Literaturnobelpreis geht an Bob Dylan

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Sänger und Songwriter Bob Dylan erhält den Literaturnobelpreis. Die Jury lobt seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Song-Tradition.

 
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Rund 20 Jahre lang wurde Bob Dylan mit schöner Regelmäßigkeit für den Nobelpreis vorgeschlagen, doch stets ging der Dauerbrenner unter den Kandidaten leer aus. Zu gewagt erschien es offenkundig der Jury, einem Musiker - und sei es auch der berühmteste Songschreiber überhaupt - die höchste Literaturauszeichnung der Welt zuzuerkennen. Nun hat sie sich getraut. Der 75-Jährige erhalte die Auszeichnung für seine «poetischen Neuschöpfungen» in der großen amerikanischen Songtradition, gab die Jury am Donnerstag feierlich bekannt.

Damit haben die favorisierten Romanautoren und Dramatiker diesmal das Nachsehen. Sicher werden manche die Nase rümpfen und fragen, ob Dylans Texte nun Literatur im eigentlichen Sinn seien. Konnte die Jury diesmal wirklich keinen «echten» Schriftsteller finden, dessen literarische Leistungen höher zu bewerten sind als die des kauzigen alten Sängers mit der Krächzstimme?

Doch die meisten dürften - gut 50 Jahre nach Dylans Karrierestart - anerkennen, dass der Autor von Folk-, Blues- und Rock-Lyrik wie «Masters Of War», «Like A Rolling Stone» oder «Visions Of Johanna» ein würdiger Preisträger ist. Zudem ist die Entscheidung ein Durchbruch für die Rock- und Popmusik insgesamt, quasi ihr Ritterschlag. Den Pulitzer-Preis für «lyrische Kompositionen von außerordentlicher poetischer Kraft» hatte Dylan ja bereits.

Erst vor kurzem, zum 75. Geburtstag des legendären Musikers am 24. Mai, verneinte sein Biograf Heinrich Detering, dass der Literaturnobelpreis für Dylan von allzu großer Bedeutung sei. «Nicht dass er ihn nicht verdient hätte, aber er braucht ihn nicht mehr. Er hat alle erdenklichen Auszeichnungen und allen erdenklichen Ruhm eingeheimst», sagte der Göttinger Literaturwissenschaftler dem Deutschlandradio Kultur.

Er glaube allerdings, «dass es dem Nobelpreis guttun würde, Dylan auszuzeichnen. Weil damit diese spezifische Kunstform, diese Ausdrucksform der Literatur, die im 20. Jahrhundert neu entstand oder wieder erstand, ausgezeichnet würde.» Eine Revolution für den wichtigsten Literaturpreis der Welt - das passt zu einem anerkannten Revolutionär der Folk- und Rockmusik.

Diesen Ruf erwirbt sich Dylan schon Anfang der 60er Jahre, als er die Zeichen einer unruhigen Zeit richtig deutet. Seinen Start als Singer-Songwriter beschreibt er später in der auch literarisch anspruchsvollen Autobiografie «Chronicles» (2004) so: «Amerika wandelte sich. Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung.»

Noch unter seinem Geburtsnamen Robert («Bobby») Allen Zimmerman spielt der aus Duluth/Minnesota stammende Dylan zunächst in regionalen Highschool-Bands Rock'n'Roll. Er benennt sich alsbald um - vermutlich nach einem literarischen Idol, dem walisischen Dichter Dylan Thomas. Sein Faible für die neue Folk-Bewegung entdeckt der aus einer jüdischen Familie stammende junge Mann 1959 in Minneapolis. Dann treibt ihn besagter «Strom der Veränderung» in den New Yorker Szene-Stadtteil Greenwich Village.

Der Erfolg stellt sich mit dem Song «Blowin' In The Wind» (1963) ein. Wütende Lieder wie «Masters Of War» oder «A Hard Rain’s A-Gonna Fall» qualifizieren Dylan für die weltweite Jugend- und Protestbewegung. Doch weder die Rolle eines Folk-Idols mag Dylan auf Dauer annehmen noch die der politischen Symbolfigur. Also mutiert er zum zweiten Mal - diesmal zum Rockmusiker mit elektrischer Gitarre. Für seinen «Verrat» am akustischen Folk wird er von Fans als «Judas» beschimpft.

Aber Dylan lässt sich nicht beirren, komponiert und textet Mitte, Ende der 60er Klassiker in Serie: Alben wie «Bringing It All Back Home», «Highway 61 Revisited», «Blonde On Blonde», weltkluge Songs wie «Desolation Row» oder «Like A Rolling Stone», den das (danach benannte) Fachblatt «Rolling Stone» später zum besten Lied aller Zeiten kürt. Seine mit Metaphern, Symbolen und Anspielungen durchsetzten Lyrics sind von beispielloser Qualität.

Nach einem Motorradunfall im Sommer 1966 zieht sich Dylan aus der Öffentlichkeit zurück und lebt mit seiner Ehefrau Sara Lowndes und den gemeinsamen Kindern in der Nähe von Woodstock bei New York. Als dort 1969 das wichtigste Festival des Jahrzehnts über die Bühne geht, ist ausgerechnet der neben den Beatles und den Rolling Stones wichtigste Rock- und Pop-Pionier nicht dabei.

Die 70er Jahre sind eine wechselvolle, schwierige Zeit für Dylan: die Trennung von Sara Lowndes, künstlerische Stagnation (abgesehen vom Album «Blood On The Tracks» und in Teilen «Desire»). Auch für die 80er fällt die Bilanz eher durchwachsen aus: Auf der Habenseite stehen immerhin Erfolge mit der All-Star-Band Traveling Wilburys und der Beginn der «Never Ending Tour», einer bis heute andauernden Konzertreise rund um den Erdball mit 100 Autritten pro Jahr.

Dylans künstlerische Rehabilitierung kommt 1997 mit dem ersten großen Alterswerk «Time Out Of Mind» - einer Platte voller düsterer, anspruchsvoller Texte, die zu seinen besten zählen. Seitdem hat er einen Lauf, setzt alle paar Jahre Ausrufezeichen wie «Modern Times» (2006) oder das erneut von literarischen, geschichtlichen und biblischen Anspielungen wimmelnde «Tempest» (2012). Seine Alben steigen in den Charts so hoch wie nie zuvor. Rund 100 Millionen Tonträger soll Dylan inzwischen verkauft haben.

Auch die Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: elf Grammys, ein Song-Oscar, der Pulitzer-Preis, die von Barack Obama höchstpersönlich verliehene «Presidential Medal of Freedom». Der US-Historiker Sean Wilentz, Autor des Buchs «Bob Dylan und Amerika», sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Seine Arbeit, damals wie heute, inspiriert, gefällt, unterhält und baut Menschen weltweit auf. Er ist ein großartiges amerikanisches Kulturgut.»

Allemal Grund genug, nun auch den Dichter Dylan mit den höchsten Würden zu ehren. Seinem Biografen Detering zufolge beziehen sich die Songtexte des Amerikaners «auf Dichtungen unterschiedlichster Zeitalter und Kulturen: von der Bibel und Homers "Odyssee" über die Dichtungen der römischen Kaiserzeit (Ovid, Vergil, Juvenal), die mittelalterlichen Mysterienspiele und Shakespeares Dramen bis zur amerikanischen Romantik, den französischen "poètes maudits" und dem Theater Bertolt Brechts». Und nicht zuletzt hebt der Literaturwissenschaftler die Geistesverwandtschaft Dylans mit «Beat-Poeten» wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg hervor.

dpa

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