Kunst mit fast allen Sinnen

Von Michael Weiser
10.11.2017, Bayreuth, Iwalewahaus, Inklusion im Museum, Ausstellung Lieblingsstücke, Bastian Beekes, Stehle mit Audio-Guide, Blindenschrifttext, Taubstummendisplay und Text in leichter Sprache, Foto: Andreas Harbach Foto: red

Man lernt in dieser Ausstellung ein bisschen über zeitgenössische afrikanische Kunst - und sehr viel über sich und seine Wahrnehmung: "Lieblingsstücke" im Iwalewahaus ist eben nicht nur Ausstellung, sondern irgendwo auch Experiment.

 
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Eine Ausstellung präsentiert Objekte, das ist nun mal ihr Wesen, und insofern ist auch die aktuelle Ausstellung im Iwalewahaus zunächst lediglich eine Ausstellung: Rund 30 Kunstwerke sind im ersten Stock zu sehen, unter dem Motto "Lieblingsstücke" gewährt die Präsentatio neinen Einblick und so etwas wie einen Querschnitt in die über 2000 Objekte zählende Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst sowie opulärer Kultur von Künstlern "aus Afrika, Asien, dem pazifischen Raum und der Diaspora", wie's von Seiten der Veranstalter her heißt.

Allerdings sind diese 30 Kunstwerke nicht nur Augenfutter, nicht nur interessante Zeugnisse fremder Kulturen, sondern auch so etwas wie die Bäume, die die Wahnehmung des Waldes verhindern: Die Objekte der Ausstellung sind schön, interessant, merkwürdig. Das Merkwürdigste, das Bemerkenswerteste aber ist - die Ausstellung selbst - als demokratische, offenste Ausstellung, die in Bayreuth bislang zu sehen war. Man könnte auch sagen, in diesem Falle stehe die Ausstellung für sich.

Demokratische Auswahl

Die ganz eigene Art der Ausstellung beginnt beim Auswahlverfahren, an dem alle Mitarbeiter des Hauses beteiligt waren, nicht nur Kunsthistoriker. Demokratie bei der Kunstwahl, sozusagen, kein Expertenkreis, der hinter verschlossenen Türen Werke ausgewählt hätte, nach Kriterien, die man nicht genau kennt. Nein, in diesem Punkt spielt ganz unverblümt der persönliche Geschmack eine Rolle - was man unbedingt nachvollziehen kann.

Ebenso bemerkenswert ist, wie die Ausstellung auch Menschen mit Einschränkungen zugänglich gemacht wird. Es gibt Hörstifte auszuleihen, die, in eine Kontaktbuchse gesteckt und damit gestartet, Erklärungen zu den einzelnen Kunstwerken geben. Vor den Kunstwerken stehen Schreibtischchen von der Höhe eines Schulpultes - für Rollstuhlfahrer. Darauf befinden sich ein kleiner Monitor, auf dem Johanna Kufner als Dolmetscherin den Ausstellungstext in Gebärdensprache übersetzt, eine Tafel in Brailleschrift und ein Nachdruck des jeweiligen Kunstwerkes zum Nachtasten - die Konturen sind erhaben gedruckt.

"Omnisensorisch", so nennt sich dieses Konzept der Ausstellung, das möglichst viele Besucher einbeziehen soll. Übrigens auch Besucher mit ausgeprägtem Spieltrieb: Ein Kunstwerk ist, als Original an der Decke angebracht, auf dem Tisch darunter als Brettspiel gespiegelt. "Am Eröffnungsabend war das in einer Tour belagert", sagt Ulf Vierke, Chef des Iwalewahauses. Als Berater dieser Ausstellung, die im Zusammenwirken von zwei Forschungsprojekten der Uni entstanden ist, gab Bastian Beekes wichtige Impulse, ebenso wie Philipp Schramm vom Kunstmuseum. Die Bayerischen Forschungs- und Informationsstelle Inklusive Hochschulen und Kultureinrichtungen, kurz Bayfink, feiert damit jedenfalls erfolgreiche Premiere.

Man lernt im Vorbeigehen

So bietet diese Ausstellung einige Überraschungen. Man kann feststellen, dass nicht nur deutsche Expressionisten von damals als "exotischen" oder - damals ohne schlechten Beiklang gemeint - "primitiven" Kulturen beeinflusst wurden, sondern dass die Welle zurückschwappte. Im Iwalewahaus sehen zwei Werke aus wie entfernte Verwandte von Paul Klees Bildern. Was Iwalewahaus-Gründer Uli Beyer vermutlich noch abgestritten hätte - dass auch afrikanische Künstler Einflüsse auf Europa aufnahmen und nicht alles völlig neu, aus sich und ihren Traditionen heraus geschaffen haben -, ist heute kein Tabu mehr. "Synthese ist auch etwas Originelles", sagt Vierke.

Kunst-Gefühl

Die Ausstellung lädt darüber hinaus zum Experiment ein. Buraimoh Gbadamosis Statuette ohne Titel ist vierfach vorhanden, einmal als Original, dreimal als Abguss in verschiedenen Farben. Man kann diese Exemplare betasten und prüfen, ob und wie die Farbe die Ewartung beeinflusst, wie sich ein Ding anfühlt. Oder sich als in vollem Umfang Sehender einem Kunstwerk mit geschlossenen Augen nähern und es zuerst auf dem Tastbild empfinden. "Man erfährt, dass man die Welt nie nur durch einen Sinn wahrnimmt", sagt Vierke.

Wie im Kopf ein Bild entsteht

Finger, Ohren, Augen sind im Iwalewahaus gefragt. Was sie an Daten übermitteln, interpretiert das Hirn je nach Erfahrung, Wissen, Prägung. Letztlich entsteht aus dieser Deutung erst unser Gesamtbild der Welt. Man hat derlei vorher erahnt; so sanft darauf gestoßen wie im Iwalewahaus wird man auch nicht immer. Kurz: Es macht nicht immer so viel Spaß, in einer Ausstellung auch mal etwas über sich und seine Sicht auf die Welt zu lernen.

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