Der Star-Agent Germinal Hilbert im Interview „Künstler vertrauen uns quasi ihr Leben an“

Michael Weiser
 Foto: red

Er ist der Mann, der die Opernhäuser der Welt mit Stars bestückt: Der Bayreuther Germinal Hilbert vertritt die erste Garnitur der Opernkünstler. Bei den Festspielen in Bayreuth ist Hilbert mit dem Dirigenten Peter Schneider und einer Vielzahl von Solisten vertreten. Mit Hilbert, der Agenturen in Paris und München unterhält, sprach Michael Weiser.

 
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Herr Hilbert, Ihr Vorname Germinal ist einigermaßen ungewöhnlich. Hatten Ihre Vorfahren etwas mit der Französischen Revolution zu tun?

Germinal Hilbert: Er kommt tatsächlich aus dem französischen Revolutionskalender, der die Monate nach ihrer Bedeutung bezeichnete. „Germ“ heißt die Saat, Germinal ist der Monat, in dem die Saat sprießt. Außerdem ist es ein Hugenottenname. Ich bin über meine französische Großmutter väterlicherseits zu diesem Namen gekommen, weil die einen Großvater hatte, der ebenfalls Germinal hieß. Weil sie kurz nach meiner Geburt an Krebs erkrankte und bald darauf starb, hat man ihren Wunsch respektiert und mich Germinal getauft.

Sie haben klein angefangen und jetzt eine Reihe von Weltklassekünstlern unter Vertrag. Wie erklären Sie diesen Erfolg?

Hilbert: In meinem Falle war’s wirklich Glück. Ich war Assistent beim französischen Rundfunk und wurde mit Musiksendungen und Konzerten betraut. Ich wusste nicht, dass es Agenturen gibt, und dass sich Sänger und andere Künstler von Agenturen vertreten lassen. Ich habe aufs Geratewohl Sänger kontaktiert. Kamen sie nach Paris, habe ich sie betreut. Irgendwann sagten die zu mir, Sie kümmern sich gut um uns, wenn Sie eine Agentur hätten, dann kämen wir zu Ihnen. Meine erste Sängerin war Edda Moser, die berühmte Kolorateuse, und dann Ruth Hesse, Horst Laubenthal, die ich eben durch Konzerte kennengelernt hatte. Nur mit einigen Sängern würde es schwierig werden, dachte ich mir, also versuchte ich über Bayreuth an meine Idole heranzukommen. Das waren Karl Böhm, Birgit Nilsson und Regina Resnik.

Was braucht ein guter Agent?

Hilbert: Es ist wichtig, dass Sie musikalisches Wissen haben, dass Sie Repertoirewissen haben, einschätzen können, was ein Sänger wann singen kann. Das musste ich mit der Zeit lernen. Ich habe mit Weltstars angefangen, da musste ich nicht viel leiten und beraten. Ich bin reingeschlittert. Eigentlich bin ich promovierter Jurist und musste mir das Repertoirewissen erst aneignen. Nach fünf, sechs Jahren wusste ich in etwa Bescheid und konnte dann auch junge Sänger beraten und Karrieren aufbauen. Im Allgemeinen wird man Agent, indem man in einer Agentur arbeitet und sich dann selbstständig macht. Aus meinen beiden Agenturen sind vierzehn Agenturen entstanden, von Mitarbeitern, die sich selbstständig gemacht haben. Dass man aufs Geratewohl eine Agentur eröffnet, ginge gar nicht mehr. Dazu ist die Konkurrenz zu groß.

Muss man als Agent auch ein netter Kerl sein?

Hilbert: Ich glaube, das ist sehr wichtig. Wir machen nur Weltvertretungen, die gesamte künstlerische Tätigkeit eines Sängers, Dirigenten oder Regisseurs geht über unsere Agentur. Diese Leute vertrauen ihrem Agenten quasi ihr Leben an. Es müssen eine Vertrauensbasis und Sympathie da sein. Wir sind verantwortlich. Und gerade wenn es mal Rückschläge gibt, ist die Vertrauensbasis wichtig. Eine Zusammenarbeit mit einem Künstler ist wie eine Ehe: Wenn’s gutgeht, dann geht’s gut, wenn nicht, dann scheidet man, und zwar ohne unnötige Probleme. So lange ein Künstler glücklich ist, bleibt er bei mir. Wenn er unglücklich ist, soll er gehen. Das geht bei mir ohne Probleme. Deswegen mache ich auch keine zeitlich befristeten Verträge mit Künstlern.

