Einmal Wagner lesen, sodass es jeder versteht – „Bayreuth blättert“ will das möglich machen Lesefest: Bayreuth übersetzt die Walküre

Von Thorsten Gütling
Organisieren das erste integrative Lesefest "Bayreuth blättert": Katharina Fink und Klaus Wührl-Struller. Foto: Thorsten Gütling Foto: red

Das Lesefest „Bayreuth blättert“ rückt näher. Nachdem zuletzt Kinder aufgerufen waren ihre liebsten Geschichten für das erste Bayreuther Märchenbuch zu erzählen, sind jetzt alle Bayreuther gefragt. Es geht um Richard Wagner, seine Walküre und die Tücken der deutschen Sprache.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Am 18. August soll in Bayreuth das erste Lesefest für Menschen mit und ohne Behinderung und für Bayreuther jeglicher Herkunft stattfinden. Mitmachen soll auch der können, der vielleicht nicht mehr sehen, dafür aber tasten, hören, schmecken oder riechen kann. Katharina Fink ist einer der beiden Organisatoren des ersten integrativen Lesefests „Bayreuth blättert“. Sie sagt: „Das Fest soll zeigen: Nicht was der Einzelne nicht kann, sondern dass wir alle etwas anderes und gemeinsam ganz viel können.“ Der zweite im Bunde, der Theaterpädagoge Klaus Wührl-Struller, sagt: „Wir wollen unsere Sinne schärfen, statt über Nachteile und Ausgleiche zu sprechen.“

Lesen Sie auch:

An 18 Plätzen in der Stadt soll an dem Tag, an dem auf dem Grünen Hügel die Walküre zum Besten gegeben wird, Lesungen und Aktionen stattfinden. Eine Aktion ist diese: Wenn die Festspielgäste um 12 Uhr aus dem Evangelischen Gemeindehaus kommen, weil sie dort einen Einführungsvortrag zu Richard Wagners Werk gehört haben, sollen sie vor der Tür von vielen Bayreuther empfangen werden. Die sollen dann die Walküre, ein für viele Menschen kompliziertes Stück, in einfacher Sprache wiedergeben. Zur Vorbereitung sind die Bayreuther am Dienstag, den 12. Juni, um 17 Uhr in die Räume der Volkshochschule im RW21 eingeladen. Die stellvertretende Leiterin der VHS, Melanie Vogt, wird dort erklären, was einfache Sprache ist und wie man schwere Texte in einfache übersetzt. Danach sind die Bayreuther aufgerufen. Bis zum Lesefest sollen sie möglichst den gesamten Text der Walküre in einfache Sprache übersetzen. Jeder soll selbst festlegen können, wieviele Seiten des Werkes er bearbeitet. Wer möchte, soll seine Übersetzung dann vor den Festspielgästen selbst vorlesen.

Lesen Sie auch:

Drei Fragen an Klaus Wührl-Struller

Herr Wührl-Struller, die Walküre soll in einfache Sprache übersetzt werden. Was heißt das?

Klaus Wührl-Struller: Das heißt, dass wir möglichst keine Fremdwörter benutzen. Und dass wir zusammengesetzte Wörter durch Bindestriche koppeln, damit sie leichter zu erkennen sind. Donaudampfschifffahrt zum Beispiel ist leichter zu lesen, wenn man Donau-Dampf-Schifffahrt schreibt. Man sollte außerdem soweit möglich auf Nebensätze verzichten und auf gar keinen Fall irgendetwas einschieben.

Warum muss man einfache Sprache lernen? Ist sie nicht das Normalste auf der Welt?

Wührl-Struller: Wer bei einem solchen Projekt mitmacht, der liest, schreibt und spricht in aller Regel auch viel. Und gerade dann wird der Blick für das einfach blind. Wer in der Stadt regelmäßig einen laden betritt, der wird kaum noch merken, dass er da über eine Schwelle muss. Wer sich einmal in einen Rollstuhl setzt, der merkt das sofort. Es geht also vor allem darum, die Leute für das zu sensibilisieren, was Sprache unnötig schwierig macht.

Nehmen wir ein Beispiel. Im dritten Aufzug der Walküre sagt Waltraude: „Auf sie noch harren müssen wir hier: Walvater gäb’ uns grimmigen Gruß, säh’ ohne sie er uns nah’n!“ Wie könnte das in einfacher Sprache lauten?

Wührl-Struller: Ich würde sagen: „Hier müssen wir auf Brünhilde warten. Wotan wird böse sein, wenn wir ohne sie kommen. Und Wotan ist der oberste aller germanischen Götter.“ Wir müssen also klar machen, wer „sie“ ist. Und dass mit Walvater Wotan gemeint ist. Und wer wiederum der ist. Wir müssen also auch sagen, was sonst nur in irgendwelchen Info-Kästen steht. Beinahe automatisch wollte ich übersetzen: „Wotan wäre böse, wenn wir ohne sie kämen.“ Aber auch der Konjunktiv ist unnötig kompliziert.

Bilder