US-Streitkräfte errrichteten Internierungslager für 18 000 Insassen Kriegsende in Kulmbach: Warten unterm freien Himmel

Von Wolfgang Schoberth
Die Aufnahme um 1960 gibt ein gute Vorstellung von der Größe des US-Kriegsgefangenenlagers. Es erstreckte sich vom Pörbitscher Weg (links) zur heutigen Berliner Brücke. Seitlich wurde es von der B 289 (unten) und dem Dammweg rechts der Flutmulde begrenzt.⋌Foto: Stadtarchiv Kulmbach Foto: red

Innerhalb weniger Tage haben die amerikanischen Truppen nach ihrem Einmarsch am 13. April 1945 in Kulmbach wieder Sicherheit und Ordnung hergestellt, die Zivilbevölkerung mit Lebensmittel, die Flüchtlingsströme reguliert und die Menschen in Notquartiere untergebracht haben. Elendig dagegen waren die Zustände in einem Internierungslager auf den Mainwiesen, in dem 18.000 Insassen unter freiem Himmel untergebracht waren

 
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Ein nur wenig bekanntes Kapitel dagegen sind die amerikanischen Internierungscamps. Das Kriegsgefangenenlager auf den Mainwiesen ist eines davon. Mit Stacheldrahtverhau und MG-Wachtürme. Das Lager erstreckte sich in einem Dreieck mit 43 500 Quadratmetern zwischen dem Pörbitscher Weg und der Adolf-Hitler-Brücke (Berliner Brücke), seitlich begrenzt vom Flutmuldendamm und der heutigen B 289. Umzäunt war das Areal von einem drei Meter hohen Stacheldraht mit Wachtürmen für Maschinengewehrposten. Am 23. April 1945 wurden erstmals einige Hundert Kriegsgefangene interniert. An den Tagen danach wurden stündlich weitere Gefangenen auf Lastwagen herbeigekarrt, so dass die Zahl Mitte Mai 1945 auf 18 000 Häftlinge angestiegen war. Überwiegend waren es Landser, die sich ergeben hatten oder auf dem Heimweg gestellt worden waren. Dazu kamen Mitglieder des SS, NS-Funktionären und Mitglieder der Organisation Todt, doch auch harmlose Uniformträger wie Post- und Bahnbedienstete.

Die Gefangenen wurden in vier „Cages“ (Käfige) zusammengepfercht, mit Stacheldraht abgegrenzte Zonen. Einer davon, doppelt gesichert, war den politischen Häftlingen vorbehalten. Da keine Zelte oder Baracken zur Verfügung standen, mussten die Insassen im Freien kampieren und waren Nässe und Kälte schutzlos ausgesetzt. Als Schlafstatt nutzten sie mit bloßen Händen aus dem verschlammten Wiesengelände herausgegrabene Erdlöcher.

Überall war Schlamm

Gerhard Theobaldy war unter den Kriegsgefangenen, die in dem Kulmbacher Lager interniert waren. Ein Jahr vor seinem Tod 2007 hat er dem Kollegiaten Christopher Söllner ein ausführliches Interview gegeben. „Die ersten zwei Wochen hat es nur geregnet. Überall war Schlamm. Wir haben im Sitzen geschlafen, mit einer Zeltbahn überm Kopf“, erinnerte sich Theobaldy. Der Kulmbacher beschrieb die hygienischen Verhältnisse als katastrophal, Magen- und Darminfektionen grassierten. Ihre Notdurft mussten die Gefangenen unter freiem Himmel verrichten. Eine in der Mitte des Lagers ausgehobene, morastige Grube diente 18 000 Menschen als Latrine. „Die Leute hockten sich hautnah gegenüber und machten dort ihr Geschäft.“

Der Chef der Kulmbacher Militärregierung, Major Perry B. Lamson, der am 17. April sein Amt antrat, war selbst ein Getriebener bei der Gefangeneninvasion. Im Hauruck-Verfahren organisierte er eine Notverpflegung aus Lagerbeständen der Wurstfabrik Sauermann. Das Dosenfleisch wurde zu einer dünnen Suppe verarbeitet oder auch pur ausgegeben. Theobaldy: „Drei Mann mussten sich eine Büchse mit Göttinger oder Rindfleisch teilen. Da es kein Brot oder Kartoffeln dazu gab, erlitten fast alle schlimmen Durchfall“. Die schreiende Not löste bei der Bevölkerung Mitgefühl aus. Einige versuchten, einen Laib Brot oder Obst durch den Stacheldraht zu reichen. Die Wachmänner – berichteten weitere Zeitzeugen – hätten völlig unberechenbar reagiert: einige ließen es zu, andere schossen.

Amtskreuz unterm Hemd

Heinrich Riedel, seit 1943 Dekan in Kulmbach und Nazi-Sympathisant, rang Major Lamson das Zugeständnis ab, Lebensmittel, Decken und Mäntel ins Lager liefern zu dürfen. Die Spendenbereitschaft der Kulmbacher war enorm. Ab dem 5. Mai durfte Riedel mit zwei Fuhrwerken ins Lager fahren und die Güter verteilen. Gleichzeitig wurde ihm erlaubt, seelsorgerisch tätig zu werden. Von einem der MG-Türme hielt er kurze Andachten. In seiner Autobiographie „Stationen und Erinnerungen aus meiner Arbeit in der Kirche 1926-1978“, die auch eine Aufarbeitung seiner Rolle in der NS-Zeit ist, beschreibt Riedel auch seine Begegnung mit dem prominentesten Häftling des Mainwiesen-Lagers: dem sächsischen Landesbischof Friedrich Coch, einem Ideologen und Spitzen-Repräsentanten der „Deutschen Christen“. Er steckte Riedel heimlich das Amtskreuz zu, das er unter seinem Hemd versteckt hatte. Das Amtskreuz, 1905 vom sächsischen König Friedrich August III. gespendet, ist bis heute in Gebrauch. Eingraviert sind sämtliche Bischofsnamen, auch der Cochs. Der Bischof starb wenig später im US-Internierungslager Hersbruck, in das er nach der Auflösung des Mainwiesen-Lagers Ende Mai 1945 gebracht wurde.

Die Kulmbacher Gefangenen wurden später in US-Camps in Bad Kreuznach und Grafenwöhr verlegt.

Info: Die Ausstellung „70 Jahre Kriegsende – die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der NSDAP 
in Kulmbach“ im Badhaus ist noch bis Sonntag, 3. Mai, von 13 bis 17 Uhr
geöffnet.

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