Zum Jubiläum 2013 wird mehr Wagner denn je gespielt werden. Kommen Sie mit dem Besetzen nach?

Hilbert: Ein bisschen mehr Wagner als sonst wird gespielt, aber nicht extrem viel. Bei den großen Häusern ist er ohnehin immer im Programm. Gut, da macht man 2013 vielleicht eine Neuproduktion. Es ist nicht so wie im Mozart-Jubiläum, da wurde nämlich nur Mozart gespielt. Und wir hatten Probleme mit Mozartsängern – die waren überbucht.

In Bayreuth sind Sie stark vertreten.

Hilbert: Ja, das ist allerdings von Jahr zu Jahr verschieden. Heuer haben wir relativ viele, zum Beispiel in der Neuproduktion des „Holländer“ Adrianne Pieczonka und Michael König, dann haben wir im „Tannhäuser“ Torsten Kerl, Günther Groissböck, Camilla Nylund und Michelle Breedt, im „Tristan“ Peter Schneider und Robert Dean Smith, im „Lohengrin“ Klaus Florian Vogt...

Was macht einen guten Wagner-Sänger, einen guten Wagner-Dirigenten aus?

Hilbert: Es gibt gute und schlechte Dirigenten, und die guten können Strauß ebenso dirigieren wie Mozart. Ein guter Dirigent kann eigentlich alles dirigieren. Bei Wagnersängern ist das anders. Das sind ja alles dramatische Partien. Das ist eine Frage der Stimme, aber auch des Alters. Es gibt Stimmen, die schon im Alter von dreißig eine Brünnhilde singen könnten, davon würde ich allerdings abraten. Die meisten Stimmen wachsen erst in eine solche Partie hinein. Die fangen wie Lucia Popp als Königin der Nacht an und enden als Elsa. Wenn jemand als Figaro-Gräfin anfängt, deutet das auf die Elsa hin, geht dann über Elisabeth zur Senta, schließlich zur Hochdramatischen, zur Brünnhilde oder Isolde.

Man kann nicht drei Sprossen auf einmal nehmen. Es ist eine konstante Entwicklung der Stimme, die mit dem Alter runder und dramatischer wird und an Volumen gewinnt. Ein natürlicher Prozess, den man abwarten muss. Viele tun das nicht. Die können das singen, die haben jeden Ton, aber sie sollten es nicht. Ich sage meinen Sängern oft, du könntest es schon singen, aber sing es erst in drei Jahren. Ich frage sie oft: Was wollt ihr? Eine Karriere, die fünf bis zehn Jahre geht, oder eine von zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren? Edita Gruberova vertrete ich seit dreißig Jahren. Muti hat ihr die Norma schon vor 15 Jahren angeboten. Sie hat mich gefragt, und ich hab gesagt: Warte.

Hört sich an, als ob Sie Karrieren nicht nur voranbringen, sondern ab und zu auch bremsen...

Hilbert: Ja, natürlich. Ich bremse auch über den Kalender. Wenn die Kalender zu voll werden, sage ich: Mach Pause. Mach Liederabende. Liedkultur ist so wichtig, sing mal eine Mozartpartie, singe einen Italiener, dass die Stimme nicht so steif wird. Wenn Sie ständig nur Wagner singen, wird die Stimme gerade und ein wenig steif.

Auszeiten sind nicht einfach zu nehmen. Der Druck scheint hoch zu sein.

Hilbert: Der Eindruck täuscht nicht. Wenn Sie einen gewissen Status erreicht haben, dann erwartet das Publikum jeden Abend eine Höchstleistung. Der Mensch ist aber keine Maschine. Die Stimmbänder sind zwei Muskeln. Und wenn Sie mal indisponiert sind, dann leiden auch diese beiden Muskeln. Das interessiert aber weder Publikum noch Kritiker. Wenn Sie nun mit diesem Druck auftreten und Sie auf fünf Jahre hinaus ausgebucht sind, kann Sie ein Burn-out ereilen, dieses Gefühl, ich kann nicht mehr. Deswegen lege ich meinen Künstlern Pausen ans Herz. Damit sich nicht nur der Körper erholt, sondern auch die Seele.

