Penny Shaw sieht das ähnlich. Die 35-Jährige wohnt seit eineinhalb Jahren mit ihrem Lebensgefährten im Marthahaus. „Viele meiner Freunde sind sehr an dem Projekt interessiert, können sich dann aber doch nicht vorstellen, einzuziehen“, sagt sie. „Letztes Jahr haben wir einen Apfelbaum im Garten gepflanzt und sind anschließend darum getanzt. Manche Leute reagieren da skeptisch“, so Shaw. Auf der Warteliste stehen vorwiegend ältere Interessenten, dabei werden gerade jüngere Mieter gesucht. „Schließlich wollen wir kein Altersheim werden“, sagt Ingegerd Ljungström mit einem Lachen. Der Maßstab, den sich die Bewohner selbst gesetzt haben: Ein Drittel der Mieter soll jünger als 40 sein, ein Drittel zwischen zwischen 40 und 60 und ein Drittel älter als 60 Jahre. Im Gemeinschaftsraum hängt eine Grafik, die zeigt, dass diese Aufteilung bislang umgesetzt wird.
"Wir sind eine kleine Welt"
Yoga, Bauchtanz, Singen oder ein Gesprächskreis – die Bewohner organisieren zahlreiche Kurse. Im Marthahaus wohnen Singles, Alleinerziehende, Ehepaare, Homosexuelle, Muslime und Menschen mit Behinderung. „Wir sind eine kleine Welt“, sagt Penny Shaw. Erzeugt eine solche Vielfalt Konflikte? Nicht mehr, als überall anders auch, lautet die einhellige Meinung der Bewohner. Streit gebe es eher, wenn Arbeit ungleich verteilt werde. Gerade hat sich wegen eines Konfliktes eine Hausgemeinschaft in zwei neue Gruppen unterteilt.
„Jeder gibt, so viel er kann“, sagt Penny Shaw, die jeden Samstag zwei Kuchen für das Café des Hauses backt. Sie erhält Geld für die Zutaten, nicht jedoch für die Arbeitszeit. „Ich wurde auch gefragt, ob ich in den Arbeitskreis Finanzen gehe. Wenn ihr ruiniert werden wollt, mache ich das.“ Jeder leiste, was den eigenen Interessen und der eigenen Begabung entspricht. Jeder habe andere Vorstellungen von Sauberkeit, sagt Shaw, doch Konflikte würden direkt angesprochen – in den Arbeitskreisen und einmal im Monat bei der Vollversammlung. Schließlich sei es im Interesse aller Bewohner, anfallende Arbeit selbst zu verrichten und so die Betriebskosten niedrig zu halten.
Gemeinsam und individuell
„Wir fühlen etwas für das Haus“, sagt Ingegerd Ljungström. „Vor dem Einzug hatte ich ein bisschen Angst, aber hier zu wohnen, ist das Beste, was mir passieren konnte“, sagt die Schwedin. Die 73-Jährige wohnt seit einem knappen Jahr im Marthahaus und arbeitet ehrenamtlich im Café – dem Herz des Hauses. Bewohner und Nicht-Bewohner treffen sich hier. „Wenn jemand dort sitzt, gehe ich hin und rede. Wenn ich meine Ruhe haben will, gehe ich in meine Wohnung“, sagt Ingegerd Ljungström. Diese Mischung aus Gemeinschaft und individuellem Wohnen macht den Reiz des Hauses für seine Bewohner aus.
„In einem großen Haus zu wohnen und niemanden zu kennen, fände ich gruselig“, sagt Penny Shaw. Sie schätzt den Umgang mit Menschen, mit denen sie sonst wenig zu tun hätte. Durch das Zusammenleben lerne man, das eigene Verhalten zu reflektieren, aber auch nein zu sagen und sich zurückzuziehen. „Am Anfang haben alle geklingelt, um sich vorzustellen. Ich dachte, ich werde verrückt“, erzählt Shaw. Doch nur wenn sie sich bei McDonald's etwas zu essen holt, würde Penny Shaw gerne anonym in einem Mehrfamilienhaus wohnen: „Dann hoffe ich, dass mich mit der Tüte in der Hand niemand sieht.“
„Man muss sich öffnen“, sagt Ingegerd Ljungström. Gerade für ältere Bewohner sei das Zusammenleben nicht immer einfach, müssten sie doch häufig Gewohnheiten aufgeben. Für Karl Müllenhoff ist das kein Problem. Der älteste Bewohner des Marthahauses schätzt den Kontakt zu seinen Mitbewohnern – und sie schätzen seine Fürsorge. „Er hat uns schon vom Balkon befreit, als unsere kleine Tochter Noemi uns ausgeschlossen hat“, berichtet Anggelo Gutierrez. Der Familienvater kommt aus Peru, die Großeltern sind weit weg. Dass seine Töchter trotzdem gemeinsam mit älteren Menschen aufwachsen, gefällt ihm am Marthahaus.
Für ein Generationen übergreifendes Wohnen in Bayreuth haben die Nürnberger einige Tipps parat. Das Haus sollte nicht auf der grünen Wiese, sondern an einem zentralen Ort errichtet werden, rät Karl Müllenhoff. Einkaufsmöglichkeiten, kurze Wege zu Ärzten und eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr seien für Familien genau so wichtig, wie für ältere Bewohner. Penny Shaws Tipp: Nichts überstürzen. Finden sich vor Baubeginn Gruppen, die zusammen leben wollen, sei dies ideal. Schließlich stehe der eine für den anderen ein. Einem harmonischen Miteinander der Generationen steht dann nichts mehr im Weg.
Hintergrund: Marthahaus Nürnberg
Im November 2013 zogen die ersten Bewohner in das Generationen übergreifende Wohnprojekt Marthahaus in Nürnberg ein. „Solidarität zwischen Jung und Alt und die Integration aller Bewohner sind unser Ziel“, sagt Vermieter Jochen Kapelle. Das Bundesfamilienministerium hat 100.000 Euro zu den Baukosten beigesteuert. Eigentümer ist die WIN GmbH, ein Tochterunternehmen des Wohnen und Integration im Quartier e.V. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly ist Schirmherr.
Das Projekt besteht aus 62 in sich abgeschlossenen Mietwohnungen, Gemeinschaftsräumen, einer integrativen Kindertagesstätte, einem Café, einem Garten und Gewerbeflächen. 17 Wohnungen sind sozial gefördert. Das gesamte Haus ist barrierefrei. Es wurde ein hoher Energiestandard realisiert. Weitere Informationen gibt es unter www.wingmbh.de.
In Bayreuth gibt es kein vergleichbares Projekt. Bei dem Mehrgenerationenhaus in der Evangelischen Familien-Bildungsstätte handelt es sich um einen Treffpunkt. Wohnen kann man dort nicht.
isa