Bewohner der Wohnanlage Mainpark lesen in Sütterlin geschriebene Gedichte Kulmbach: Senioren helfen beim Übersetzen

Von Rainer Unger
Unterstützung bei der Übersetzung der in Sütterlinschrift geschriebenen Gedichte von Elise Gleichmann fand Andrea Senf vom Literaturverein Kulmbach in der Seniorenwohnanlage Mainpark. Foto: 
Rainer Unger Foto: red

Sie sind die letzten Experten: Eine kleine Gruppe Senioren hat seit Anfang des Jahres 458 Seiten, die die Mundartdichterin Elise Gleichmann in Sütterlin-Handschrift verfasst hat, übersetzt.

 
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Harald Stark, seines Zeichens Kastellan und Erforscher historischer Schriften, hatte die Idee, den Nachlass der im Jahr 1854 im Kulmbacher Ortsteil Spiegel geborenen und 1944 gestorbenen Mundartdichterin und Sagensammlerin Elise Gleichmann zu bearbeiten und bisher unveröffentlichte Texte der Bevölkerung zugänglich zu machen. Sie stellt für ihn die Vorreiterin der fränkischen Sagensammler dar. Er wandte sich im vergangenen Jahr an Karin Minet und Andrea Senf vom Kulmbacher Literaturverein und stieß dort auf offene Ohren. „Altes Wissen zu erhalten, finde ich eh immer spannend“, betont Andrea Senf. Nachdem Erich Olbrich die 458 Seiten aus dem Stadtarchiv abfotografiert hatte, musste Andrea Senf sie bearbeiten: unter anderem waren der Hintergrund aufzuhellen und die Kontraste deutlicher hervorzuheben, denn viele der Blätter waren vergilbt.

Texte entziffert

Nach dieser Arbeit bestand das Problem darin, die Texte, die in altdeutscher Schrift verfasst worden waren, zu entziffern. Andrea Senf hatte die Eingebung: sie traf sich mit ihrer Schulfreundin Birgit Mücke, die in der Seniorenwohnanlage Mainpark arbeitet, und fragte nach, ob man nicht die ältere Generation, die die Schrift noch beherrscht, einbinden könnte. Tatsächlich fanden sich einige Freiwillige, die mithalfen, doch ging es zunächst nur langsam voran. Erst ein öffentlicher Aufruf brachte Anfang dieses Jahres den Durchbruch. „Es haben sich über 20 Freiwillige gemeldet. Von denen mussten aber einige passen, weil sie entweder mit der Schrift oder der Mundart nicht klarkamen. Das Problem ist nämlich, dass Elise Gleichmann auf alles geschrieben hat, was sie in die Hand bekam. Zum größten Teil hat sie DIN-A-5-Zettel verwendet und diese auch noch sehr eng beschrieben. Zudem sind das meistens nur Notizzettel für sie gewesen und die Schrift ist manchmal wirklich kreuzweise, oftmals sind auch Wörter durchgestrichen oder überschrieben“, erklärt sie. Doch glücklicherweise kristallisierte sich bald ein kleiner Kreis von „Starübersetzern“ heraus, die sich aus zwei wichtigen „Expertengruppen“ zusammensetzten. „Gerlinde Pollach aus Kulmbach und Kurt Josef Mayer aus Ludwigschorgast sind wirklich Fachleute, was die Mundartbegriffe anbelangt, und die Kulmbacher Erwin Zellner und Wolfgang Branscheid sowie Hans Wernlein aus Trebgast sind unsere Computer-Experten, die alle Texte augenblicklich in den Computer tippten, so dass mir diese Arbeit erspart bleibt“, freut sich Andrea Senf. „Da ist ein richtiges Gleichmann-Fieber ausgebrochen. Alle waren wie verrückt aufs Übersetzen“, erzählt Andrea Senf mit einem Schmunzeln. Dass die Arbeit nicht leicht war, zeigt auch die Tatsache, dass die Gruppe manchmal zu „Problembehandlungen“ zusammenkam, weil manche Textpassagen oder Ausdrücke nur in gemeinschaftlicher Betrachtung und Beratung, oft auch unter Zuhilfenahme einer Lupe, aufgelöst werden konnten.

Am Donnerstag, 18. Juni, wird um 14 Uhr im Mainpark eine Lesung mit Gleichmann-Texten stattfinden, mit der Andrea Senf allen Helfern ein kleines Dankeschön bereiten will.

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