Trotz des Drucks gilt die Opernlaufbahn immer noch als Traumberuf.

Hilbert: Was ich am Leben von Künstlern so traurig finde, ist, dass sie praktisch kein Privatleben haben. Im Schnitt sind die elf Monate im Jahr unterwegs. Wenn eine Sängerin Kinder hat, dann sieht sie die nicht aufwachsen. Da leiden die natürlich drunter. Die stehen im Konzertsaal, zweitausend Menschen jubeln ihnen zu, und dann gehen sie allein in ihr Hotelzimmer oder Appartement. Und die Familie ist auf einem anderen Erdteil. Wenn die Karriere mal läuft, dann kommt diese Leere: Ich habe Erfolg, aber kein Privatleben. Das Schwierigste ist das Alleinsein, die Entfremdung zu den Kindern, zum Ehepartner. Nicht unbedingt erstrebenswert oder sehr lustig.

Und Sänger singen zu früh dramatisch. Sie merken, dass die Stimme nicht mehr so anspricht, dass die Mittellage brüchig wird, irgendwann die Höhe abknickt. Dann kommt die Panik, es folgen Absagen. Und erst die Dirigenten: Die proben vormittags in Wien, steigen in den Flieger, dirigieren abends ein Konzert in Paris. Der Terminplan ist so voll, dass die irgendwann einen Burn-out bekommen können.

Kommt es ab und an vor, dass mitten in der Nacht das Telefon bimmelt und da sitzt jemand in einem Hotelzimmer und sucht Beistand?

Hilbert: Selten. Die rufen dann schon zu normalen Zeiten an. Vielleicht, weil sie absagen müssen, aus dem und dem Grund. Man kann das den Häusern auch vermitteln, die haben dafür schon Verständnis. Wenn stimmliche Probleme auftauchen, kommt Nervosität auf, und andere Probleme, die leicht in Krankheit ausarten. Die meisten Sänger sagen ja nur ab, wenn es wirklich nicht mehr geht.

Warum hat Angela Denoke die Rolle der Brünnhilde zurückgegeben?

Hilbert: Ich glaube, dass sie sich der Aufgabe nicht gewachsen gefühlt hat. Und daran tut sie gut. Sie ist eine sehr gute Sängerin, liegt aber mehr in der Höhe, und die „Walküre“ liegt äußerst tief. Sie ist mehr eine Jugendliche, aber keine Hochdramatische. Die Sänger bekommen das Angebot, schauen sich die Partitur an. Aber erst wenn sie mit dem Rollenstudium beginnen, merken sie, wo die Klippen liegen. Meine Vermutung ist, dass sie bemerkt hat, dass das eine Spur zu dramatisch ist und dass das ihrer Stimme schaden würde. Wir waren alle erstaunt, dass sie das angenommen hat, erstaunt aber auch darüber, dass man ihr das angeboten hat.

In den Leitungen der Opernhäuser sitzen normalerweise Leute, die sich gut auskennen. Was dazwischen kommt, sind leider die Regisseure. Eine Hochdramatische ist eben kein Covergirl, doch der Regisseur stellt sich eine Junge, Schlanke, Schöne vor, wie im Fall Denoke. Eine Salome soll ausschauen wie Audrey Hepburn, 25 Jahre alt sein, aber das gibt es halt nicht. Doch die Regisseure versteifen sich auf solche Ideen, und die Häuser müssen teilweise auf Besetzungsvorschläge eingehen, auch wenn sie eigentlich nicht überzeugt sind. Ich würde sagen, die Regie dominiert mittlerweile.

Das steht erst recht zu erwarten, wenn Frank Castorf den Jubiläums-„Ring“ inszeniert. Was erwarten Sie?

Hilbert: Es ist schwer vorauszusagen, wie ein Regisseur sein Konzept angeht. Die Sänger sind gut gewählt, gestandene Wagnersänger. Wie die auf der Bühne zurechtkommen, ist eine andere Sache. Wir sind gespannt. Ich weiß auch nicht, warum die Wahl auf ihn gefallen ist. Das sind eben die Geheimnisse der Direktion.