Ist Zivilcourage lernbar?

Von Kerstin Fritzsche
Peter Müller war früher bei der Bundespolizei. Vor einem Jahr ging er in Ruhestand. Und ist jetzt, wie so viele Ex-Polizisten, da eigentlich im "Unruhestand". Unter anderem engagiert er sich beim Thema Gewaltprävention. Archivfoto: Ronald Wittek Foto: red

Bei einer Schlägerei zwischen Jugendlichen im Rotmaincenter sind am Mittwochnachmittag drei junge Männer verletzt worden. Obwohl viele Menschen im Center waren, schritt erst sehr spät jemand ein und half. Woran liegt das, dass Menschen so wenig Zivilcourage zeigen? Und kann man das lernen? Fragen an Peter Müller, Vorsitzender des Vereins "Bayreuth ohne Gewalt".

 
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Bei der Schlägerei unter Jugendlichen im Rotmaincenter waren viele Leute drum herum, aber erst später ist eine Frau eingeschritten. Es ist offensichtlich auch niemandem eingefallen, die Polizei anzurufen oder den Sicherheitsdienst zu holen. Warum fällt es Menschen schwer, Zivilcourage zu zeigen?

Peter Müller: Wer sich einmischt, übernimmt Verantwortung. Das ist für viele ein nebulöses Feld. Das stellen wir immer wieder in unseren Kursen fest. Die Leute fragen sich, ob sie dann in der Verantwortung sind, möglicherweise gibt es später eine Prozess-Akte, man ist Zeuge. Und bringt sich vielleicht auch noch in Gefahr damit, weil Gesicht und Name bekannt sind. Meistens resultiert das aber daraus, dass die Menschen keine Ahnung haben und deswegen verunsichert sind. Zum Beispiel genießt man als Helfer nach dem Sozialgesetzbuch Versicherungsschutz. Das weiß aber kaum einer.

Schreiten Menschen eher ein, wenn sie alleine oder zu zweit etwas beobachten? Fühlt man sich an öffentlichen Plätzen mit vielen Menschen oder in der Gruppe weniger angesprochen, um zu helfen? Einen ähnlichen Fall gab es im September 2009 in München. Dominik Brunner musste nach einer Prügelei mit zwei Jugendlichen an einem S-Bahnhof sterben, weil er als Einziger dazwischen gegangen war. Aufgrund des Vorfalls gründete sich ja auch Ihre Initiative.

Müller: Ja und nein. Wenn man alleine ist, ist die Angst, selbst verwickelt zu werden, größer und kann hinderlich sein. Wenn man in einer Menschenmenge ist, schiebt man es eventuell auf die anderen, nach dem Motto "Der da könnte ja auch helfen, der ist außerdem größer als ich". Wie man aussieht oder andere Zweifel sollten aber nicht entscheidend sein. Auch in einer Gruppe sollte man die Initiative ergreifen, sich jemanden suchen, den mitziehen, vielleicht auch im Befehlston, damit er sich angesprochen fühlt und man keine Zeit verliert, und eben nicht versuchen, die Situation alleine zu meistern. Übrigens auch nicht unbedingt, wenn man sich gewappnet fühlt. Dominik Brunner war auch Kampfsportler. Es kann immer eskalieren.

Kann man trainieren, seine eigene Angst zu überwinden?

Müller: Ja. Man kann die Abläufe, wie man sich verhalten sollte, verinnerlichen, so dass man das alles automatisch abrufen kann, wenn man Zeuge eines Vorfalls wird. Man kann aber auch Distanzverhalten und Körperhaltung trainieren, damit man gewappnet ist in Gefahrensituationen, Sprache, die richtigen Worte und Ansprache spielen auch eine Rolle, um zu deeskalieren.

Die Frau im Rotmaincenter ist selbst dazwischen gegangen, sie hätte auch Schläge abkriegen können. Was sollte ich tun, damit ich mich nicht selbst in Gefahr begebe, wenn ich helfen will?

Müller: Grundsätzlich gilt freilich immer: "Helfe, ohne dich in Gefahr zu bringen!". Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch mal daran erinnern, dass wir verpflichtet sind zu helfen. Was man auf jeden Fall immer machen kann, ist, die Polizei zu rufen. Und das hätte ich jetzt bei diesem Fall im Rotmaincenter auch erwartet. Das ist enttäuschend. Mit der Polizei in Kommunikation zu sein, dient auch der weiteren Informationsvergabe. Dazu kann man sich beispielsweise auf die andere Straßenseite stellen, den Vorfall weiter beobachten und wenn die Polizei eintrifft, auch gleich sagen, wohin ein potenzieller Täter geflüchtet ist und so weiter.

Das andere Wichtige in so einer Situation, was auch jeder machen kann: dem Opfer helfen, es ansprechen, Vertrautheit schaffen, Taschentücher reichen, trösten. Denn so ein Angriff ist schon ein Schock-Erlebnis an sich, da muss man niemandem zumuten, dass er dann auch noch einer anonymen Masse gegenüber steht, die nur glotzt.

Der andere bundesweit bekannt gewordene Fall ist der der Offenbacher Studentin Tugce A.bayrak, die im November 2014 niedergeschlagen und so schwer verletzt wurde, dass Ärzte sie zehn Tage später für hirntot erklärten. Sie hatte zuvor versucht, auf der Toilette eines Schnellrestaurants einen Streit zu schlichten. Ihre Familie rief später eine Stiftung für Zivilcourage ins Leben, die einen jährlichen Preis verleiht. Ist so etwas eine Hilfe?

Müller: Jede Initiative, jeder Weg der Auseinandersetzung ist gut. Bei so vielen eigentlich profanen Dingen des Alltags sind wir nicht vorbereitet. So wie man sich fragen sollte "Kann ich eigentlich Reifen wechseln? Was mache ich, wenn ich meine Schlüssel verliere?", sollte man sich auch vergewissern: "Wie kann ich helfen, wenn ich eine Gewalttat beobachte? Kann ich eigentlich noch Erste Hilfe leisten?". Das sind erste Schritte der Vorbereitung für einen Ernstfall. Irgendwann verinnerlicht man das dann.

Viele wollen auch helfen, haben in der Situation dann aber Angst, auch nur bei der Polizei anzurufen, weil sie denken, wenn jetzt doch nichts war oder die sich geeinigt haben, dann habe ich da unnötig Wirbel gemacht. Das ist falsch. Es ist immer gut, bei der Polizei anzurufen. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass da nichts war. Es geht um ein subjektives Sicherheitsgefühl. Das kann man so für sich und auch für potenzielle Opfer stärken.

Zur Person: Peter Müller war lange bei der Bundespolizei in Bayreuth und beschäftigte sich hier bereits schwerpunktmäßig mit dem Thema Gewaltprävention. Nach dem Tod von Dominik Brunner in München gründete sich hier 2010 das "Forum Bayreuth ohne Gewalt", 2014 wurde die Initiative von Peter Müller und Peter Kuhn mit 20 Bayreuthern aus den unterschiedlichsten Bereichen dann auch ein eingetragener Verein, dessen Vorsitzender Müller seitdem ist.

Weitere Infos gibt es unter www.bayreuthohnegewalt.de und aktion-tu-was.de.

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