Mehr als Bomben und Hunger: Zeitzeuginnen berichten aus dem Alltag nach dem Krieg und der Zeit danach in Bayreuth Krieg: Zeitzeugen berichten

Von Susanne Will
Hedwig Weih (links) und Helga Fischer erzählen im Historischen Museum von ihrer Kindheit in den Nachkriegsjahren. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Wenn Helga Fischer, Jahrgang 1942, zuhause von ihrem Leben in der Nachkriegszeit erzählt, dann hören die neun Enkel der Oma zu, erzählt die Bayreutherin. Am Sonntag waren es rund 30 Fremde, die wissen wollten, wie Helga Fischer und Hedwig Weih (85) die Jahre nach der Kapitulation in Bayreuth erlebt haben. Es ging um Angst, um Bomben, um die Keller, aber auch ums "Versteckerles"-Spiel in den Ruinen.

 
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Im Rahmen der Woche gegen Rassismus veranstaltete das Museum zwei Nachmittage mit Menschen, die den Krieg oder die Zeit kurz danach erlebt hatten. Derzeit stellen Fotos von "Kindheit in den Nachkriegsjahren" den Horror, aber auch die Hoffnung in schwarz-weiß dar. In einer Ecke unter den Fotos sitzen gestern die beiden Frauen. Vor ihnen auf dem Tisch Überbleibsel von damals, zwei Püppchen, ein alter Karl May, selbstbebastelte Brettspiele.

Drei Tage im April 1945

Die Frauen sind aufgeregt, werden die Erinnerungen an damals doch meist nur im Familienkreis erzählt. Museumspädagogin Martina Ruppert nimmt ihnen schnell die Nervosität. Sie fühlt vor, fragt, ob sie sich an die Tage im April 1945 erinnern können.

Bürgermeister mit weißer Fahne

Natürlich. Die eine, Hedwig Weih, aufgrund ihres Geburtsjahres sogar sehr deutlich. An drei Tagen wurde Bayreuth bombardiert, in diesen Stunden starben 800 Menschen, 40 Prozent der Innenstadt wurde zerbombt. Hedwig Weih: "In der Brandenburger Straße 30 war ein tiefer Keller, in den wir uns flüchteten. Ich weiß noch genau, wie sich der Luftdruck veränderte, als die Bomben fielen." Im Arm ihrer Mutter überlebte sie den Angriff, sie erinnert sich noch gut, dass der Bürgermeister damals auch in diesem Keller saß. In seiner Hand: die weiße Fahne, er war bereit für die Kapitulation. Im vergangenen Sommern war der Keller geöffnet worden, sie schaute rein und sagt gestern: "Ich würde das nicht mehr packen, so lange dort unten zu sitzen."

Schulspeisung und Schiefertafel

Helga Fischers Familie wohnte im polnischen Lodsch, als Flüchtling kam sie im März 1945 nach Bayreuth. Eingeschult wurde sie in der Graserschule, als noch die Einschusslöcher an den erst vor kurzem beendeten Krieg erinnerten. "Eine Schultüte hatte ich keine, die auf meinem Foto von damals wurde von einem anderen Mädchen ausgeliehen." Schulspeisung, Schiefertafel, Schulranzen aus Pappe, der im Regen durchweichte und mit Pflaster geflickt wurde: Das sind die Gedankenfetzen, die sich fest in ihrer Erinnerung eingelagert haben. Und auch die: Die Tochter des Hausmeisters hatte mit einer übrig gebliebenen Handgranate gespielt. Sie explodierte, riss dem Kind den Arm ab.

Zusammenhalt in den Baracken

Prägend im Bayreuther Stadtbild: die Baracken, in denen meist Frauen mit ihren Kindern untergekommen sind. Jetzt mischen sich die ersten der überwiegend älteren Zuhörer ein. Viele erzählen ihre Erinnerungen, darunter eine Frau: "In den Baracken, da haben sich alle gegenseitig geholfen - das habe ich damals sehr bewundert. Und die Wäsche ist vor den Häusern gewaschen worden." Es lebten dort Slawen, Schlesier, Sudentendeutsche, für die Frau war das "herrlich: wir hatten immer neue Freunde". Schlagartig ist sie da, die Gegenwart mit ihren Flüchtlingen aus aller Welt.

Kühe auf Perserteppichen

Wo in der Ausstellung Bescheide über Essensrationen vom Hungerwinter 1946/47 berichten, danken Helga Fischer und Hedwig Weih: "Unsere Mütter haben es geschafft, dass wir nie hungern mussten." Mit viel Fantasie füllten sie mit eigentlich Nichts die Mägen, auch wenn es zubereitete Eicheln gewesen sind. Lausig kalt ist es gewesen, in Bamberg, so erzählt die Museumspädagogin, wurde das komplette Parkett des Stadttheaters verfeuert. Und Wertgegenstände, um sie mit Bauern gegen Brot oder Milch zu tauschen, gab es längst nicht mehr und auch die Keller der Bauern waren leer - dafür aber standen in den Kuhställen die Rindviecher auf Perserteppichen.

"Wir konnten uns frei bewegen"

Aber es gab auch das: Kinder, die in den Ruinen ausgelassen tobten. Helga Fischer: "Ich bedauere heutige Kinder, dass sie nicht einfach rumstreunen dürfen wie wir damals. Wir konnten uns völlig frei bewegen, hatten aber auch immer Größere um uns, die auf uns aufpassten." Wenn nicht gespielt wurde, hatte jedes Kind seine Aufgabe: Milch holen, sich für Briketts anstellen (ohne ein Brikett durften sie im Winter nicht am Schulunterricht teilnehmen) oder die kochenden Kartoffeln überwachen.

Geschmack nach Trockenmilch

Hedwig Weih machte später eine Ausbildung als Fotolaborantin. Von ihrem Lohn in Höhe von 130 Mark gab sie 50 Mark zuhause ab und sparte auf das erste Fahrrad - für 150 Mark. Mit dem radelte sie dann zu den ersten Vergnügen, zum ersten Kino, erbaut in den Ruinen der heutigen Stadthalle. Und die Nachkriegszeit, die hat sogar einen bestimmten Geschmack für Helga Fischer: "Es ist der von Trockenmilch. Mit dem feuchten Finger in das Pulver - das war so lecker!"

"Man muss nicht alles haben"

Ob sie einen Ratschlag für die Kinder von heute hätten, will Museumspädagogin Martina Ruppert wissen. Helga Fischer und Hedwig Weih überlegen nicht lange: "Wir wissen, dass man nicht alles haben muss. Man muss nur ein Bewusstsein für die Dinge entwickeln, die man hat." Und eines können beide nicht: "Lebensmittel wegwerfen."

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