Lageso: Das Gift der Gerüchte

Von Peter Rauscher
 Foto: red

In Sekundenschnelle verbreitet sich am Mittwoch die Nachricht vom Tod eines Flüchtlings am Berliner Lageso. Erst in der Nacht wird klar: Die Geschichte war frei erfunden. Aber Gerüchte sind in den sozialen Medien kaum mehr einzufangen - und die Presse muss sich einige Vorwürfe gefallen lassen. Ein Kommentar von Politredakteur Peter Rauscher.  

 
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Alles nur erstunken und erlogen: Die Geschichte vom Flüchtling, der nach tagelangem Warten vor dem Berliner Landesamt gestorben ist, hat sich als Schwindel entpuppt. In die Welt gesetzt von einem Flüchtlingshelfer, aus welchen Gründen auch immer, und ungeprüft bestätigt von der Helferinitiative,verbreitete sie sich dank Facebook in Windeseile. Während Journalisten und Polizei noch stundenlang den Wahrheitsgehalt nachprüften, war der vermeintliche Skandal schon in der Welt und wurde heiß diskutiert.

Beim derzeit hohen Erregungszustand der Nation braucht es nur den berühmten Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Russlanddeutsche und sogar Außenminister Lawrow empören sich auf bloße Gerüchte und Behauptungen hin über die angebliche Vergewaltigung einer 13-Jährigen durch einen Flüchtling, während die Ermittler von einvernehmlichem Sex ausgehen. Hinweise auf angebliche sexuelle Belästigung durch Flüchtlinge , die sich bei Nachprüfung als unhaltbar herausstellten, gibt es immer wieder und gab es auch schon beim Kurier. Nie zuvor war es dank sozialer Netzwerke leichter Gerüchte zu streuen und das gesellschaftliche Klima zu vergiften. Irgendwas bleibt immer hängen und man hat es sowieso schon immer gewusst.

Wenn die Gerüchteküche in der hypernervösen Netzgemeinde hochkocht, können seriöse Medien nur noch alles falsch machen: Überprüfen sie Hinweise und nehmen sie sich die nötige Recherchezeit, heißt es, sie wollten vertuschen, die „Wahrheit“ sei im Netz längst nachzulesen. Werden solche Meldungen – wie die aus Berlin – aber selbst unter Vorbehalt verbreitet und sie erweisen sich als falsch, haben sie die Unwahrheit veröffentlicht. So oder so ist es modern geworden, über „Lügenpresse“ zu geifern. Fälle wie die Silvesternacht in Köln, wo Versagen der Polizei und falsche politische Korrektheit in Fernsehredaktionen zu verzögerter Berichterstattung führten, sind Wasser auf die Mühlen von Medienkritikern.

Journalisten müssen sich Kritik im einzelnen stellen und Fehler zugeben. Als Lügner aber brauchen sie sich nicht diffamieren zu lassen. Weil sie im Gegenteil diejenigen sind, die Licht ins Dunkel der Gerüchte bringen und Lügen aufdecken. Das kann manchmal dauern und ist interessierten Kreisen höchst lästig, aber es gibt um der Wahrheit willen keine Alternative für Deutschland – und für freie Gesellschaften in aller Welt.