Das Loch im Mond Kirill Petrenko triumphiert mit „Tristan und Isolde“

Joachim Lange
 Foto: red

Das „Tristan“-Ereignis findet in Lyon im Graben statt. Dort steht nämlich Kirill Petrenko am Pult des Orchestre de l’Opéra de Lyon. Und der dürfte diesen Klangkörper an die Grenze dessen geführt haben, was er in Sachen des singulären, entgrenzenden Liebesnachtstückes zu leisten vermag.

 
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Trotz der ausgedünnten Orchesterstärke vermochte Petrenko von Anfang an jenen kraftvoll untergründigen und doch feindifferenzierten Sog zu entfalten, der so einen Abend auch dann zum Erlebnis macht, wenn es vokale oder szenische Defizite gibt.

Nach seinem fulminanten „Ring“-Debüt in Meiningen und einem mehrjährigen GMD-Intermezzo an der Berliner Komischen Oper ist der Russe mit ziemlichem Tempo auf dem Weg in die Spitzengruppe seiner Branche. Dass er an Nikolaus Bachlers Münchner Staatsoper Kent Nagano beerben wird, dürfte diesem Intendanten genauso nützen wie seinem künftigen musikalischen Chef. Und dafür, dass Petrenko bei immer noch andauernder Suche nach einem „Ring“-Regisseur für die Bayreuther Festspiele im Wagnerjahr 2013 als vorgesehener Dirigent noch nicht entnervt das Handtuch geworfen hat, müssen ihm wohl das Damenduo und die Wagner-Gemeinde jetzt schon dankbar sein.

Ein sensibler Könner

Sein „Tristan“ jedenfalls weist ihn als veritablen, sensiblen und energischen Könner beim tiefgründelnden und verzaubernden Wagnern aus. Bei den Hauptpartien freilich waren Licht und Schatten dicht beieinander. Wobei Christof Fischesser als verletzter Marke anrührend überzeugte, Jochen Schmeckenbechers Kurwenal etwas Erfrischendes in all der Düsternis ausstrahlte und Nabil Suliman sogar ein differenziertes Melot-Porträt gelang.

Die Dänin Ann Petersen verwandelte sich ihre Isolde mit einem dezidiert diesseitigen Zugang ohne Heroinengeste an, hatte aber einige Mühe, ihren Tristan mitzuziehen. Clifton Forbis sparte in den ersten beiden Akten nahezu seine gesamte vokale Munition auf, um sie dann in den Fieberfantasien zu verschießen, was seinen Tristan doch noch vor einem Desaster rettete. Zur Belohnung durfte er bei Alex Ollé seinen letzten Seufzer in Isoldes Armen verhauchen.

Dass auf dem Programmzettel hinter dem Namen des Regisseurs immer noch auf die legendären szenischen Aufmischer La Fura dels Baus verwiesen wird, hat nicht nur bei ihm mittlerweile etwas von geborgtem Ruhm.

Bewährt, aber bekannt

Was nämlich auf der Bühne zu sehen war, ging über ein im besten Fall solides Erzählen nicht hinaus. Die Großmetaphorik des Bühnenbildes bediente sich bei Bewährtem aus der Rezeptionsgeschichte der letzten Jahrzehnte. Da gibt es vor wogender Brandung ein sich langsam drehendes, abstraktes Schiffsdeck, als Verweis auf das Unwirtliche der Welt. Da markiert ein gewaltiger Riesenmond das Überirdische der Liebe von Tristan und Isolde.

Dass sich dieser Mond langsam auf die Erde zu bewegt, und im zweiten Aufzug, als gewendete seelische Parabolantenne zur Projektionsfläche für Pflanzen, Mauern und Treppen wird, war vorhersehbar. Im dritten Aufzug liegt dieser Mond dann aber nicht in Bruchstücken herum, sondern hat, nach einer offenbar weichen Landung, nur ein Loch für verklärend wabernde Wolken-Videos.

Ollé und sein Ausstatter Alfons Flòres durchkreuzen ihre durchaus kammerspielkompatible Reduktion immer wieder mit überillustrierenden Videoprojektionen. Vom züngelnden Feuer der Leidenschaften bis zu den spähenden Augen ist da alles drin. Dieses La Fura dels Baus Erbteil der Regie ist meistens zu gut gemeint und am Ende, bei Isoldes Liebestod, sogar ein regelrechter Killer der musikalischen Apotheose. Das „Mild und Leise“ hat nämlich weder diese Art von videowabernder Second-Hand-Stimmung noch das verordnete Overacting bei Isolde nötig.

Foto: dpa