

Ovationen bekommt am Abend der Wiederaufnahme nicht nur Vogt. Annette Dasch kehrt als Elsa zurück, einen Sommer hatte sie pausiert, sie war schon immer eine dunklere, wärmere Elsa als ihre Vertreterin Edith Haller. Übers Jahr ist sie verletzlicher geworden, das Strahlen, das sie in den ersten Elsa-Jahren hatte, ist weg. Es fehlt nicht unbedingt, auch bei ihr ist es einfach eine neue Temperatur. Und wann gibt es das schon: dass man einer Elsa – ja buchstäblich unter Laborbedingungen – dabei zuschauen kann, wie sie in, mit und an der Rolle wächst.

Jukka Rasilainen folgt in diesem Jahr auf Thomas J. Mayer als Graf Friedrich von Telramund, es ist eine Partie ohne Bravourstücke, Rasilainen singt solide und ausgeruht. Wilhelm Schwinghammer singt König Heinrich, Samuel Youn ist der Heerrufer, beiden fehlt es an diesem Tag an Kraft und Atem. Und so ist es Petra Lang, die – Mit mal strahlendem, mal schneidendem Mezzosopran – als Ortrud hier heute stimmlich den souveränsten Auftritt leistet, wenn auch vor allem deshalb, weil Klaus Florian Vogt ja sozusagen nur im eigenen Schatten steht.

Petra Lang verhandelt gerade über ihren Vertrag als Isolde für nächsten Sommer, natürlich lassen sich die Partien aus vielerlei Gründen nur schwer vergleichen, nach dem „Lohengrin“ hofft man jedenfalls, dass sie sich so schnell nicht aus Bayreuth zurückzieht. Im Übrigen sind nicht nur die Zuhörer, die Vogts Stimmlage nicht mögen, nicht gekommen. Sondern auch die Zuschauer, die Hans Neuenfels’ Inszenierung und die kalten Bühnenbilder von Reinhard von der Thannen nicht mögen, sind nicht da.

Der Grüne Hügel pflegt ja seit Jahren den Mythos, dass ambitionierte Inszenierungen grundsätzlich erst einmal abgelehnt und ein paar Jahre später dann gefeiert werden. Das stimmt natürlich, liegt aber natürlich nicht daran, dass ein Publikum generell eher langsam begreift. Nach dem Premierenjahr wissen die Leute einfach, was sie erwartet, und wenn sie dann schon ahnen, dass sie das ablehnen, dann sparen sie sich den Weg, die Kraft und die Empörung. Und so kommt es, wie es kommen muss: Applaus und Getrampel, eine halbe Stunde lang.

Die zentrale, eigentlich interessante Frage vor der Premiere drehte sich aber gar nicht um die Sänger noch um die Inszenierung. Sondern: Wie würde es Alain Altinoglu mit dem Orchester, dem Chor und der Musik an sich ergehen, nach fünf stilprägenden, wunderbaren Jahren mit Andris Nelsons? Altinoglus „Lohengrin“ ist geerdeter als die Interpretation des Kollegen, ein wenig routinierter, viel weniger impulsiv, und damit näher an den Noten, aber auch: weniger bunt. Altinoglu wagt – vor allem im dritten Aufzug – mehr Geschwindigkeit als Nelsons, später dann viel mehr Entschleunigung. Der Chor schafft es nicht immer, ihm dabei zu folgen, wahrscheinlich einfach nur: noch nicht. Andris Nelsons konnte im „Lohengrin“ die Töne abheben und schweben lassen; das ist vorbei.

Der Bayreuther „Lohengrin“ ist gelandet. Der nächste Schwan geht 2018.

Bilder